Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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62 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 262. Zur Messung verwendete Inglehart einen relativ knappen Fragebogen mit 4 bzw. in der +Langversion* mit 12 Items (vgl. Kultureller Umbruch; S. 101). 263. Inglehart erhob bei dieser ersten Welle nur Daten in Großbritannien, Frankreich, der Bundesrepublik, Italien, Belgien und den Niederlanden. Später weite er seine Studie auf 22 (ab 1981) bzw. 43 (ab 1990) Staaten aus. 264. Dieser Trend wird auch durch die neuesten Daten Ingleharts bestätigt (vgl. Modernization and Postmodernization). Ich habe mich im folgenden nicht auf diese aktuelle Veröffentlichung bezogen, da sie mir erst nach Abschluß der Ausarbeitung dieses Abschnitts zugänglich wurde und keine wesentlichen Änderungen an Konzept und Befunden (bis auf eine Ausweitung der Studie auch auf Länder der +Dritten Welt* und Osteuropa) festzustellen sind, die es unabwendbar gemacht hätten, ein +Update* vorzunehmen. Zudem bezieht sich Klages mit seinen Anfang der 90er Jahre vorgebrachten wichtigen Relativierungen (siehe unten) natürlich auch auf Ingleharts +alte* Daten. 265. Leider gibt Inglehart keine exakten Prozentzahlen an. Seine graphische Darstellung vermittelt jedoch das klare Bild einer +Schere*. 266. Kurz gesagt: +Im Jahr 1973 überwogen die materialistischen Ziele die postmaterialistischen im Verhältnis zwei zu eins, 1988 nur noch im Verhältnis 1,5 zu eins.* (Kultureller Umbruch; S. 129) 267. Diese Aussage Ingleharts, welche den Wertewandel auch mit dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen in Verbindung bringt (siehe unten), steht übrigens genau konträr zu Agnes Hellers Position, für die die politischen Bewegungen in der Postmoderne ihren generativen Charakter und damit auch ihre scharfen Umrisse verloren haben: +Postmodernism is a wave within which all kinds of movements, artistic, political and cultural, are possible.* (Existentialism, Alienation, Postmodernism – Cultural Movements as Vehicles of Change in the Patterns of Everyday Life; S. 8) 268. Inglehart betont jedoch, daß es sich hier nicht um eine einsinnige Verknüpfung handelt, +denn die Werte reflektieren das subjektive Empfinden von Sicherheit und nicht die objektive wirtschaftliche Situation* (Kultureller Umbruch; S. 93). Andererseits ist dieses subjektive Empfinden vermutlich nicht völlig losgelöst von den +objektiven* Gegebenheiten. 269. In diesem Zusammenhang spricht Jürgen Gerhards von +Neue[n] Konfliktlinien in der Mobilisierung öffentlicher Meinung* (1993). Er will dabei eine +triadische Struktur* erkennen, wobei eine postmaterialistische Linke (neue Politik) der materialistischen Linken wie der materialistischen Rechten (alte Politik) gegenübersteht (vgl. Abb. 5, S. 47). Warum es allerdings keine postmaterialistische Rechte geben soll, bleibt ungeklärt. Die hier zitierten Ausführungen von Mayer-Tasch und Koslowski (siehe S. 201) belegen meiner Meinung nach, daß es eine solche durchaus gibt. 270. Ingleharts Daten zeigen, daß z.B. die Unterstützung für die Friedens- und die Umweltbewegung unter +Postmaterialisten* deutlich höher ist, als unter +Materialisten* (vgl. Kultureller Umbruch; Tab. 11.2 u. 11.4, S. 473 bzw. S. 475). 271. Der Begriff +politische Kultur* geht auf die amerikanischen Politikwissenschaftler Gabriel Almond und Sidney Verba zurück. Diese definieren im Rahmen ihres Anfang der 60er Jahre angestellten empirischen Vergleichs von fünf Demokratien (USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und Mexiko) politische Kultur als Bündel der politischen Orientierungen – untersucht wurde also die Einstellung der Bürger gegenüber dem politischen System sowie die Sicht der eigenen Rolle im System (vgl. The Civic Culture; S. 13). Dabei mag es kaum verwundern, daß der Typus der politischen Kultur, wie er nach Almond und Verba in den angelsächsischen Ländern überwiegend vorherrschend ist, als günstigste Grundlage für stabile demokratische Strukturen gefeiert wird, da die dort angeblich anzutreffende +zivile Kultur* mit ihrer +gesunden* Mischung aus Partizipationsbestreben und abwartender Gelassenheit am besten zu einer +modernen* repräsentativen Demokratie passe (vgl. ebd.; S. 473ff.). 272. Klages meint jedoch, daß man treffender von einem Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten sprechen sollte, da das von Inglehart gewählte Begriffspaar materialistisch–postmaterialistisch für ihn zu einseitig die ökonomische Dimension betont (vgl. Werteorientierungen im Wandel; S. 24f.). 273. Klages nennt als wichtigste Voraussetzung für die als Zukunftsentwicklung von ihm wohl favorisierte Wertesynthese eine +intakte* Gesellschaft, in der die funktional getrennten Subsysteme im Interesse des Ganzen zusammenwirken.

A: ANMERKUNGEN 63 274. Berthold Flaig, Geschäftsführer des Sinus-Instituts in Heidelberg, und Jörg Ueltzhöffer haben dieses Milieumodell entwickelt. Im zitierten Band, den sie zusammen mit Thomas Meyer verfaßt haben, geht es den Autoren um die +ästhetische Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation*, wobei auch die Unterschiede in der Milieu-Struktur zwischen Ost und West nach der Wiedervereinigung (die ich hier vernachlässigt habe) ins Blickfeld rücken. 275. Eine genaue Charakterisierung dieser neun Milieus, die ich mir wegen der weitgehend selbsterklärenden Terminologie hier gespart habe, kann bei Flaig, Meyer und Ueltzhöffer auf den Seiten 59–69 nachgelesen werden. 276. Im Original wird hier zwar eine genauere Differenzierung mit fünf Schichtungs- und Werteorientierungskategorien vorgenommen, doch, wie gesagt, grob läßt sich das SINUS-Modell so darstellen (vgl. auch Vester et al.: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel; S. 22ff.). 277. Zur Ökologiebewegung wurden in Abschnitt 2.3 bereits einige (kritische) Bemerkungen gemacht, auf die ich an dieser Stelle nochmals verweisen möchte. 278. Einen guten allgemeinen, zur Einführung geeigneten Überblick zum Phänomen der neuen sozialen Bewegungen und der mit ihnen verbundenden Transformation der politischen Kultur gibt Alan Scott in seinem Beitrag +Political Culture and Social Movements* in dem Band +Political and Economic Forms of Modernity* (Allen/Braham/Lewis 1993). 279. Gramsci betont hier die Bedeutung der Kultur gegenüber der einseitigen Fixierung auf die Praxis, denn nur durch ein kulturelles Bewußtsein kann die Basis für eine revolutionäre Bewegung geschaffen werden: +Kultur […] ist Gewinnen eines höheren Bewußtseins, durch das man den eigenen historischen Wert, die eigene Funktion im Leben, die eigenen Rechte und Pflichten zu begreifen vermag […] jeder Revolution ging eine intensive kritische Arbeit der geistigen Durchdringung, der Ausstrahlung von Ideen auf Menschengruppierungen voraus […]* (Sozialismus und Kultur; S. 8f.) 280. Entgegen dem +funktionalistischen Paradigma* (Moscovici zählt dazu sogar die Psychoanalyse) ist nicht immer nur ein sozialer Anpassungsdruck an die Mehrheit festzustellen. Als Gegenpol zu dieser +asymmetrischen* Sicht schlägt Moscovici eine +symmetrische* Interpretation sozialer Beziehungen vor, und gerade im Prozeß des sozialen Wandels spielen Minderheiten eine eminent wichtige Rolle. Diese können Wandel bewirken, da sie mittels der Thematisierung ihrer Ziele und Wünsche und über ihr Konfliktpotential soziale Innovation in Gang setzten. 281. So lautet der Titel sowohl des Sammelbands, dem der oben zitierte Artikel entnommen wurde, wie auch eines Beitrags von Guggenberger. 282. DieseArgumentationsfigur von Giddensweist übrigens eine erstaunlicheÜbereinstimmung mit der oben dargestellten Position von Laclau und Mouffe auf, die aber von Giddens nicht als Referenz genannt werden. 283. Almond und Verba verstehen unter einer +zivilen Kultur* eine aktive, partizipatorische (doch das System grundsätzlich bejahende) politische Kultur, von der sie eine passive Untertanenkultur abgrenzen (siehe auch Anmerkung 271). 284. Es handelt sich bei diesem in der +Sozialen Welt* veröffentlichten Text um das Redemanuskript eines Vortrags Touraines, den er auf dem Soziologentag in Bamberg 1983 gehalten hat. 285. Für Joachim Raschke greift diese von Touraine, Blumer und vielen anderen gleichermaßen getroffene Bestimmung allerdings zu kurz. Er definiert den Begriff +soziale Bewegung* folgendermaßen: Eine +soziale Bewegung ist ein kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen* (Zum Begriff der sozialen Bewegung; S. 21), wobei sich neue soziale Bewegungen im Gegensatz zu den sozialen Bewegungen der Vergangenheit eher +themenspezifisch* als +richtungsspezifisch* differenzieren lassen (vgl. ebd.; S. 25). Raschke meint damit, daß sich innerhalb der neuen sozialen Bewegungen zwar +linke* und +rechte* Positionen ausmachen lassen, diese aber nicht als Grundlage der Differenzierung in Teilbewegungen dienen können. Dafür sind eher thematische Gesichtspunkte geeignet: Ökologie, Atomenergie, Frauen, Frieden etc. Innerhalb der Arbeiterbewegung ließ sich z.B. dagegen noch sehr wohl nach katholischen, sozialdemokratischen, kommunistischen und anarchistischen Teilbewegungen unterscheiden.

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262. Zur Messung verwendete Inglehart e<strong>in</strong>en relativ knappen Fragebogen mit 4 bzw. <strong>in</strong> <strong>der</strong> +Langversion* mit 12<br />

Items (vgl. Kultureller Umbruch; S. 101).<br />

263. Inglehart erhob bei dieser ersten Welle nur Daten <strong>in</strong> Großbritannien, Frankreich, <strong>der</strong> Bundesrepublik, Italien,<br />

Belgien und den Nie<strong>der</strong>landen. Später weite er se<strong>in</strong>e Studie auf 22 (ab 1981) bzw. 43 (ab 1990) Staaten aus.<br />

264. Dieser Trend wird auch durch die neuesten Daten Ingleharts bestätigt (vgl. Mo<strong>der</strong>nization and <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nization).<br />

Ich habe mich im folgenden nicht auf diese aktuelle Veröffentlichung bezogen, da sie mir erst nach Abschluß <strong>der</strong><br />

Ausarbeitung dieses Abschnitts zugänglich wurde und ke<strong>in</strong>e wesentlichen Än<strong>der</strong>ungen an Konzept und Befunden<br />

(bis auf e<strong>in</strong>e Ausweitung <strong>der</strong> Studie auch auf Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> +Dritten Welt* und Osteuropa) festzustellen s<strong>in</strong>d, die es<br />

unabwendbar gemacht hätten, e<strong>in</strong> +Update* vorzunehmen. Zudem bezieht sich Klages mit se<strong>in</strong>en Anfang <strong>der</strong> 90er<br />

Jahre vorgebrachten wichtigen Relativierungen (siehe unten) natürlich auch auf Ingleharts +alte* Daten.<br />

265. Lei<strong>der</strong> gibt Inglehart ke<strong>in</strong>e exakten Prozentzahlen an. Se<strong>in</strong>e graphische Darstellung vermittelt jedoch das klare<br />

Bild e<strong>in</strong>er +Schere*.<br />

266. Kurz gesagt: +Im Jahr 1973 überwogen die materialistischen Ziele die postmaterialistischen im Verhältnis zwei<br />

zu e<strong>in</strong>s, 1988 nur noch im Verhältnis 1,5 zu e<strong>in</strong>s.* (Kultureller Umbruch; S. 129)<br />

267. Diese Aussage Ingleharts, welche den Wertewandel auch mit dem Aufkommen neuer sozialer Bewegungen<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gt (siehe unten), steht übrigens genau konträr zu Agnes Hellers Position, für die die politischen<br />

Bewegungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne ihren generativen Charakter und damit auch ihre scharfen Umrisse verloren haben:<br />

+<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nism is a wave with<strong>in</strong> which all k<strong>in</strong>ds of movements, artistic, political and cultural, are possible.* (Existentialism,<br />

Alienation, <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>nism – Cultural Movements as Vehicles of Change <strong>in</strong> the Patterns of Everyday Life; S. 8)<br />

268. Inglehart betont jedoch, daß es sich hier nicht um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nige Verknüpfung handelt, +denn die Werte reflektieren<br />

das subjektive Empf<strong>in</strong>den von Sicherheit und nicht die objektive wirtschaftliche Situation* (Kultureller Umbruch; S.<br />

93). An<strong>der</strong>erseits ist dieses subjektive Empf<strong>in</strong>den vermutlich nicht völlig losgelöst von den +objektiven* Gegebenheiten.<br />

269. In diesem Zusammenhang spricht Jürgen Gerhards von +Neue[n] Konfliktl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mobilisierung öffentlicher<br />

Me<strong>in</strong>ung* (1993). Er will dabei e<strong>in</strong>e +triadische Struktur* erkennen, wobei e<strong>in</strong>e postmaterialistische L<strong>in</strong>ke (neue <strong>Politik</strong>)<br />

<strong>der</strong> materialistischen L<strong>in</strong>ken wie <strong>der</strong> materialistischen Rechten (alte <strong>Politik</strong>) gegenübersteht (vgl. Abb. 5, S. 47). Warum<br />

es allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e postmaterialistische Rechte geben soll, bleibt ungeklärt. Die hier zitierten Ausführungen von Mayer-Tasch<br />

und Koslowski (siehe S. 201) belegen me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach, daß es e<strong>in</strong>e solche durchaus gibt.<br />

270. Ingleharts Daten zeigen, daß z.B. die Unterstützung für die Friedens- und die Umweltbewegung unter +<strong>Post</strong>materialisten*<br />

deutlich höher ist, als unter +Materialisten* (vgl. Kultureller Umbruch; Tab. 11.2 u. 11.4, S. 473 bzw. S. 475).<br />

271. Der Begriff +politische Kultur* geht auf die amerikanischen <strong>Politik</strong>wissenschaftler Gabriel Almond und Sidney<br />

Verba zurück. Diese def<strong>in</strong>ieren im Rahmen ihres Anfang <strong>der</strong> 60er Jahre angestellten empirischen Vergleichs von fünf<br />

Demokratien (USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und Mexiko) politische Kultur als Bündel <strong>der</strong> politischen<br />

Orientierungen – untersucht wurde also die E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Bürger gegenüber dem politischen System sowie die Sicht<br />

<strong>der</strong> eigenen Rolle im System (vgl. The Civic Culture; S. 13). Dabei mag es kaum verwun<strong>der</strong>n, daß <strong>der</strong> Typus <strong>der</strong> politischen<br />

Kultur, wie er nach Almond und Verba <strong>in</strong> den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n überwiegend vorherrschend ist, als günstigste<br />

Grundlage für stabile demokratische Strukturen gefeiert wird, da die dort angeblich anzutreffende +zivile Kultur* mit<br />

ihrer +gesunden* Mischung aus Partizipationsbestreben und abwarten<strong>der</strong> Gelassenheit am besten zu e<strong>in</strong>er +mo<strong>der</strong>nen*<br />

repräsentativen Demokratie passe (vgl. ebd.; S. 473ff.).<br />

272. Klages me<strong>in</strong>t jedoch, daß man treffen<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em Wandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten<br />

sprechen sollte, da das von Inglehart gewählte Begriffspaar materialistisch–postmaterialistisch für<br />

ihn zu e<strong>in</strong>seitig die ökonomische Dimension betont (vgl. Werteorientierungen im Wandel; S. 24f.).<br />

273. Klages nennt als wichtigste Voraussetzung für die als Zukunftsentwicklung von ihm wohl favorisierte Wertesynthese<br />

e<strong>in</strong>e +<strong>in</strong>takte* Gesellschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die funktional getrennten Subsysteme im Interesse des Ganzen zusammenwirken.

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