Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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09.12.2012 Aufrufe

LXIV POLITIK IN DER (POST-)MODERNE +Postis* (Habermas) sprechen, so sind jene gemeint, die sich die Postmoderne direkt oder indirekt auf die Fahnen geschrieben haben. Eine Reihe dieser Autoren wurde bereits vorgestellt. Hier noch einmal eine kurze Rekapitulation: Leslie Fiedler (siehe S. XLIV) forderte neue, weniger elitäre Formen der Literatur und Kunst in unserer Zeit +freudvoller Misologie und prophetischer Verantwortungslosigkeit* (Überquert die Grenze, schließt den Graben!; S. 58) – eine Zeit, die er lustvoll begrüßt, weil sie Räume für Phantasie und Leidenschaft eröffnet. Die Literatur, die einem solchen Zeitbewußtsein entströmt, ist +eine fortdauernde Offenbarung, die einer permanenten religiösen Revolution entspricht, deren Funktion es genau ist, die weltliche Masse in eine heilige Gemeinde zu verwandeln, mit sich selbst eins und gleichermaßen zu Hause in der Welt der Technologie und im Reich des Wunders* (ebd.; S. 73). Charles Jencks trat im Bereich der Architektur (allerdings weniger pathetisch) für einen radikalen Eklektizismus ein, der sich in den urbanen Kontext einpaßt und ihn gleichzeitig erweitert (vgl. Die Sprache der postmodernen Architektur; S. 94 und siehe auch S. XLVf.). Achille Bonito Oliva (siehe S. XLIV) propagierte eine Trans-Avantgarde, die sich vielfältig auffächert und +der Kunst eine Bewegung in alle Richtungen erlaubt* (Die italienische Trans-Avantgarde; S. 127). Paul Feyerabend wiederum (siehe S. XLVI) plädierte für einen +heiteren methodischen Anarchismus*. Differenz, Diskontinuität und Dekonstruktion standen im Mittelpunkt der Philosophie von Foucault (siehe S. XLVIIff.) und Derrida (siehe S. XLVIII). Lyotard, der bedeu- tendste +postmoderne* Philosoph, sah das Ende der Metaerzählungen gekommen und stellte an ihre Stelle eine Pluralität der Sprachspiele (siehe S. XLIXff.). Aus vielen dieser Ansätze spricht in der Tat eine gewisse Euphorie, eine Begrüßung der Chancen, die das Neue – für das hier die Postmoderne steht – eröffnet. Es handelt sich jedoch zumeist nicht um wirklich einseitige Hymnen auf das +goldene postmoderne Zeitalter*, sondern es finden sich auch nachdenkliche Elemente. Dies gilt speziell für die Philosophie Lyotards. Die unreflektierte (Nach-)Lässigkeit des grassierenden Postmodernismus ist ihm suspekt (vgl. Der Widerstreit; S. 12) und die jenem entsprechende oberflächliche Beliebigkeit charakterisiert er als +zynischen Eklektizismus* (vgl. Immaterialität und Postmoderne; S. 38). Welsch bezeichnet die hier von Lyotard gebrandmarkte Spielart der Postmoderne-Bewegung 122 als +diffusen Postmodernismus* (vgl. Unsere Postmoderne Moderne; S. 2ff.). Gerade bei Welsch läßt sich aber auch ein euphorisches Element aufweisen. Dies kann anhand einiger

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXV Zitate belegt werden. Zunächst jedoch zum – in dieser Hinsicht durchaus typischen – Post- 123 moderne-Konzept von Welsch, das Pluralität ins Zentrum stellt. Bei ihm heißt es: +Postmoderne wird hier als Verfassung radikaler Pluralität verstanden, Postmodernismus als deren Konzeption verteidigt.* (Ebd.; S. 4) Diese Aussage trifft sich im Kern mit dem ebenfalls +pluralistischen* Postmoderne-Konzept von Ihab Hassan. Hassan, auf den bisher nur kurz eingegangen wurde (siehe S. XLIV) und der schon relativ früh (Anfang der 70er Jahre) als Literatur-Kritiker zur Thematik Stellung bezog (z.B. in seinem Essay +POSTmodernISM*), entwickelte nicht nur ein Verständnis für den Post- modernismus als ein umfassendes kulturelles Phänomen (vgl. Toward a Concept of Post- modernism) – in seinen späteren Schriften zur postmodernen Kultur stellte er ihren Doppel- charakter heraus: Zum einen sei eine zunehmende Unbestimmtheit (indeterminacy) aus- zumachen, die sich in Ambiguität, Diskontinuität, Heterodoxie etc. äußert. Zum anderen 124 sei eine neue (a)gnostische Immanenz gegeben, die darin besteht, daß der Mensch seine (technischen) Fähigkeiten zum Eingriff in die Natur ausbaut und sich durch symbolische Ab- straktion immer mehr auch eine eigene Welt (der Fiktionen) erschafft (vgl. ebd.; S. 92ff. sowie ausführlicher: Culture, Indeterminacy, and Immanence). 125 In der Zusammenschau mit weiteren, leider ebensowenig wirklich erhellenden Merkmalen zieht er den Schluß, daß ein kritischer Pluralismus tief in das Feld postmoderner Kultur 126 eingelassen ist (vgl. Pluralism in Postmodernist Perspective; S. 173). Und trotz aller auch von Hassan gesehenen Ambivalenz dieser Kultur: Für ihn gibt es +keine [andere] Alternative, als das Konzept der Postmoderne für die Zukunft offen zu halten, obwohl Postmoderne selbst [d.h. als Kunst- und Architekturstil] vielleicht schon der Geschichte angehört* (Postmoderne heute; S. 56). 127 Noch eindeutiger heißt es bei Welsch: +Die postmoderne Vielfalt ist als grundlegend positives Phänomen zu begreifen. Wer verlorener Einheit nachtrauert, trauert einem – wie immer auch sublimen – Zwang nach.* (Unsere postmoderne Moderne; S. 40) Deshalb stellt er resümierend fest: +Der Postmodernismus kann die Empfindung vieler teilen, daß die Gesellschaft eine neue Begeist(er)ung brauche.* (Ebd.; S. 184) Gerechterweise sollte man allerdings anmerken, daß die von Welsch gemeinte +Begeist(er)ung* sich aus einem anderen Geist speist als bei Hassan, in dessen frühen Schriften eine deutliche, unkritische Technologie-Faszination zu

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXV<br />

Zitate belegt werden. Zunächst jedoch zum – <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht durchaus typischen – <strong>Post</strong>-<br />

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mo<strong>der</strong>ne-Konzept von Welsch, das Pluralität <strong>in</strong>s Zentrum stellt. Bei ihm heißt es:<br />

+<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne wird hier als Verfassung radikaler Pluralität verstanden, <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nismus als <strong>der</strong>en<br />

Konzeption verteidigt.* (Ebd.; S. 4)<br />

Diese Aussage trifft sich im Kern mit dem ebenfalls +pluralistischen* <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne-Konzept<br />

von Ihab Hassan. Hassan, auf den bisher nur kurz e<strong>in</strong>gegangen wurde (siehe S. XLIV) und<br />

<strong>der</strong> schon relativ früh (Anfang <strong>der</strong> 70er Jahre) als Literatur-Kritiker zur Thematik Stellung bezog<br />

(z.B. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Essay +POSTmo<strong>der</strong>nISM*), entwickelte nicht nur e<strong>in</strong> Verständnis für den <strong>Post</strong>-<br />

mo<strong>der</strong>nismus als e<strong>in</strong> umfassendes kulturelles Phänomen (vgl. Toward a Concept of <strong>Post</strong>-<br />

mo<strong>der</strong>nism) – <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en späteren Schriften zur postmo<strong>der</strong>nen Kultur stellte er ihren Doppel-<br />

charakter heraus: Zum e<strong>in</strong>en sei e<strong>in</strong>e zunehmende Unbestimmtheit (<strong>in</strong>determ<strong>in</strong>acy) aus-<br />

zumachen, die sich <strong>in</strong> Ambiguität, Diskont<strong>in</strong>uität, Heterodoxie etc. äußert. Zum an<strong>der</strong>en<br />

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sei e<strong>in</strong>e neue (a)gnostische Immanenz gegeben, die dar<strong>in</strong> besteht, daß <strong>der</strong> Mensch se<strong>in</strong>e<br />

(technischen) Fähigkeiten zum E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> die Natur ausbaut und sich durch symbolische Ab-<br />

straktion immer mehr auch e<strong>in</strong>e eigene Welt (<strong>der</strong> Fiktionen) erschafft (vgl. ebd.; S. 92ff. sowie<br />

ausführlicher: Culture, Indeterm<strong>in</strong>acy, and Immanence). 125<br />

In <strong>der</strong> Zusammenschau mit weiteren, lei<strong>der</strong> ebensowenig wirklich erhellenden Merkmalen<br />

zieht er den Schluß, daß e<strong>in</strong> kritischer Pluralismus tief <strong>in</strong> das Feld postmo<strong>der</strong>ner Kultur<br />

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e<strong>in</strong>gelassen ist (vgl. Pluralism <strong>in</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nist Perspective; S. 173). Und trotz aller auch<br />

von Hassan gesehenen Ambivalenz dieser Kultur: Für ihn gibt es +ke<strong>in</strong>e [an<strong>der</strong>e] Alternative,<br />

als das Konzept <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne für die Zukunft offen zu halten, obwohl <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne selbst<br />

[d.h. als Kunst- und Architekturstil] vielleicht schon <strong>der</strong> Geschichte angehört* (<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne<br />

heute; S. 56). 127<br />

Noch e<strong>in</strong>deutiger heißt es bei Welsch: +Die postmo<strong>der</strong>ne Vielfalt ist als grundlegend positives<br />

Phänomen zu begreifen. Wer verlorener E<strong>in</strong>heit nachtrauert, trauert e<strong>in</strong>em – wie immer auch<br />

sublimen – Zwang nach.* (Unsere postmo<strong>der</strong>ne Mo<strong>der</strong>ne; S. 40) Deshalb stellt er resümierend<br />

fest: +Der <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nismus kann die Empf<strong>in</strong>dung vieler teilen, daß die Gesellschaft e<strong>in</strong>e<br />

neue Begeist(er)ung brauche.* (Ebd.; S. 184) Gerechterweise sollte man allerd<strong>in</strong>gs anmerken,<br />

daß die von Welsch geme<strong>in</strong>te +Begeist(er)ung* sich aus e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Geist speist als bei<br />

Hassan, <strong>in</strong> dessen frühen Schriften e<strong>in</strong>e deutliche, unkritische Technologie-Fasz<strong>in</strong>ation zu

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