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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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A: ANMERKUNGEN 99<br />

EXCURSION TERMINAL: POLITISCHE APORIEN UND UTOPIEN – ZUM VERHÄLTNIS VON SEIN UND<br />

BEWUßTSEIN, KONTINGENZ UND KONVERGENZ<br />

1. Hierzu bemerkt Adorno ganz ähnlich (allerd<strong>in</strong>gs nicht auf die grundlegende immanente Ambivalenz des +verkörperten*<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s abhebend): +Die verme<strong>in</strong>tlichen Grundtatsachen des Bewußtse<strong>in</strong>s s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es als bloß solche. In<br />

<strong>der</strong> Dimension von Lust und Unlust ragt Körperliches <strong>in</strong> sie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Aller Schmerz und alle Negativität, Motor des<br />

dialektischen Gedankens, s<strong>in</strong>d vielfach vermittelte, manchmal unkenntlich gewordene Gestalt von Physischem […]*<br />

(Negative Dialektik; S. 200)<br />

2. Sousa Santos bevorzugt allerd<strong>in</strong>gs den Begriff +Heterotopia*: +What I am about to propose is not a[n] utopia.<br />

Let me call it heterotopia. Rather than the <strong>in</strong>vention of a place elsewhere or nowhere, I propose a radical displacement<br />

with<strong>in</strong> the same place: ours. From orthotopia to heterotopia, from the center to the marg<strong>in</strong> [...] The<br />

aim is to experiment with the frontiers of sociability as a form of sociability.* (Toward a New Common Sense;<br />

S. 481) Der Heterotopia-Begriff von Sousa Santos ist also durchaus +utopisch* – im Gegensatz zu Foucault, <strong>der</strong><br />

Heteropopien als reale soziale Orte, als +Gegenplatzierungen* und +Wi<strong>der</strong>lager* <strong>in</strong>nerhalb des sozialen Raumes begreift<br />

(vgl. An<strong>der</strong>e Räume; S. 68ff.).<br />

3. In diesem negativ-dekonstruktiven S<strong>in</strong>n waren die frühneuzeitlichen utopischen Entwürfe e<strong>in</strong>es Morus o<strong>der</strong> Campanella<br />

also ke<strong>in</strong>e U-topien, son<strong>der</strong>n eher (utopische) Wunsch- und Traumbil<strong>der</strong> (siehe auch unten, Bloch).<br />

4. Dieser utopische Charakter <strong>der</strong> Kunstsphäre bleibt nach Fredric Jameson selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne erhalten, die<br />

doch eigentlich e<strong>in</strong>e radikale Absage an das utopische Denken impliziert, <strong>in</strong>dem auf den ideologischen Charakter<br />

des Utopischen h<strong>in</strong>gewiesen wird. Denn gerade +<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> unser M<strong>in</strong>imalkonsens gerade dar<strong>in</strong> besteht,<br />

daß alles Ideologie ist […], sche<strong>in</strong>t dies auch nicht länger e<strong>in</strong> erschreckendes E<strong>in</strong>geständnis zu se<strong>in</strong>.* (<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne<br />

und Utopie; S. 108) Und so f<strong>in</strong>det man – +nicht zuletzt unter den Künstlern und Schriftstellern – überall e<strong>in</strong>e […]<br />

›Utopie-Partei‹ […], e<strong>in</strong>e Untergrundspartei, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>zahl schwer bestimmbar ist, <strong>der</strong>en Programm unerklärt<br />

und vielleicht sogar unformulierbar bleibt, <strong>der</strong>en Existenz <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Bürgerschaft und den Behörden unbekannt<br />

ist, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> sich aber offensichtlich mit <strong>der</strong> Hilfe geheimer freimaurerischer Signale erkennen* (ebd.).<br />

5. Bewußtse<strong>in</strong> wird also hier – ohne, wie Adorno, e<strong>in</strong>en Vorrang des Objekts, son<strong>der</strong>n vielmehr e<strong>in</strong>en Vorrang des<br />

Subjekts anzunehmen – als durchaus +körperliches*, jedoch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er erlebten E<strong>in</strong>zigartigkeit (Qualia-Aspekt) vom<br />

+äußeren Se<strong>in</strong>* zu unterscheidendes Phänomen aufgefaßt, und schon Nietzsche bemerkte schließlich: +›Ich‹ sagst<br />

du und bist stolz auf dies Wort. Aber das Größere ist […] de<strong>in</strong> Leib und se<strong>in</strong>e große Vernunft: die sagt nicht Ich, aber<br />

tut Ich.* (Also sprach Zarathustra; S. 300 [Von den Verächter des Leibes])<br />

6. Auch im Denken von Adorno, Bloch und Castoriadis spielt natürlich das Subjekt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle für die (utopische)<br />

Überschreitung, und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zum Konzept Adornos besteht e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s große Nähe und Aff<strong>in</strong>ität: Mit se<strong>in</strong>er<br />

Herausstellung des Nichtidentischen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Mimesis-Gedanken legte er me<strong>in</strong>es Erachtens die Grundlagen<br />

für e<strong>in</strong>e +subjektivistische* Ethik. An<strong>der</strong>erseits – und wie schon an an<strong>der</strong>er Stelle angemerkt (siehe auch nochmals<br />

Anmerkung 149, Kap. 5) – behauptet Adorno, <strong>der</strong> hier noch deutlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> anti-idealistischen, materialistischen Tradition<br />

des Marxismus steht, e<strong>in</strong>en Vorrang des (physischen) Objekts. Ich möchte im Gegensatz dazu jedoch explizit auf<br />

die radikale Subjektivität aller Wahrnehmungen und Empf<strong>in</strong>dungen verweisen, die nicht objektivierbar s<strong>in</strong>d (Qualia-<br />

Problematik), aber gleichzeitig auch das e<strong>in</strong>zige darstellen, was für uns +greifbar* ist. Das Se<strong>in</strong> ist als Erfahrenes subjektiv.<br />

Zudem ist es ja e<strong>in</strong> wesentlicher Punkt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Argumentation (siehe unten), daß ebendiese Empf<strong>in</strong>dungen immer<br />

auch ambivalenten Charakter haben (womit ich natürlich <strong>in</strong>direkt an Bauman anschließe). Es kommt jedoch sogar<br />

noch e<strong>in</strong> weiterer Punkt h<strong>in</strong>zu, <strong>der</strong> sowohl für Adorno, wie auch für Bloch und Castoriadis gilt: Ihr Subjekt ist e<strong>in</strong><br />

von vorne here<strong>in</strong> soziales Subjekt, d.h. +das Subjekt, von dem wir reden, ist […] nicht das abstrakte Moment <strong>der</strong><br />

philosophischen Subjektivität, son<strong>der</strong>n das durch und durch von <strong>der</strong> Welt und den an<strong>der</strong>en geprägte wirkliche Subjekt*<br />

(Gesellschaft als imag<strong>in</strong>äre Institution; S. 181). Dies führt zu e<strong>in</strong>er Sicht, die zwar die (sozialen) Deformationen des<br />

Subjekts aufzeigt. +Daher kann es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em absoluten S<strong>in</strong>ne auch ke<strong>in</strong>e dem Subjekt ›eigene Wahrheit‹ geben. Die<br />

eigene Wahrheit des Subjekts ist immer Teilhabe an <strong>der</strong> Wahrheit, die es überschreitet, weil sie letztlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

und <strong>der</strong> Geschichte wurzelt […]* (Ebd.) Diese E<strong>in</strong>schätzung bietet aber me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach ke<strong>in</strong>en +wirklichen*<br />

Ansatzpunkt für utopische Transzendenz, die sich – da sie ihrem Charakter nach eben genau nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Faktizität<br />

des Sozialen liegen kann – aus dem s<strong>in</strong>gulären Subjekt speisen muß, das im reflexiven Bezug auf die an<strong>der</strong>en und

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