Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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LX POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Diskussion von Bells Thesen kurz angesprochen wurde: Im Kern wird auch die postindustrielle Gesellschaft Industriegesellschaft bleiben, so wie die industrielle Gesellschaft im Kern Agrar- gesellschaft geblieben ist. Denn in der Zukunft ist das Wissen (genau wie in der Vergangenheit) – ökonomisch betrachtet – nur Mittel zum Zweck der Bereitstellung der materiellen Basis in der (trivialen) Form von Nahrungsmitteln und Konsumgütern, die durch keine Überbau- konstruktion zu ersetzen sind. Selbst die S(t)imulation im Simulakrum ist auf den Simulator angewiesen und auch die +virtuelle Realität* der Netze und des +Cyberspace* ist ganz real Hardware-abhängig. Allerdings: Die aktuell festzustellende Ausdehnung des Kommunikations- und Informationssektors wird weiterhin und verstärkt für einen tiefgründigen sozialen Wandel sorgen. Deshalb möchte ich in kritischer Anlehnung an Becks These von der anderen, der nicht mehr industriegesell- schaftlichen +zweiten Moderne* (siehe auch nochmals S. XLIII) die These von einer anderen Industriegesellschaft aufstellen, die jedoch erst im weiteren Verlauf schärfere Konturen gewinnen wird. Das Schlüsselargument wurde ja bereits oben genannt – auch die postindustrielle Gesell- schaft muß im Kern Industriegesellschaft bleiben, weil jede Gesellschaft auf die Produktion von Gütern angewiesen ist und gerade die postindustrielle Wissens- und Kommunikationsgesell- schaft eine industrielle Grundversorgung (nicht nur mit Kommunikationstechnologie) verlangt. Die Transformation bezieht sich also eher auf die dominante äußere Form (immaterielle Produktion), denn auf die innere Logik ihrer Ökonomie (materielle Akkumulation). Daher ergibt sich eine Spannung zwischen Form und Inhalt der Ökonomie. Diese Spannung läßt die Industriegesellschaft paradox werden: Wir haben es mit einer postindustriellen Industrie- gesellschaft zu tun. In einem ganz ähnlichen Sinn wurde bereits zu Beginn dieses Abschnitts dargelegt, daß weiter- gehende Modernisierung – aufgrund der Widersprüchlichkeit des Modernisierungsprozesses – zur Steigerung auch der gesellschaftlichen Widersprüche führt (siehe S. XLII). Differenzierung und Individualisierung, Rationalisierung und Domestizierung machen nicht etwa Halt, sondern gewinnen nur an Ambivalenz. Und auch wenn es, wie immer häufiger zu beobachten ist, zu gegenmodernen Reflexen durch einen erstarkenden Fundamentalismus und Ethnonationalismus kommt, ist mit dem Ende der Moderne als weitere zivilisatorisch-technische und sozial-kulturelle Modernisierung (so schnell) nicht zu rechnen. Die also gerade durch fortschreitende Moderni- sierungsprozesse vielfach widersprüchliche gewordene Situation ist nicht geeignet den Gang

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? LXI der Geschichte zum Stillstand zu bringen, sondern enthält im Gegenteil ein erhebliches Konfliktpotential. Postmoderne kann meiner Meinung nach deshalb nicht einfach als Posthistoire, als die bedeutungslose Wiederkehr des immer Gleichen aufgefaßt werden. Noch schwerer freilich wiegt ein anderer Einwand: Erst durch die Historisierung der Moderne, die sich selbst schließlich nicht als historisch, sondern gerade als posthistoristisch begreift (siehe nochmals S. XIIIf. und vgl. auch Sloterdijk: Nach der Geschichte; S. 272), kann die Postmoderne als Posthistoire in Erscheinung treten. In diesem Sinn wäre die Postmoderne geradezu die Erfüllung des Anspruchs der Moderne auf Überzeitlichkeit. Damit aber zeigt sich: Die Postmoderne, als Einstellung zur Moderne und ihres +Zeithorizonts*, war als Möglichkeit (nicht als Telos) schon immer in der Moderne enthalten. Oder von der anderen Seite betrachtet: Sie hat die Moderne zur Voraussetzung. Ohne Moderne kein(e) +Post*. 118 Hiermit ist gleichzeitig eine wichtige Unterscheidung angedeutet. Man kann (Post-)Moderne zum einen auf strukturell-soziologischer Ebene konzeptionalisieren, was sich in Begriffen wie +Differenzierung*,+Individualisierung*,+postindustrielle Gesellschaft*und +Kommunikationsgesell- schaft* etc. ausdrückt. Zum anderen gibt es die Bewußtseinsdimension des (post)modernen Denkens, das seine Wurzeln in der Ambivalenz des Rationalisierungs- und Domestizierungs- prozesses hat. Je nach der Ausprägung dieses Bewußtseins, das die stattfindenden strukturellen Veränderungen spiegelt oder, indem es sie durch ihr Erkennen in einer bestimmten Weise (re)konstruiert, auch vielleicht nur vorspiegelt, kann man von einer euphorischen oder einer skeptischen Postmoderne sprechen – wobei es meines Erachtens allerdings wünschenswert wäre, daß eine +authentische* Postmoderne, d.h. eine sich auf sich selbst beziehende, reflexive Moderne, an die Stelle einseitiger Euphorie und Skepsis tritt. Was mit diesem seltsam anmuten- den Begriff einer +authentischen* Postmoderne genau gemeint ist, wird jedoch erst zum Schluß dieses Prologs näher erläutert werden. Zunächst sollen einige exemplarisch ausgewählte Posi- tionen der euphorischen und der skeptischen Postmoderne kurz dargelegt werden.

LX POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

Diskussion von Bells Thesen kurz angesprochen wurde: Im Kern wird auch die post<strong>in</strong>dustrielle<br />

Gesellschaft Industriegesellschaft bleiben, so wie die <strong>in</strong>dustrielle Gesellschaft im Kern Agrar-<br />

gesellschaft geblieben ist. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft ist das Wissen (genau wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit)<br />

– ökonomisch betrachtet – nur Mittel zum Zweck <strong>der</strong> Bereitstellung <strong>der</strong> materiellen Basis<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> (trivialen) Form von Nahrungsmitteln und Konsumgütern, die durch ke<strong>in</strong>e Überbau-<br />

konstruktion zu ersetzen s<strong>in</strong>d. Selbst die S(t)imulation im Simulakrum ist auf den Simulator<br />

angewiesen und auch die +virtuelle Realität* <strong>der</strong> Netze und des +Cyberspace* ist ganz real<br />

Hardware-abhängig.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs: Die aktuell festzustellende Ausdehnung des Kommunikations- und Informationssektors<br />

wird weiterh<strong>in</strong> und verstärkt für e<strong>in</strong>en tiefgründigen sozialen Wandel sorgen. Deshalb möchte<br />

ich <strong>in</strong> kritischer Anlehnung an Becks These von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> nicht mehr <strong>in</strong>dustriegesell-<br />

schaftlichen +zweiten Mo<strong>der</strong>ne* (siehe auch nochmals S. XLIII) die These von e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

Industriegesellschaft aufstellen, die jedoch erst im weiteren Verlauf schärfere Konturen gew<strong>in</strong>nen<br />

wird. Das Schlüsselargument wurde ja bereits oben genannt – auch die post<strong>in</strong>dustrielle Gesell-<br />

schaft muß im Kern Industriegesellschaft bleiben, weil jede Gesellschaft auf die Produktion<br />

von Gütern angewiesen ist und gerade die post<strong>in</strong>dustrielle Wissens- und Kommunikationsgesell-<br />

schaft e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dustrielle Grundversorgung (nicht nur mit Kommunikationstechnologie) verlangt.<br />

Die Transformation bezieht sich also eher auf die dom<strong>in</strong>ante äußere Form (immaterielle<br />

Produktion), denn auf die <strong>in</strong>nere Logik ihrer Ökonomie (materielle Akkumulation). Daher<br />

ergibt sich e<strong>in</strong>e Spannung zwischen Form und Inhalt <strong>der</strong> Ökonomie. Diese Spannung läßt<br />

die Industriegesellschaft paradox werden: Wir haben es mit e<strong>in</strong>er post<strong>in</strong>dustriellen Industrie-<br />

gesellschaft zu tun.<br />

In e<strong>in</strong>em ganz ähnlichen S<strong>in</strong>n wurde bereits zu Beg<strong>in</strong>n dieses Abschnitts dargelegt, daß weiter-<br />

gehende Mo<strong>der</strong>nisierung – aufgrund <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit des Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesses<br />

– zur Steigerung auch <strong>der</strong> gesellschaftlichen Wi<strong>der</strong>sprüche führt (siehe S. XLII). Differenzierung<br />

und Individualisierung, Rationalisierung und Domestizierung machen nicht etwa Halt, son<strong>der</strong>n<br />

gew<strong>in</strong>nen nur an Ambivalenz. Und auch wenn es, wie immer häufiger zu beobachten ist,<br />

zu gegenmo<strong>der</strong>nen Reflexen durch e<strong>in</strong>en erstarkenden Fundamentalismus und Ethnonationalismus<br />

kommt, ist mit dem Ende <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne als weitere zivilisatorisch-technische und sozial-kulturelle<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung (so schnell) nicht zu rechnen. Die also gerade durch fortschreitende Mo<strong>der</strong>ni-<br />

sierungsprozesse vielfach wi<strong>der</strong>sprüchliche gewordene Situation ist nicht geeignet den Gang

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