Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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LXVI POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 128 spüren ist. Und Welsch ist auch nicht dem eigentlich und primären Postmodernismus zuzurechnen, ist eher (brillanter) Interpret als postmoderner +Avantgardist* – wenn dieser Begriff hier erlaubt ist. Es handelt sich bei ihm und einigen anderen +aufgeschlossenen* Rezipienten der (primären) Postmoderne-Entwürfe aus den 70er Jahren also gewissermaßen um eine +sekundäre Euphorie*. Ich möchte hier jedoch nicht näher auf diesen Strang einer euphorischen Postmoderne eingehen, da sich die +primäre* und die +sekundäre* euphorische Postmoderne in ihrer Grundorientierung weitgehend decken. Sie alle singen – verkürzt dargestellt und zusammengefaßt – das +Lob der Vielheit* und zeichnen sich durch eine emphatische Begrüßung oder doch zumindest eine emotionale Affinität zu jener neuen +Epoche der Widerstreite* aus. Es gibt aber noch eine weitere Spielart einer euphorischen Postmoderne, die hier geradezu eine Gegenposition einnimmt. Es handelt sich dabei freilich um einen Postmodernismus im prämodernen Bewußtsein. Andererseits versteht man sich explizit als postmodern, und das Ende der Modernität wird dezidiert begrüßt. Nur: Welches Modernitätsverständnis liegt hier zugrunde? – Das verwendete Schlagwort vom +Ende der Modernität* ist zugleich (der mit einem Fragezeichen versehene) Titel eines Essays von Robert Spaemann, in dem jener sieben 129 Charakteristika der Moderne aufzählt: 1. das Verständnis von Freiheit als Emanzipation, 2. den Mythos vom notwendigen und unendlichen Fortschritt, 3. ein Programm progressiver Naturbeherrschung, 4. wissenschaftlichen Objektivismus, 5. die Homogenisierung der Erfahrung (durch Empirie), 6. die Hypothetisierung des Wissens und 7. einen naturalistischen Universalismus (vgl. Das Ende der Modernität?; S. 19–30). Man mag über diese Kennzeichen im einzelnen streiten und einige stehen auch im Widerspruch zueinander (wie insbesondere die letzten Punkte zeigen). Wichtig ist jedoch, daß Spaemann eine Krise so verstandener Modernität konstatiert. Als Belege gelten ihm das zunehmend erwachende ökologische Bewußtsein und die immer breitere Infragestellung der wissen- schaftlichen Vernunft. Das hier vorfindbare Moderne-Verständnis deckt sich insoweit mit dem kritischen Moderne-Verständnis der primären und sekundären Postmoderne. Ganz anders stellt es sich hingegen dar, wenn man sich die Vorschläge betrachtet, was an die Stelle der (zu überwindenden) Modernität treten soll. Spaemann enthält sich hier zwar weitgehend einem Urteil und meint: +Philosophie kann vielleicht sagen, was ist, und zu verstehen versuchen, wie es geworden ist. Das Kommende zu denken darf sie sich nicht anmaßen […] Seine

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXVII Antizipation ist eher Sache der Kunst.* (Ebd.; S. 39f.) Einige Anhaltspunkte gibt er uns zum Glück aber doch: +Das bloß anarchistische Nebeneinander subjektiver Verhaltensweisen […] wird vielleicht zu einer vorübergehenden Erschütterung der wissenschaftlichen Rationalität […] führen. Aber es wird letzten Endes diese Rationalität nicht nur nicht zerstören, sondern eher konsolidieren. Die so sich etablierenden ›Nischenkulturen‹ […] werden […] selbst rational verwaltet […] Überwindung der Modernität wird eine lautlosere und unscheinbarere Form haben […] Erst wenn die Krisenerfahrung der Modernität die Gestalt der Wiederherstellung einer nichtmediatisierbaren, nicht verwaltbaren und nicht funktionali- sierbaren Unbedingtheit gewinnt, der Unbedingtheit des Religiösen, des Sittlichen und des Künstlerischen, erst dann kann von der Wiederherstellung eines integralen Erfahrungsbegriffs gesprochen werden.* (Ebd.; S. 35f.) Damit ist auch gesagt, um was es Spaemann eigentlich geht: um die Wiederherstellung des Vergangenen, um die Wiedergewinnung eines verloren Glaubten. Und er ist mit diesem Ansinnen nicht alleine. Ähnlich wie der (christliche) indische Religionsphilosoph Raimon Panikkar eine +Rückkehr zum Mythos* (1979) fordert, so bemerkt auch Kurt Hübner zu den +Aufgaben der Post-Moderne nach der Neubestimmung von Wissenschaft und Mythos*: +Der Versuch, alles Mythische ins Reich der Fabel […] zu verweisen, ist also theoretisch ebenso gescheitert wie der Versuch, der Wissenschaft den alleinigen Zugang zur Wahrheit zuzuweisen. Die Post-Moderne aber wird zwangsläufig in dieser theoretischen Einsicht einen Ansatz erkennen, des Zwiespalts Herr zu werden, von dem die Moderne geprägt ist.* (Wissenschaftliche Vernunft und Post-Moderne; S. 78) Hier zeigt sich sogar eine gewisse Parallelität zu den sprachphilosophischen Gedanken der vorgestellten Vertreter der französischen +nouvelle philosophie* und zu Feyerabend. Dies gilt auch für folgende Formulierung von Peter Koslowski: +Der Begriff der Postmoderne enthält ein Moment der Befreiung, weil er aus den Obsessionen der Moderne [aus Vernunftvergottung wie Vernunftverzweiflung] herauszuführen vermag […] Es geht um die Wiedergewinnung der gesamten geistigen Vermögen und Wissensformen des Menschen.* (Die Baustellen der Postmoderne; S. 7f.) Doch trotz aller Berührungspunkte: Einem Zwiespalt Herr werden zu wollen, wie Hübner formuliert, entspricht nicht dem Selbstverständnis der primären und sekundären (euphorischen)

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXVII<br />

Antizipation ist eher Sache <strong>der</strong> Kunst.* (Ebd.; S. 39f.) E<strong>in</strong>ige Anhaltspunkte gibt er uns zum<br />

Glück aber doch:<br />

+Das bloß anarchistische Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> subjektiver Verhaltensweisen […] wird vielleicht zu e<strong>in</strong>er<br />

vorübergehenden Erschütterung <strong>der</strong> wissenschaftlichen Rationalität […] führen. Aber es wird letzten<br />

Endes diese Rationalität nicht nur nicht zerstören, son<strong>der</strong>n eher konsolidieren. Die so sich etablierenden<br />

›Nischenkulturen‹ […] werden […] selbst rational verwaltet […] Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nität wird<br />

e<strong>in</strong>e lautlosere und unsche<strong>in</strong>barere Form haben […] Erst wenn die Krisenerfahrung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nität<br />

die Gestalt <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung e<strong>in</strong>er nichtmediatisierbaren, nicht verwaltbaren und nicht funktionali-<br />

sierbaren Unbed<strong>in</strong>gtheit gew<strong>in</strong>nt, <strong>der</strong> Unbed<strong>in</strong>gtheit des Religiösen, des Sittlichen und des Künstlerischen,<br />

erst dann kann von <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tegralen Erfahrungsbegriffs gesprochen werden.*<br />

(Ebd.; S. 35f.)<br />

Damit ist auch gesagt, um was es Spaemann eigentlich geht: um die Wie<strong>der</strong>herstellung des<br />

Vergangenen, um die Wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>nung e<strong>in</strong>es verloren Glaubten. Und er ist mit diesem Ans<strong>in</strong>nen<br />

nicht alle<strong>in</strong>e. Ähnlich wie <strong>der</strong> (christliche) <strong>in</strong>dische Religionsphilosoph Raimon Panikkar e<strong>in</strong>e<br />

+Rückkehr zum Mythos* (1979) for<strong>der</strong>t, so bemerkt auch Kurt Hübner zu den +Aufgaben <strong>der</strong><br />

<strong>Post</strong>-Mo<strong>der</strong>ne nach <strong>der</strong> Neubestimmung von Wissenschaft und Mythos*:<br />

+Der Versuch, alles Mythische <strong>in</strong>s Reich <strong>der</strong> Fabel […] zu verweisen, ist also theoretisch ebenso gescheitert<br />

wie <strong>der</strong> Versuch, <strong>der</strong> Wissenschaft den alle<strong>in</strong>igen Zugang zur Wahrheit zuzuweisen. Die <strong>Post</strong>-Mo<strong>der</strong>ne<br />

aber wird zwangsläufig <strong>in</strong> dieser theoretischen E<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>en Ansatz erkennen, des Zwiespalts Herr<br />

zu werden, von dem die Mo<strong>der</strong>ne geprägt ist.* (Wissenschaftliche Vernunft und <strong>Post</strong>-Mo<strong>der</strong>ne; S. 78)<br />

Hier zeigt sich sogar e<strong>in</strong>e gewisse Parallelität zu den sprachphilosophischen Gedanken <strong>der</strong><br />

vorgestellten Vertreter <strong>der</strong> französischen +nouvelle philosophie* und zu Feyerabend. Dies<br />

gilt auch für folgende Formulierung von Peter Koslowski:<br />

+Der Begriff <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne enthält e<strong>in</strong> Moment <strong>der</strong> Befreiung, weil er aus den Obsessionen <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne [aus Vernunftvergottung wie Vernunftverzweiflung] herauszuführen vermag […] Es geht um<br />

die Wie<strong>der</strong>gew<strong>in</strong>nung <strong>der</strong> gesamten geistigen Vermögen und Wissensformen des Menschen.* (Die<br />

Baustellen <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne; S. 7f.)<br />

Doch trotz aller Berührungspunkte: E<strong>in</strong>em Zwiespalt Herr werden zu wollen, wie Hübner<br />

formuliert, entspricht nicht dem Selbstverständnis <strong>der</strong> primären und sekundären (euphorischen)

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