09.12.2012 Aufrufe

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

82 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

KAPITEL 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN<br />

1. Die emanzipatorische Orientierung <strong>der</strong> Kritischen Theorie am befreienden Potential <strong>der</strong> +Wahrheit* verbunden<br />

mit dem latent immer noch bestehenden Glauben, daß die Vernunft fähig wäre, Zwecke s<strong>in</strong>nvoll zu bestimmten,<br />

anstatt bloßes Mittel zu se<strong>in</strong>, ist <strong>der</strong> Anlaß für die explizite Kritik an <strong>der</strong> nicht mehr objektiven, son<strong>der</strong>n subjektiven<br />

Vernunft bzw. Philosophie <strong>der</strong> neuzeitlichen Aufklärung. An diesem Wendepunkt beg<strong>in</strong>nt die +Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung*<br />

(Horkeimer/Adorno 1944) ihr katastrophales Potential zu entfalten. So stellt Horkheimer se<strong>in</strong>er Schrift +Zur Kritik<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentellen Vernunft* (1947) zwar fest: +Der positivistische Angriff auf gewisse kalkulierte und künstliche<br />

Wie<strong>der</strong>belebungen veralteter Ontologien ist zweifellos berechtigt.* (S. 65) An<strong>der</strong>erseits kritisiert er: +In <strong>der</strong> Neuzeit<br />

hat die Vernunft e<strong>in</strong>e Tendenz entfaltet, ihren eigenen objektiven Inhalt aufzulösen.* (Ebd.; S. 23) Und an späterer<br />

Stelle heißt es gar: +Der Verdienst des [neuzeitlichen] Positivismus besteht dar<strong>in</strong>, daß er den Kampf <strong>der</strong> Aufklärung<br />

gegen Mythologien <strong>in</strong> den geheiligten Bezirk <strong>der</strong> traditionellen Logik getragen hat. Jedoch können die Positivisten<br />

wie die mo<strong>der</strong>nen Mythologen beschuldigt werden, e<strong>in</strong>em Zweck zu dienen, anstatt ihn zugunsten <strong>der</strong> Wahrheit<br />

[!] aufzugeben.* (S. 88) Damit ist Aufklärung laut Horkheimer und Adorno also selbst zum Mythos geworden, und<br />

+wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich <strong>in</strong> Mythologie*<br />

(Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung; S. 18). Erst im Spätwerk Adornos, <strong>in</strong> <strong>der</strong> +Negative[n] Dialektik* (1966), wird diese Figur<br />

<strong>der</strong> geschichtsphilosophischen Metaerzählung, die sich ihrer übergeordeten historischen Wahrheit gewiß ist, zugunsten<br />

e<strong>in</strong>er radikal reflexiven, je<strong>der</strong> Totalisierung sich entziehenden +kritischen Hermeneutik des Individuellen* aufgegeben<br />

(vgl. hierzu auch Schnädelbach: Die Aktualität <strong>der</strong> Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung).<br />

2. Auch im (postmo<strong>der</strong>nen) Bewußtse<strong>in</strong>, daß Realität immer konstruierte Realität bedeutet, kann und darf also nicht<br />

darauf verzichtet werden, sich (reflektierend-kritisch) auf die Welt <strong>in</strong> <strong>der</strong> wir leben zu beziehen. Vielmehr ist, gerade<br />

um sozialen Wandel zu <strong>in</strong>itiieren und Prozesse des +Empowerment* zu ermöglichen, nach den Bed<strong>in</strong>gungen zu fragen,<br />

unter denen diese Realität konstruiert und konstituiert wird – und nur im diesem S<strong>in</strong>n entspricht die kritisch-dialektische<br />

Theorie reflexiver Mo<strong>der</strong>nisierung, wie sie hier im folgenden entworfen werden soll, dem Programm von Roy Bhaskars<br />

<strong>in</strong> dem zitierten Band dargelegten +kritischen Realismus* (vgl. Reclaim<strong>in</strong>g Reality; <strong>in</strong>sb. S. 2f.). Welche Rolle <strong>in</strong> diesem<br />

emanzipatorischenZusammenhangwie<strong>der</strong>umkritischeTheoriespielt,hatHorkheimerdargelegt:+Philosophiekonfrontiert<br />

das Bestehende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em historischen Zusammenhang mit dem Anspruch se<strong>in</strong>er begrifflichen Pr<strong>in</strong>zipien, um die<br />

Beziehung zwischen beiden zu kritisieren und so über sie h<strong>in</strong>auszugehen. Philosophie hat ihren positiven Charakter<br />

gerade am Wechselspiel dieser beiden negativen Verfahren. Die Negation spielt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie [also] e<strong>in</strong>e<br />

entscheidende Rolle […] E<strong>in</strong>e Philosophie, <strong>der</strong> die Negation als Element eignet, darf [allerd<strong>in</strong>gs] nicht mit Skeptizismus<br />

gleichgesetzt werden. Dieser bedient sich <strong>der</strong> Negation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er formalistischen und abstrakten Weise. Die Philosophie<br />

nimmt die bestehenden Werte ernst, <strong>in</strong>sistiert aber darauf, daß sie zu Teilen e<strong>in</strong>es theoretischen Ganzen werden,<br />

das ihre Relativität offenbart.* (Zur Kritik <strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentellen Vernunft; S. 170)<br />

3. Ryan führt hier (1982) aus, daß e<strong>in</strong> nicht-totalitärer Marxismus vom dekonstruktivistischen Differenzdenken profitieren<br />

könnte, da mit <strong>der</strong> Dezentrierung nicht mehr nur das (vere<strong>in</strong>heitlichte, objektivierte) +Subjekt* des <strong>in</strong>dustriellen Proletariats<br />

im alle<strong>in</strong>igen Zentrum des kritischen Denkens steht, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>en Stimmen Raum gegeben wird (vgl. Marxism<br />

and Deconstruction; S. 114f.). Auch Fredrik Jameson hat – obwohl er e<strong>in</strong>en sehr kritischen Blick auf die verflachte<br />

(Kultur-)Welt des Spätkapitalismus wirft – durchaus Geschmack am Konsum poststrukturalistischer Theorieware gefunden<br />

(vgl. <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism; S. 297ff.). An<strong>der</strong>e l<strong>in</strong>ksgerichtete Autoren goutieren<br />

diese jedoch weniger aufgeschlossen. Terry Eagleton z.B. stellt zwar e<strong>in</strong>erseits den überwiegend oppositionellen,<br />

antimonistischen Charakter des postmo<strong>der</strong>nistischen Denkens heraus. An<strong>der</strong>erseits verweist er gleichzeitig auf dessen<br />

Unfähigkeit, die harte +Realität* <strong>der</strong> kapitalistischen Ordnung zu reflektieren und zu transzendieren (vgl. Die Illusionen<br />

<strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne; S. 174ff. und siehe auch nochmals Anmerkung 139, Entrée). Er führt deshalb (im Anschluß an Marx,<br />

Nietzsche und Freud) gegen die postmo<strong>der</strong>nen, +entd<strong>in</strong>glichten* Ideologien des Ästhetischen die materielle Wi<strong>der</strong>ständigkeit<br />

des Körperlichen und <strong>der</strong> +S<strong>in</strong>nlichkeit* <strong>in</strong>s Feld (vgl. The Ideologie of the Aesthetic; S. 196ff. u. S. 409ff.)<br />

– und trifft sich dar<strong>in</strong> mit neueren Überlegungen Ryans (vgl. Body Politics; XIff.). Man kann jedoch gerade <strong>in</strong> dieser<br />

Figur auch e<strong>in</strong>en Berührungspunkt zum Ansatz Foucaults sehen (vgl. Strasen: Marxistische Ideologiekritik mit poststrukturalistischen<br />

Mitteln). Ich selbst werde, was den möglichen Ansatzpunkt für e<strong>in</strong>e kritische Überschreitung betrifft, eher<br />

die reflexiven Wi<strong>der</strong>standspotentiale e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> ambivalenter Nichtidentität +authentischen* Selbst herausstellen (siehe<br />

Exkurs).<br />

4. E<strong>in</strong>e spielerische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Position Derridas (<strong>in</strong> Absetzung zur eher klassisch marxistischen Position<br />

Terry Eagletons) f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em kurzen Aufsatz +›Marx’ Gespenster‹ und ›Die Illusionen <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne‹* (1998).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!