Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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LXII POLITIK IN DER (POST-)MODERNE DAS LOB DER VIELHEIT – DIE EUPHORISCHE POSTMODERNE Die Unterscheidung zwischen euphorischer und skeptischer Postmoderne erscheint zunächst banal. Schließlich gibt es immer die grundsätzliche Möglichkeit einer begrüßenden oder eher ablehnenden Haltung gegenüber einer Entwicklung. Was die kulturellen und philosophischen Manifestationen des Postmodernismus betrifft, so wird im Kontext des deutschsprachigen Moderne-Postmoderne-Diskurses meist in Anlehnung an Habermas und vor allem Kamper zwischen einem affirmativen (posthistoristischen) Postmodernismus und einer (ideologie-)kritischen Einstellung zum postmodernen Denken und zur postmodernen Kultur unterschieden (vgl. Habermas: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt; S. 46 und Kamper: Nach der Moderne; S. 168ff.). Im anglo-amerikanischen Bereich rekurriert man in ganz ähnlicher Weise auf Hal Fosters Differenzierung zwischen einem oppositionellen Postmodernismus des Widerstands und einem Postmodernismus der Reaktion (vgl. Postmodernism – A Preface; S. XII). Warum wird hier eine andere Terminologie zur Charakterisierung der möglichen Reaktionsweisen und Orientierungen auf den und des Postmodernismus gewählt? – Die Bezeichnungen +affirmativ* und +kritisch* beinhalten meiner Meinung nach eine (in dieser Weise ungerechtfertigte) Bewer- tung der jeweiligen Position. Eine rein affirmative Haltung, die unkritisch bejaht, erscheint schließlich von vorne herein in einem zweifelhaften Licht. Zudem setzen die Begriffe +Affirma- tion* und +Kritik* ein der Entscheidung zu Affirmation oder Kritik zugrunde liegendes implizites oder explizites Interesse voraus. Im Begriffspaar euphorisch-skeptisch ist dagegen auch eine emotionale Komponente enthalten, die nach meiner Auffassung die eigentlichen Gründe für die Begrüßung oder Ablehnung postmodernistischen Denkens und spätmoderner Kultur-Phäno- mene besser spiegelt. Was die Unterscheidung Fosters zwischen oppositionellem und reak- tionärem Postmodernismus betrifft, so ist diese zwar ohne Zweifel sinnvoll (vor allem in bezug auf die noch zu behandelnden politischen Implikationen des Postmodernismus). Andererseits beinhaltet sie – wie noch deutlich werden wird – die Schwierigkeit, daß einige Äußerungsformen des Postmodernismus gleichzeitig reaktionär und oppositionell zu nennen wären. So weit, so gut? – Nein, denn wer von euphorischer und skeptischer Postmoderne spricht, der setzt diese als real gegeben voraus und identifiziert zudem die kulturelle Bewegung des +Postmodernismus* mit dem Epochenbegriff +Postmoderne*. Damit wird neben dem Gebrauch einer +unsauberen* Terminologie ein wesentliches Element der Kritik am Postmodernismus ausgeblendet: nämlich daß die +schöne neue Welt* der Postmoderne hauptsächlich in den

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXIII 119 Köpfen ihrer (intellektuellen) Propagatoren existiert. Diese Kritik hat jedoch selbst ein Problem: daß es die postmodernen Theoretiker (und Praktiker) überhaupt gibt. Aus idealistischer Sicht betrachtet hat jede Idee, schon alleine weil sie Idee ist, +Wirklichkeit*. Postmoderne ist demgemäß mit der Idee der Postmoderne. Der Einwand, daß nicht jede Idee gleich +wirklich* ist, trifft nicht. Denn er setzt ja voraus, daß es eine +Wirklichkeit* außerhalb des Bereichs der Ideen gibt, an dem der +Realitätsgehalt* einer spezifischen Idee gemessen werden könnte. Allerdings ist diese Argumentation zirkulär und wenig geeignet zu überzeugen, wenn man ihre Prämissen nicht teilt. Aus materialistischer Sicht wiederum (insbesondere in der Spielart des Historischen Materialismus) ist jede Idee Ausdruck der wie auch immer gearteten (tat)sächlichen Verhältnisse. Die Vorstellung einer Postmoderne ist also nur möglich, wenn das Sein (die ökonomische Basis, die gesell- schaftlichen Verhältnisse etc.) die Idee der Postmoderne nicht nur erlaubt, sondern in gewisser Weise erst produziert. Allerdings könnte es sich bei dieser Idee um sogenanntes +falsches Bewußtsein* handeln. Doch auch das falsche Bewußtsein ist (in marxistischer Sicht) als Ideologie nicht nur notwendig falsch, sondern auch faktisch funktional zur Aufrechterhaltung der sozialen 120 Machtverhältnisse. Damit sie dies leisten kann, muß sie ein Moment der +Wahrheit* enthalten. Eine Ideologie ist gemäß dieser Vorstellung die Behauptung des +Richtigen* im Dienst des +Falschen* – oder schließt doch zumindest ein Element zur Transzendierung dieses +Falschen* ein. Nur auf dieser Basis ist Ideologiekritik überhaupt möglich. 121 Wenn ich nun von euphorischer oder skeptischer Postmoderne spreche, so soll dies nicht aussagen, daß es sich nicht (und dies in beiden Fällen) um im ideologischen Schein gefangene +Zeitgeister* handeln kann, die sich hier Ausdruck verleihen, sondern nur, daß eine Veränderung der (äußeren) Verhältnisse eingetreten ist, die das Aufkommen eines sich als postmodern verstehenden Denkens ermöglichte. Alleine, aber immerhin in diesem Sinn ist Postmoderne +real* und gleichzeitig identisch mit ihrer kulturellen (Gegen-)Bewegung: dem (Anti-)Postmoder- nismus. Diese Vorbemerkungen erschienen mir angebracht, um klarzumachen, aufgrund welcher (Voraus)setzungen ich meine Unterscheidung zwischen euphorischer und skeptischer Post- moderne treffe. Doch nun endlich zur näheren Charakterisierung der +euphorischen Post- moderne*: Man kann diese auch als eigentliche Postmoderne bezeichnen, denn wenn (die Vertreter der skeptischen Postmoderne) meist abschätzig von +Postmodernisten* oder gar

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXIII<br />

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Köpfen ihrer (<strong>in</strong>tellektuellen) Propagatoren existiert. Diese Kritik hat jedoch selbst e<strong>in</strong> Problem:<br />

daß es die postmo<strong>der</strong>nen Theoretiker (und Praktiker) überhaupt gibt.<br />

Aus idealistischer Sicht betrachtet hat jede Idee, schon alle<strong>in</strong>e weil sie Idee ist, +Wirklichkeit*.<br />

<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne ist demgemäß mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne. Der E<strong>in</strong>wand, daß nicht jede<br />

Idee gleich +wirklich* ist, trifft nicht. Denn er setzt ja voraus, daß es e<strong>in</strong>e +Wirklichkeit* außerhalb<br />

des Bereichs <strong>der</strong> Ideen gibt, an dem <strong>der</strong> +Realitätsgehalt* e<strong>in</strong>er spezifischen Idee gemessen<br />

werden könnte. Allerd<strong>in</strong>gs ist diese Argumentation zirkulär und wenig geeignet zu überzeugen,<br />

wenn man ihre Prämissen nicht teilt.<br />

Aus materialistischer Sicht wie<strong>der</strong>um (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spielart des Historischen Materialismus)<br />

ist jede Idee Ausdruck <strong>der</strong> wie auch immer gearteten (tat)sächlichen Verhältnisse. Die Vorstellung<br />

e<strong>in</strong>er <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne ist also nur möglich, wenn das Se<strong>in</strong> (die ökonomische Basis, die gesell-<br />

schaftlichen Verhältnisse etc.) die Idee <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne nicht nur erlaubt, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> gewisser<br />

Weise erst produziert. Allerd<strong>in</strong>gs könnte es sich bei dieser Idee um sogenanntes +falsches<br />

Bewußtse<strong>in</strong>* handeln. Doch auch das falsche Bewußtse<strong>in</strong> ist (<strong>in</strong> marxistischer Sicht) als Ideologie<br />

nicht nur notwendig falsch, son<strong>der</strong>n auch faktisch funktional zur Aufrechterhaltung <strong>der</strong> sozialen<br />

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Machtverhältnisse. Damit sie dies leisten kann, muß sie e<strong>in</strong> Moment <strong>der</strong> +Wahrheit* enthalten.<br />

E<strong>in</strong>e Ideologie ist gemäß dieser Vorstellung die Behauptung des +Richtigen* im Dienst des<br />

+Falschen* – o<strong>der</strong> schließt doch zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Element zur Transzendierung dieses +Falschen*<br />

e<strong>in</strong>. Nur auf dieser Basis ist Ideologiekritik überhaupt möglich. 121<br />

Wenn ich nun von euphorischer o<strong>der</strong> skeptischer <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne spreche, so soll dies nicht<br />

aussagen, daß es sich nicht (und dies <strong>in</strong> beiden Fällen) um im ideologischen Sche<strong>in</strong> gefangene<br />

+Zeitgeister* handeln kann, die sich hier Ausdruck verleihen, son<strong>der</strong>n nur, daß e<strong>in</strong>e Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> (äußeren) Verhältnisse e<strong>in</strong>getreten ist, die das Aufkommen e<strong>in</strong>es sich als postmo<strong>der</strong>n<br />

verstehenden Denkens ermöglichte. Alle<strong>in</strong>e, aber immerh<strong>in</strong> <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n ist <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne<br />

+real* und gleichzeitig identisch mit ihrer kulturellen (Gegen-)Bewegung: dem (Anti-)<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>-<br />

nismus.<br />

Diese Vorbemerkungen erschienen mir angebracht, um klarzumachen, aufgrund welcher<br />

(Voraus)setzungen ich me<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen euphorischer und skeptischer <strong>Post</strong>-<br />

mo<strong>der</strong>ne treffe. Doch nun endlich zur näheren Charakterisierung <strong>der</strong> +euphorischen <strong>Post</strong>-<br />

mo<strong>der</strong>ne*: Man kann diese auch als eigentliche <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne bezeichnen, denn wenn (die<br />

Vertreter <strong>der</strong> skeptischen <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne) meist abschätzig von +<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nisten* o<strong>der</strong> gar

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