Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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92 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 97. Schließt man sich Becks Perspektive an, so würde man ergänzen, daß durch die gesteigerte Widersprüchlichkeit/- Reflexivität des Modernisierungsprozesses das reflexive Element zunehmend an Gewicht gewinnt (wobei meines Erachtens jedoch die Kapazität des +Systems* zur Deflexion der reflexiven Herausforderungen von ihm unterschätzt wird). 98. Für die Freudsche Triade +Ich, Es, Über-Ich* hat sich im Englischen die Übersetzung +ego* (Ich), +id* (Es) und +super-ego* (Über-Ich) etabliert. 99. Giddens spricht freilich, wie erläutert, ohnehin von einer +Dualität von Struktur* bzw. von einer in die sozialen Systeme eingelassenen +Dialektik der Herrschaft*, die darin besteht, daß alle Formen von Abhängigkeit +gewisse Ressourcen zur Verfügung [stellen], mit denen die Unterworfenen die Aktivitäten der ihnen Überlegenen beeinflussen können* (Die Konstitution der Gesellschaft; S. 67). 100. Beck spricht im Kontext seiner Ausführungen zur +Gegenmoderne* ganz ähnlich von +hergestellter Fraglosigkeit* (vgl. Die Erfindung des Politischen; S. 100ff.). 101. Vor allem kann Deflexion eine kurzfristige Entlastung von Reflexionsaufwand bewirken, wenn dieser aus Mangel an kognitiven oder Zeitressourcen aktuell nicht aufgebracht werden kann. 102. Bezöge man zusätzlich die – keinesfalls zu vernachlässigende – Ebene der Emotion mit ein, so stünden auf der Reflexionsseite emotionale Offenheit und Empathie und auf der Deflexionsseite Anti-Intrazeption und Verdrängung. 103. Holbach bemerkt z.B. in seiner Schrift +Système de la nature* (1820): +Die Obrigkeit ist gewöhnlich daran interessiert, daß einmal verbreitete Meinungen bestehen bleiben. Die Vorurteile und Irrtümer, die sie für notwendig erachtet, um ihre Macht zu sichern, werden mit der Gewalt, bei der es kein langes Überlegen gibt, aufrecht erhalten.* (S. 57) Weitere Ausführungen Holbachs finden sich – wie eine ganze Reihe anderer für die Ideologie-Diskussion relevanter Texte – (in Auszügen) in dem von Kurt Lenk herausgegebenen Band +Ideologie* (1984). 104. Sehr ähnlich dazu formulierte übrigens Louis Althusser: +Die Ideologie stellt das imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren wirklichen Lebensverhältnissen dar.* (Ideologie und ideologische Staatsapparate; S. 147) 105. Wir haben es also bei Ideologien bzw. ideologischen Narrationen/Metaerzählungen mit +Mythen* bzw. mythologischen +Metasprachen* im Sinne Roland Barthes zu tun, die eine zweite Bedeutungsebene etablieren, mit der die zugrunde liegende Bedeutungsebene verschleiert wird (vgl. Mythen des Alltags; S. 92ff.). Der Mythologe sucht im (politischen) Bestreben einer (positiven) Aufhebung der Wirklichkeit nach diesen verdeckten Bedeutungen (vgl. ebd.; S. 147ff.). 106. Als Beispiele für strukturelle Kopplungen zwischen einzelnen Subsystemen nennt Luhmann Steuern (Politik–Wirtschaft), Eigentum (Recht–Wirtschaft) und die Verfassung (Politik–Recht) etc. (vgl. Die Gesellschaft der Gesellschaft; S. 781ff.). 107. Bernhard Giesen spricht im Zusammenhang mit dem Prozeß der funktionalen Differenzierung auch von einer Verselbständigung der Codes. Die somit erfolgende Entkopplung von Code, Prozeß und Situation bewirkt eine (problematische) +Entdinglichung des Sozialen* (1991). 108. Selbst diese Aussage gilt freilich nur, wenn man sich auf die aktuellen Ausformulierung konzentriert. Betrachtet man dagegen Luhmanns Œuvre als zusammenhängendes Denk-System, so stellen selbst wohlwollende Kritiker fest, daß es sich um ein kaum kohärentes, äußerst +brüchiges* Theoriekonstrukt handelt, indem Luhmann zugleich auf einen +linearen* und einen autopoietischen Systembegriff rekurriert (vgl. z.B. Obermeier: Zweck – Funktion – System; S. 225ff.). 109. Beim Vergleich mit meinen obigen Ausführungen gilt es allerdings zu beachten, daß Habermas sich auf weit frühere Texte Luhmanns bezieht. 110. Mit den +konstruktivistischen Perspektiven*beschäftigt sich insbesondere der Band 5 der +Soziologischen Aufklärung*.

A: ANMERKUNGEN 93 111. Dieser ideologische Charakter ist freilich, um es nochmals zu betonen, nicht objektiv aufzuweisen, sondern kann, wie oben dargelegt wurde, nur – in (An-)Deutungen – plausibel gemacht werden. 112. Eine interessante biographische +Fußnote* stellt – vor allem im Hinblick auf die folgenden Ausführungen – allerdings die Tatsache dar, daß Luhmann seine professionelle Karriere eben nicht als Wissenschaftler, sondern als Bürokrat im ministerellen System Niedersachsens begann (und somit vielleicht auch eine andere Semantik als die wissenschaftliche verinnerlicht hat). 113. Schulte orientiert sich bei seiner Darstellung eng an von Luhmann verwendeten Metaphern und deckt sehr gründlich und detailliert deren latente Gehalte auf. Diese Detailtreue muß hier leider zugunsten einer größeren Prägnanz geopfert werden. 114. In dem angegebenen Aufsatz bemerkt Luhmann: +Das humanistische Vorurteil [daß sich Wissenschaft am Menschen zu orientieren hätte] scheint, gerade weil es so natürlich und traditionsgesichert auftreten kann, zu den ›obstacles épistemologiques‹ zu gehören, die den Zugang zu einer komplexeren Beschreibung der modernen Gesellschaft blockieren […]* (S. 168). Deshalb müssen, wie er an anderer Stelle des Sammelbands bemerkt, dem der zitierte Text entnommen ist, +Traditionsbegriffe wie Subjekt und Person zurechtgerückt oder ganz aufgegeben werden* (Die Soziologie und der Mensch [Soziologische Aufklärung, Band 6]; S. 11). 115. Es heißt hier: +Der Beobachter ist […] kein ›Subjekt‹, wenn man diese Bezeichnung aus dem Unterschied zum Objekt gewinnt. Aber er ist die Realität seiner eigenen Operationen, was aber nur durch eine weitere Beobachtung festgestellt werden kann, die ihn als [Sub-]System in einer Umwelt [dem Sozialsystem] auffaßt.* (S. 78) 116. Als eine Person, die insbesondere aufrund ihres +andersartigen*, dunkelhäutigen Aussehens, aber auch wegen ihrer minoritären Ansichten häufiger Erfahrungen der Diskriminierung machen muß, fühle ich mich diesem peripheren, randständigen Blickwinkel, den Luhmann ausklammert, besonders verpflichtet. 117. Diese Logik wird selbst auf den Bereich der +Intimität* von Luhmann angewandt. So wird Liebe konsequent auch nicht als Emotion betrachtet. Vielmehr gilt sie ihm als (abstrakter) symbolischer Code, der im Lauf der sozialen Evolution unterschiedliche Bedeutungen angenommen hat und die (konkreten) Gefühle der Individuen dementsprechend unterschiedlich formte (vgl. Liebe als Passion; S. 9ff.). Es kursiert übrigens das Gerücht, daß dieser Text die Verarbeitung einer gescheiterten Beziehung Luhmanns darstellt. 118. An der zitierten Stelle heißt es: +Wenn das Individuum durch Technik derart [durch Entfremdungsprozesse] maginalisiert wird, gewinnt es die Distanz, die es möglich macht, das eigene Beobachten zu beobachten. Es weiß nicht mehr nur sich selbst […] statt dessen gewinnt es die Möglichkeit einer Beobachtung zweiter Ordnung. Individuum im modernen Sinn ist, wer sein eigenes Beobachten beobachtet.* 119. Im Rahmen seiner Ausführungen zur +Ökologische[n] Kommunikation* (1988) bemerkt Luhmann übrigens bezeichnenderweise, daß er Angst als +Störfaktor im sozialen System* betrachtet (S. 240). Durch den Appell an die Angst wird die soziale Kommunikation nämlich mit Moral aufgeladen – womit gemäß Luhmann eine rationale Entscheidungsfindung unmöglich wird (vgl. ebd.; S. 245f.). Durch die deflexive Negierung der (eigenen) Angst, die offenbar nicht ausgehalten werden kann und die zu kritischen Reflexionen im Sinn eines reflexiven Handelns zwingen würde, wird so – ganz in der Tradition der neuzeitlichen Aufklärung – versucht, einen Rückhalt im rationalen Diskurs zu finden. Mit Etzioni möchte ich dagegen auf die bedeutende Rolle normativ-affektiver Faktoren für jede Art von Entscheidungsfindung (und als unabdingbare Selektionsgrundlage gerade für rationale Entscheidungsprozesse) verweisen (vgl. The Moral Dimension; Abschnitt II). 120. Luhmanns Reflexionsbegriff, der im Wesentlichen mit ebendieser Selbstbezüglichkeit zusammenfällt (siehe hierzu auch S. LXXVf.), ist selbst jedoch natürlich nicht reflexiv im hier definierten Sinn, sondern erfüllt im Gegenteil, wie oben dargelegt wurde, die deflexiv-ideologische Funktion, in der Thematisierung der Selbstbezüglichkeit der Systeme den eigenen Selbstbezug zu eliminieren. 121. Sloterdijk bemerkt übrigens explizit gegen den Funktionalismus gerichtet: +Jede soziologische Systemtheorie, die ›Wahrheit‹ funktionalistisch behandelt […], birgt ein mächtiges zynisches Potential […] Der Marxismus […] bewahrte immerhin eine Ambivalenz zwischen verdinglichenden und emanzipatorischen Perspektiven. Nichtmarxistische Systemtheorien der Gesellschaft lassen noch die letzte Empfindlichkeit fallen.* (Kritik der zynischen Vernunft; S. 63)

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97. Schließt man sich Becks Perspektive an, so würde man ergänzen, daß durch die gesteigerte Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit/-<br />

Reflexivität des Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesses das reflexive Element zunehmend an Gewicht gew<strong>in</strong>nt (wobei me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

jedoch die Kapazität des +Systems* zur Deflexion <strong>der</strong> reflexiven Herausfor<strong>der</strong>ungen von ihm unterschätzt wird).<br />

98. Für die Freudsche Triade +Ich, Es, Über-Ich* hat sich im Englischen die Übersetzung +ego* (Ich), +id* (Es) und<br />

+super-ego* (Über-Ich) etabliert.<br />

99. Giddens spricht freilich, wie erläutert, ohneh<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>er +Dualität von Struktur* bzw. von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> die sozialen<br />

Systeme e<strong>in</strong>gelassenen +Dialektik <strong>der</strong> Herrschaft*, die dar<strong>in</strong> besteht, daß alle Formen von Abhängigkeit +gewisse Ressourcen<br />

zur Verfügung [stellen], mit denen die Unterworfenen die Aktivitäten <strong>der</strong> ihnen Überlegenen bee<strong>in</strong>flussen können*<br />

(Die Konstitution <strong>der</strong> Gesellschaft; S. 67).<br />

100. Beck spricht im Kontext se<strong>in</strong>er Ausführungen zur +Gegenmo<strong>der</strong>ne* ganz ähnlich von +hergestellter Fraglosigkeit*<br />

(vgl. Die Erf<strong>in</strong>dung des Politischen; S. 100ff.).<br />

101. Vor allem kann Deflexion e<strong>in</strong>e kurzfristige Entlastung von Reflexionsaufwand bewirken, wenn dieser aus Mangel<br />

an kognitiven o<strong>der</strong> Zeitressourcen aktuell nicht aufgebracht werden kann.<br />

102. Bezöge man zusätzlich die – ke<strong>in</strong>esfalls zu vernachlässigende – Ebene <strong>der</strong> Emotion mit e<strong>in</strong>, so stünden auf <strong>der</strong><br />

Reflexionsseite emotionale Offenheit und Empathie und auf <strong>der</strong> Deflexionsseite Anti-Intrazeption und Verdrängung.<br />

103. Holbach bemerkt z.B. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift +Système de la nature* (1820): +Die Obrigkeit ist gewöhnlich daran <strong>in</strong>teressiert,<br />

daß e<strong>in</strong>mal verbreitete Me<strong>in</strong>ungen bestehen bleiben. Die Vorurteile und Irrtümer, die sie für notwendig erachtet,<br />

um ihre Macht zu sichern, werden mit <strong>der</strong> Gewalt, bei <strong>der</strong> es ke<strong>in</strong> langes Überlegen gibt, aufrecht erhalten.* (S. 57)<br />

Weitere Ausführungen Holbachs f<strong>in</strong>den sich – wie e<strong>in</strong>e ganze Reihe an<strong>der</strong>er für die Ideologie-Diskussion relevanter<br />

Texte – (<strong>in</strong> Auszügen) <strong>in</strong> dem von Kurt Lenk herausgegebenen Band +Ideologie* (1984).<br />

104. Sehr ähnlich dazu formulierte übrigens Louis Althusser: +Die Ideologie stellt das imag<strong>in</strong>äre Verhältnis <strong>der</strong> Individuen<br />

zu ihren wirklichen Lebensverhältnissen dar.* (Ideologie und ideologische Staatsapparate; S. 147)<br />

105. Wir haben es also bei Ideologien bzw. ideologischen Narrationen/Metaerzählungen mit +Mythen* bzw. mythologischen<br />

+Metasprachen* im S<strong>in</strong>ne Roland Barthes zu tun, die e<strong>in</strong>e zweite Bedeutungsebene etablieren, mit <strong>der</strong> die<br />

zugrunde liegende Bedeutungsebene verschleiert wird (vgl. Mythen des Alltags; S. 92ff.). Der Mythologe sucht im<br />

(politischen) Bestreben e<strong>in</strong>er (positiven) Aufhebung <strong>der</strong> Wirklichkeit nach diesen verdeckten Bedeutungen (vgl. ebd.;<br />

S. 147ff.).<br />

106. Als Beispiele für strukturelle Kopplungen zwischen e<strong>in</strong>zelnen Subsystemen nennt Luhmann Steuern<br />

(<strong>Politik</strong>–Wirtschaft), Eigentum (Recht–Wirtschaft) und die Verfassung (<strong>Politik</strong>–Recht) etc. (vgl. Die Gesellschaft <strong>der</strong><br />

Gesellschaft; S. 781ff.).<br />

107. Bernhard Giesen spricht im Zusammenhang mit dem Prozeß <strong>der</strong> funktionalen Differenzierung auch von e<strong>in</strong>er<br />

Verselbständigung <strong>der</strong> Codes. Die somit erfolgende Entkopplung von Code, Prozeß und Situation bewirkt e<strong>in</strong>e<br />

(problematische) +Entd<strong>in</strong>glichung des Sozialen* (1991).<br />

108. Selbst diese Aussage gilt freilich nur, wenn man sich auf die aktuellen Ausformulierung konzentriert. Betrachtet<br />

man dagegen Luhmanns Œuvre als zusammenhängendes Denk-System, so stellen selbst wohlwollende Kritiker fest,<br />

daß es sich um e<strong>in</strong> kaum kohärentes, äußerst +brüchiges* Theoriekonstrukt handelt, <strong>in</strong>dem Luhmann zugleich auf<br />

e<strong>in</strong>en +l<strong>in</strong>earen* und e<strong>in</strong>en autopoietischen Systembegriff rekurriert (vgl. z.B. Obermeier: Zweck – Funktion – System;<br />

S. 225ff.).<br />

109. Beim Vergleich mit me<strong>in</strong>en obigen Ausführungen gilt es allerd<strong>in</strong>gs zu beachten, daß Habermas sich auf weit<br />

frühere Texte Luhmanns bezieht.<br />

110. Mit den +konstruktivistischen Perspektiven*beschäftigt sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Band 5 <strong>der</strong> +Soziologischen Aufklärung*.

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