09.12.2012 Aufrufe

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

96 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

von Dialektik an, <strong>in</strong>dem er sie als +Logik des Sche<strong>in</strong>s* charakterisiert. Allerd<strong>in</strong>gs hat die dialektische Logik des Sche<strong>in</strong>s<br />

für Kant, an<strong>der</strong>s als für Aristoteles, nichts mit Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit zu tun, +denn diese ist Wahrheit, aber durch<br />

unzureichende Gründe erkannt* (S. 244). Vielmehr bedeutet Dialektik für Kant e<strong>in</strong> Fehlschließen, das schon <strong>in</strong> die<br />

Struktur des menschlichen Geistes e<strong>in</strong>gelassen ist. Und so kann die transzendentale Dialektik, die Kant anstrebt, den<br />

immanenten dialektischen Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong> re<strong>in</strong>en Vernunft – d.h. ihre Paralogismen und Ant<strong>in</strong>omien – nur aufdecken<br />

und ihn nie wirklich beseitigen (vgl. ebd.; S. 245ff.). +Es gibt also e<strong>in</strong>e natürliche und unvermeidliche Dialektik <strong>der</strong><br />

re<strong>in</strong>en Vernunft.* (Ebd.; S. 247) In <strong>der</strong> Denkfigur <strong>der</strong> regulativen transzendentalen Ideen – d.h. Ideen, die die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

<strong>der</strong> re<strong>in</strong>en Vernunft mittels hypothetischer Konstrukte (wie z.B. Gott) <strong>in</strong>tegrieren und die zur Möglichkeit des Erkennens<br />

ebenso notwendig s<strong>in</strong>d (also vorausgesetzt werden müssen), wie sie notwendig +außerhalb den Grenzen möglicher<br />

Erfahrung* liegen (ebd.; S. 441) – gelangt Kant jedoch trotzdem, auf e<strong>in</strong>em +vernünftelnden* Umweg, zu e<strong>in</strong>er Aufhebung<br />

<strong>der</strong> (eigentlich doch unaufhebbaren) dialektischen Wi<strong>der</strong>sprüche. (Vgl. zu Kants Dialektik-Konzept allgeme<strong>in</strong> auch<br />

Kaulbach: Kants Idee <strong>der</strong> transzendentalen Dialektik)<br />

138. Hegel bemerkt zu Kants Konzept <strong>der</strong> transzendentalen Dialektik: +Kant hat die Dialektik höher gestellt, […] <strong>in</strong>dem<br />

er ihr den Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong> Willkür nahm, den sie nach <strong>der</strong> gewöhnlichen Vorstellung hat, und sie als e<strong>in</strong> notwendiges Tun<br />

<strong>der</strong> Vernunft darstellte.* (Wissenschaft <strong>der</strong> Logik; S. 38 [E<strong>in</strong>leitung]) Sogleich schränkt er jedoch e<strong>in</strong>: +Kants dialektische<br />

Darstellungen verdienen […] freilich [trotzdem] ke<strong>in</strong> großes Lob […] So wie nur bei <strong>der</strong> abstrakt-negativen Seite des<br />

Dialektischen stehengeblieben wird, so ist das Resultat nur das Bekannte, daß die Vernunft unfähig sei, das Unendliche<br />

zu erkennen; – e<strong>in</strong> son<strong>der</strong>bares Resultat, <strong>in</strong>dem das Unendliche das Vernünftige ist, zu sagen, die Vernunft sei nicht<br />

fähig, das Vernünftige zu erkennen.* (Ebd.)<br />

139. Für Hegel manifestiert sich die dialektische Bewegung als Selbstf<strong>in</strong>dung und Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

gemäß <strong>der</strong> Darstellung <strong>in</strong> <strong>der</strong> oben zitierten +Rechtsphilosophie*) auch +materiell* im historisch-gesellschaftlichen<br />

Prozeß.<br />

140. Sehr ähnlich äußert sich Marx auch im Nachwort zur zweiten Auflage (des ersten Bands) des +Kapitals* (1873).<br />

Dort heißt es: +Die Mystifikation, welche die Dialektik <strong>in</strong> Hegels Händen erleidet, verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise, daß<br />

er ihre allgeme<strong>in</strong>en Bewegungsformen zuerst <strong>in</strong> umfassen<strong>der</strong> und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm<br />

[allerd<strong>in</strong>gs] auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern <strong>in</strong> <strong>der</strong> mystischen Hülle zu entdecken.*<br />

In dieser umgestülpten rationellen Gestalt, die sich an den materiellen Verhältnissen orientiert, +ist sie dem Bürgertum<br />

und se<strong>in</strong>en doktr<strong>in</strong>ären Wortführern e<strong>in</strong> Ärgernis und e<strong>in</strong> Greuel, weil sie <strong>in</strong> dem positiven Verständnis des Bestehenden<br />

zugleich auch das Verständnis se<strong>in</strong>er Negation, se<strong>in</strong>es notwendigen Untergangs e<strong>in</strong>schließt, jede gewordene Form<br />

im Flusse <strong>der</strong> Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem<br />

Wesen nach kritisch und revolutionär ist* (ebd.).<br />

141. Dort heißt es u.a.: +[...] <strong>in</strong>dem Hegel die Negation <strong>der</strong> Negation, <strong>der</strong> positiven Beziehung nach, die <strong>in</strong> ihr liegt,<br />

als das e<strong>in</strong>zig wahrhaft und e<strong>in</strong>zig Positive, <strong>der</strong> negativen Beziehung nach, die <strong>in</strong> ihr liegt, als den e<strong>in</strong>zig wahren Akt<br />

und Selbstbetätigungsakt des Se<strong>in</strong>s aufgefaßt hat, hat er nur den abstrakten, logischen und spekulativen Ausdruck für<br />

die Bewegung <strong>der</strong> Geschichte gefunden, die noch nicht wirkliche Geschichte des Menschen als e<strong>in</strong>es vorausgesetzten<br />

Subjekts, son<strong>der</strong>n erst Erzeugungsakt, Entstehungsgeschichte ist.* (Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik; S. 184)<br />

142. Marx’ eigene Ausführungen s<strong>in</strong>d lei<strong>der</strong> – sieht man von den zitierten Stellen ab – eher vage und verstreut. Und<br />

auch bei Hegel kann man übrigens – trotz des enormen Stellenwerts, den er <strong>der</strong> dialektiktischen Methode e<strong>in</strong>räumt<br />

– kaum von e<strong>in</strong>em explizit ausgearbeiteten Konzept sprechen.<br />

143. Sartre selbst (siehe zu se<strong>in</strong>em Dialektikkonzept auch unten) unterscheidet im E<strong>in</strong>leitungskapitel zwischen e<strong>in</strong>er<br />

positivistischen und die eigene Position aus <strong>der</strong> dialektischen Reflexion ausklammernden dogmatischen Dialektik<br />

und e<strong>in</strong>er offenen, auf die Freiheit gerichtenten (selbst-)kritischen Dialektik.<br />

144. Dazu Adorno explizit: +Dialektik als Verfahren heißt, um des e<strong>in</strong>mal an <strong>der</strong> Sache erfahrenen Wi<strong>der</strong>spruchs<br />

willen und gegen ihn <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchen zu denken. Wi<strong>der</strong>spruch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität, ist sie Wi<strong>der</strong>spruch gegen diese.<br />

Mit Hegel aber läßt solche Dialektik nicht mehr sich vere<strong>in</strong>en. Ihre Bewegung tendiert nicht auf die Identität <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Differenz jeglichen Gegenstandes von se<strong>in</strong>em Begriff; eher beargwöhnt sie Identisches. Ihre Logik ist die des Zerfalls:<br />

<strong>der</strong> zugerüsteten und vergegenständlichten Gestalt <strong>der</strong> Begriffe, die zunächst das erkennende Subjekt unmittelbar<br />

sich gegenüber hat. Deren Identität mit dem Subjekt ist die Unwahrheit.* (Negative Dialektik; S. 146)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!