Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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LXXVI POLITIK IN DER (POST-)MODERNE (Soziale Systeme; S. 601). Reflexivität hat damit eine Zeitdimension und entspricht prozessualer Selbstreferenz. Diese vollzieht sich durch Kommunikation (vgl. ebd.; S. 610). Luhmann versteht also unter Reflexivität die Kommunikation der Kommunikation, oder anders ausgedrückt: die Rückbezüglichkeit der Diskurse. Ein solcher (problematisierender) Meta-Diskurs hat in der Postmoderne, wenn man sich Lyotard anschließen will, die rein (ex)planierende Meta- erzählung abgelöst und öffnet Räume für eine Selbst- und Neugestaltung ganz im von Etzioni beschriebenen Sinn. Ein anderes Reflexivitätsverständnis findet sich bei Beck (siehe auch S. XLII). Reflexivität meint bei ihm die Konfrontation mit den latenten Nebenfolgen der Moderni- sierung, die das modernistische Selbstverständnis unterhöhlt und dazu zwingt, sich mit den Schattenseiten der Moderne auseinanderzusetzen. In der Kombination beider Elemente ergibt sich eine reflexive Dialektik zwischen diskursiver Selbstspiegelung und der risikogesellschaftlichen +Geworfenheit* in eine material und ideologisch widersprüchliche Welt, der sich eine +authen- tische* Postmoderne stellen müßte. Indem sie sich ihr aber stellt, bringt sie sich (durch den und im Diskurs) zugleich selbst hervor: Die so verstandene +authentische* Postmoderne ist also +autopoietisch*. Der Begriff der +Auto- poiesis* (Selbst-Erzeugung) stammt aus dem Begriffs-Repertoire des radikalen Konstruktivismus. Dort wird er primär auf spontan entstehende, autonome und organisationell geschlossene biologische Systeme angewendet (vgl. z.B. Varela: Autonomie und Autopoiese). Aus diesem Grund ist angezweifelt worden, ob der Begriff der +Autopoiesis* sich uneingeschränkt auf soziale Systeme übertragen läßt (vgl. ebd.; S. 121 sowie Heijl: Konstruktion der sozialen Kon- struktion; S. 322–327). Luhmann, der sich in diesem Sinn +schuldig* gemacht hat, teilt solche Bedenken nicht. Er versteht unter sozialen Systemen auch im wesentlichen reine Kommuni- kationszusammenhänge, die das Merkmal selbstreferentieller Geschlossenheit aufweisen (vgl. Soziale Systeme; S. 57–65) – eine Auffassung, die die Subjekte aus dem Gesellschaftlichen ausschließt und die mir deshalb problematisch erscheint. Doch wie auch immer: Sieht man vom Kontext seiner Generierung im radikalen Konstruktivismus und seiner soziologisch einseitigen, durch Luhmann geprägten Konnotation ab, so ist der Begriff der +Autopoiesis* durchaus geeignet, eine +authentische* als sich selbst schöpfende Postmoderne zu spezifizieren (vgl. auch Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution). Diese authentische, autopoietische Postmoderne wäre aber zugleich vielleicht auch eine autistische Postmoderne, denn indem sie sich selbst hervor- bringt und sich in ihren Diskursen (nur noch) auf sich selbst bezieht, könnte sie im Zirkel

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXXVII des Eigenen gefangen bleiben. Sie wäre dann eine Postmoderne ohne ihr anderes: die Moderne. Was dann aber bliebe, wäre alleine das +Post* der Moderne. Ob es genug wäre? Doch was soll das Philosophieren über Begriffe? Müßte sich eine +authentische* Postmoderne nicht gerade vom Streit über die Begrifflichkeiten emanzipieren? Der Titel eines Buchs von 137 Barry Smart lautet: +Modern Conditions, Postmodern Controversaries* (1992). Meiner Meinung nach gilt das genaue Gegenteil: Auf struktureller Ebene und im Alltag hat sich Postmoderne als das Widersprüchliche der Moderne schon vielfach verwirklicht. Nur auf der Ebene der Diskurse tobt noch der Kampf um die Begriffs-Hoheit. Denn es entspricht einer langen Tradition, die bis in den Bereich des Mythologisch-Schamanischen zurückreicht und sich im modernen Kategorisierungsstreben fortsetzt, daß man mit dem Namen auch die Herrschaft über das Bezeichnete gewinnt. 138 Mit einer +authentischen* Postmoderne könnte diese Geschichte der Herrschaft durch den Begriff ein Ende haben. Denn gerade Denker wie Foucault, Derrida und Lyotard haben begriffen, daß +Die Ordnung des Diskurses* (Foucault) ein Machtphänomen darstellt und Geschichte immer eine Geschichte ist, die Erzählung über Vergangenheit, welche sich in dieser Erzählung erst konstruiert. Diese Erkenntnis aber macht das Herrschen weitaus schwieriger. Die Post- moderne-Vokabel ist am Ende wahrscheinlich nur ein letztes Aufbäumen dieses Herrschafts- anspruchs mittels des Begriffs, und mit +Postmoderne* bezeichnen wir all das, was wir (an der Moderne) nicht (er)fassen können. Es handelt sich um die verwischten, noch unklaren Gedankenspuren der stattfindenden strukturellen Wandlungsprozesse. Auf diese aber kommt es an, und so betont auch Welsch: +Man muß nicht auf den Ausdruck, sondern auf die Sache achten.* (Unsere postmoderne Moderne S. 319) Ob diese Sache und die daraus resultierenden Einsichten so grundsätzlich neu sind, wie die postmodernen Theoretiker glauben machen wollen, kann allerdings angezweifelt werden. Dazu bemerkt Karlis Racevskis: +[…] postmodern thought has not uncovered anything that the Age of Enlightenment, in its more lucid moments, did not already know.* (Postmodernism and the Search for Enlightenment; S. 77) In ihrer geradezu paradigmatisch modernistischen novistischen Selbsttäuschung liegt also mög- 139 licherweise eine der zentralen +Illusionen der Postmoderne* (Eagleton 1996), und wahrschein- lich war +Postmoderne* als (positives wie negatives) Potential immer schon in der +Moderne*

LXXVI POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

(Soziale Systeme; S. 601). Reflexivität hat damit e<strong>in</strong>e Zeitdimension und entspricht prozessualer<br />

Selbstreferenz. Diese vollzieht sich durch Kommunikation (vgl. ebd.; S. 610). Luhmann versteht<br />

also unter Reflexivität die Kommunikation <strong>der</strong> Kommunikation, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt:<br />

die Rückbezüglichkeit <strong>der</strong> Diskurse. E<strong>in</strong> solcher (problematisieren<strong>der</strong>) Meta-Diskurs hat <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne, wenn man sich Lyotard anschließen will, die re<strong>in</strong> (ex)planierende Meta-<br />

erzählung abgelöst und öffnet Räume für e<strong>in</strong>e Selbst- und Neugestaltung ganz im von Etzioni<br />

beschriebenen S<strong>in</strong>n. E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Reflexivitätsverständnis f<strong>in</strong>det sich bei Beck (siehe auch S.<br />

XLII). Reflexivität me<strong>in</strong>t bei ihm die Konfrontation mit den latenten Nebenfolgen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ni-<br />

sierung, die das mo<strong>der</strong>nistische Selbstverständnis unterhöhlt und dazu zw<strong>in</strong>gt, sich mit den<br />

Schattenseiten <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. In <strong>der</strong> Komb<strong>in</strong>ation bei<strong>der</strong> Elemente ergibt<br />

sich e<strong>in</strong>e reflexive Dialektik zwischen diskursiver Selbstspiegelung und <strong>der</strong> risikogesellschaftlichen<br />

+Geworfenheit* <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e material und ideologisch wi<strong>der</strong>sprüchliche Welt, <strong>der</strong> sich e<strong>in</strong>e +authen-<br />

tische* <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne stellen müßte.<br />

Indem sie sich ihr aber stellt, br<strong>in</strong>gt sie sich (durch den und im Diskurs) zugleich selbst hervor:<br />

Die so verstandene +authentische* <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne ist also +autopoietisch*. Der Begriff <strong>der</strong> +Auto-<br />

poiesis* (Selbst-Erzeugung) stammt aus dem Begriffs-Repertoire des radikalen Konstruktivismus.<br />

Dort wird er primär auf spontan entstehende, autonome und organisationell geschlossene<br />

biologische Systeme angewendet (vgl. z.B. Varela: Autonomie und Autopoiese). Aus diesem<br />

Grund ist angezweifelt worden, ob <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> +Autopoiesis* sich une<strong>in</strong>geschränkt auf<br />

soziale Systeme übertragen läßt (vgl. ebd.; S. 121 sowie Heijl: Konstruktion <strong>der</strong> sozialen Kon-<br />

struktion; S. 322–327). Luhmann, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n +schuldig* gemacht hat, teilt solche<br />

Bedenken nicht. Er versteht unter sozialen Systemen auch im wesentlichen re<strong>in</strong>e Kommuni-<br />

kationszusammenhänge, die das Merkmal selbstreferentieller Geschlossenheit aufweisen (vgl.<br />

Soziale Systeme; S. 57–65) – e<strong>in</strong>e Auffassung, die die Subjekte aus dem Gesellschaftlichen<br />

ausschließt und die mir deshalb problematisch ersche<strong>in</strong>t. Doch wie auch immer: Sieht man<br />

vom Kontext se<strong>in</strong>er Generierung im radikalen Konstruktivismus und se<strong>in</strong>er soziologisch e<strong>in</strong>seitigen,<br />

durch Luhmann geprägten Konnotation ab, so ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> +Autopoiesis* durchaus geeignet,<br />

e<strong>in</strong>e +authentische* als sich selbst schöpfende <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne zu spezifizieren (vgl. auch Castoriadis:<br />

Gesellschaft als imag<strong>in</strong>äre Institution). Diese authentische, autopoietische <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne wäre<br />

aber zugleich vielleicht auch e<strong>in</strong>e autistische <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne, denn <strong>in</strong>dem sie sich selbst hervor-<br />

br<strong>in</strong>gt und sich <strong>in</strong> ihren Diskursen (nur noch) auf sich selbst bezieht, könnte sie im Zirkel

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