Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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09.12.2012 Aufrufe

LXX POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Habermas: Für ihn liegt die Rettung aus dem Zwiespalt der Moderne noch immer in aufgeklärter 132 Rationalität. Diese muß allerdings eine andere Qualität annehmen, muß zur kommunikativen Rationalität werden, um der +Kolonialisierung der Lebenswelten* durch zweckrationale Eindi- mensionalität vorzubeugen (vgl. Theorie des kommunikativen Handelns; Band 1, S. 28 sowie Band 2, S. 449ff.). Seine bereits zitierte Adorno-Preis-Rede aus dem Jahr 1980 (siehe S. XV), die unter dem Titel +Die Moderne – ein unvollendetes Projekt* verschiedentlich veröffentlicht wurde, ist Hauptbezugspunkt der Denk-Richtung einer skeptischen Postmoderne, die am Projekt der Moderne festhalten will. Hier brandmarkt Habermas die Postmodernisten als neokonservativ (siehe auch S. XL). Aufschlußreich ist dabei Habermas’ Unterscheidung zwischen drei Formen des (postmodernistischen) Konservatismus: • +Die Jungkonservativen machen sich die Grunderfahrung der ästhetischen Moderne, die Enthüllung der dezentrierten, von […] allen Imperativen der Arbeit und der Nützlichkeit befreiten Subjektivität zu eigen – und brechen mit ihr aus der modernen Welt aus […] Sie verlegen die spontanen Kräfte der Imagination, der Selbsterfahrung, der Affektivität ins Ferne und Archaische, und setzen der instrumentellen Vernunft manichäisch ein nur noch der Evokation zugängliches Prinzip entgegen […] In Frankreich führt diese Linie von George Bataille über Foucault zu Derrida.* (S. 52) • +Die Altkonservativen lassen sich von der kulturellen Moderne gar nicht erst anstecken. Sie verfolgen den Zerfall der substanziellen Vernunft […] mit Mißtrauen und empfehlen […] eine Rückkehr zu Positionen vor der Moderne […] Auf dieser Linie […] liegen beispiels- weise interessante Arbeiten von Hans Jonas und Robert Spaemann.* (Ebd.; S. 52f.) • +Die Neukonservativen verhalten sich zu den Errungenschaften der Moderne noch am ehesten affirmativ. Sie begrüßen die Entwicklung der modernen Wissenschaft, soweit diese ihre eigene Sphäre nur überschreitet, um den technischen Fortschritt, das kapitalistische Wachstum und eine rationale Verwaltung voranzutreiben. Im übrigen empfehlen sie eine Politik der Entschärfung der explosiven Gehalte der kulturellen Moderne.* (Ebd.; S. 53) Gemäß dieser Auffassung erscheinen alle Äußerungsformen des +Postmodernismus* mehr oder weniger konservativ – nur nicht Habermas’ eigene Position, die man aus umgekehrter Perspektive allerdings durchaus als modernistischen Aufklärungs-Konservatismus bezeichnen

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXXI könnte. Aus einer solchen Grundhaltung muß ein philosophischer Entwurf wie der Lyotards unter Verdacht geraten. Seyla Benhabib, die sich in vielen Punkten an Habermas (aber auch an Jameson) anlehnt, bezeichnet Lyotards Position darum als einen naiven neoliberalen Pluralis- mus, der zum frustrierenden Relativismus und Eklektizismus postmoderner Philosophie, welcher übergreifende Kritik unmöglich macht, maßgeblich beigetragen hat (vgl. Kritik des ›postmodernen Wissens‹; S. 121ff.). Eine differenziertere Position nehmen Herbert Schnädelbach und Albrecht Wellmer ein (deren Gedanken damit auch für das im folgenden Abschnitt entworfene Konzept einer authentischen Postmoderne relevant sein werden). Schnädelbach stellt heraus, daß Horkheimer und Adorno im Rahmen ihrer Analyse der +Dialektik der Aufklärung* selbst in dieser Dialektik verstrickt blieben. Ihr Versuch, +über Aufklärung aufzuklären, [enthält] mythische Elemente […] Erzählt wird die Geschichte der tätigen Selbstbefreiung durch Naturbeherrschung und der Folgen, die das für das Subjekt notwendigerweise zeitigt […] Diese Intention teilt die Dialektik der Aufklärung mit der gesamten Tradition der narrativen Geschichtsphilosophie der Neuzeit* (Die Aktualität der Dialektik der Aufklärung; S. 18f.). Narrative Geschichtsphilosophie läuft jedoch aufgrund ihrer Struktur als +große Rahmenerzählung* (Lyotard), die das Singuläre absolut setzt, auf eine +Mythisierung der Moderne* heraus (vgl. ebd.; S. 25). Gerade die Einlösung eines tatsächlich dialektischen Anspruchs könnte aber jene Beschränkung aufheben. Denn da die Moderne selbst ein Plural ist, kann nur ein offenes Konzept von Aufklärung, das ihre widersprüchliche Vielfalt berücksichtigt, die Dynamik der Moderne in verschiedenen historischen und kulturellen Zusammenhängen untersuchen (vgl. ebd.; S. 27ff.). Auch Wellmer stellt das Thema Dialektik, die +Dialektik von Moderne und Postmoderne* (1985), ins Zentrum seiner Überlegungen – Dialektik allerdings in einem +postmodernen* Verständnis, ohne jeden geschichtsphilosophischen Anspruch und ohne die Konnotation einer sich vollziehenden Wahrheit (vgl. Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne; S. 49). Das Grundmotiv Wellmers ist eine differenzierte Betrachtung des Postmodernismus, die seine Zweideutigkeit herausstellt. Das Netzwerk +postistischer* Begriffe und Denkweisen gleicht für ihn einem Vexierbild: Zum einen ist da die Vorstellung vom +Tod der Moderne*, der +als ein verdienter Tod verstanden [wird]: als Ende einer schrecklichen Verwirrung, eines kollektiven Wahns, eines Zwangsapparats, einer tödlichen Illusion* (ebd.; S. 100). Zum anderen gibt es im Rahmen des Postmodernismus aber auch Positionen, die die Moderne nicht als

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXXI<br />

könnte. Aus e<strong>in</strong>er solchen Grundhaltung muß e<strong>in</strong> philosophischer Entwurf wie <strong>der</strong> Lyotards<br />

unter Verdacht geraten. Seyla Benhabib, die sich <strong>in</strong> vielen Punkten an Habermas (aber auch<br />

an Jameson) anlehnt, bezeichnet Lyotards Position darum als e<strong>in</strong>en naiven neoliberalen Pluralis-<br />

mus, <strong>der</strong> zum frustrierenden Relativismus und Eklektizismus postmo<strong>der</strong>ner Philosophie, welcher<br />

übergreifende Kritik unmöglich macht, maßgeblich beigetragen hat (vgl. Kritik des ›postmo<strong>der</strong>nen<br />

Wissens‹; S. 121ff.).<br />

E<strong>in</strong>e differenziertere Position nehmen Herbert Schnädelbach und Albrecht Wellmer e<strong>in</strong> (<strong>der</strong>en<br />

Gedanken damit auch für das im folgenden Abschnitt entworfene Konzept e<strong>in</strong>er authentischen<br />

<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne relevant se<strong>in</strong> werden). Schnädelbach stellt heraus, daß Horkheimer und Adorno<br />

im Rahmen ihrer Analyse <strong>der</strong> +Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung* selbst <strong>in</strong> dieser Dialektik verstrickt<br />

blieben. Ihr Versuch, +über Aufklärung aufzuklären, [enthält] mythische Elemente […] Erzählt<br />

wird die Geschichte <strong>der</strong> tätigen Selbstbefreiung durch Naturbeherrschung und <strong>der</strong> Folgen,<br />

die das für das Subjekt notwendigerweise zeitigt […] Diese Intention teilt die Dialektik <strong>der</strong><br />

Aufklärung mit <strong>der</strong> gesamten Tradition <strong>der</strong> narrativen Geschichtsphilosophie <strong>der</strong> Neuzeit*<br />

(Die Aktualität <strong>der</strong> Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung; S. 18f.). Narrative Geschichtsphilosophie läuft<br />

jedoch aufgrund ihrer Struktur als +große Rahmenerzählung* (Lyotard), die das S<strong>in</strong>guläre absolut<br />

setzt, auf e<strong>in</strong>e +Mythisierung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne* heraus (vgl. ebd.; S. 25). Gerade die E<strong>in</strong>lösung<br />

e<strong>in</strong>es tatsächlich dialektischen Anspruchs könnte aber jene Beschränkung aufheben. Denn<br />

da die Mo<strong>der</strong>ne selbst e<strong>in</strong> Plural ist, kann nur e<strong>in</strong> offenes Konzept von Aufklärung, das ihre<br />

wi<strong>der</strong>sprüchliche Vielfalt berücksichtigt, die Dynamik <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne <strong>in</strong> verschiedenen historischen<br />

und kulturellen Zusammenhängen untersuchen (vgl. ebd.; S. 27ff.).<br />

Auch Wellmer stellt das Thema Dialektik, die +Dialektik von Mo<strong>der</strong>ne und <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne*<br />

(1985), <strong>in</strong>s Zentrum se<strong>in</strong>er Überlegungen – Dialektik allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em +postmo<strong>der</strong>nen*<br />

Verständnis, ohne jeden geschichtsphilosophischen Anspruch und ohne die Konnotation e<strong>in</strong>er<br />

sich vollziehenden Wahrheit (vgl. Zur Dialektik von Mo<strong>der</strong>ne und <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne; S. 49). Das<br />

Grundmotiv Wellmers ist e<strong>in</strong>e differenzierte Betrachtung des <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nismus, die se<strong>in</strong>e<br />

Zweideutigkeit herausstellt. Das Netzwerk +postistischer* Begriffe und Denkweisen gleicht<br />

für ihn e<strong>in</strong>em Vexierbild: Zum e<strong>in</strong>en ist da die Vorstellung vom +Tod <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne*, <strong>der</strong><br />

+als e<strong>in</strong> verdienter Tod verstanden [wird]: als Ende e<strong>in</strong>er schrecklichen Verwirrung, e<strong>in</strong>es<br />

kollektiven Wahns, e<strong>in</strong>es Zwangsapparats, e<strong>in</strong>er tödlichen Illusion* (ebd.; S. 100). Zum an<strong>der</strong>en<br />

gibt es im Rahmen des <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nismus aber auch Positionen, die die Mo<strong>der</strong>ne nicht als

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