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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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EXCURSION TERMINALE: POLITISCHE APORIEN UND UTOPIEN XCI<br />

erläutert werden. Fromm geht es hier zwar, wie schon <strong>der</strong> Titel ankündigt, um die Verdeut-<br />

lichung <strong>der</strong> Unterschiede zwischen den beiden nach ihm grundlegend verschiedenen Orien-<br />

tierungen des Habens und des Se<strong>in</strong>s (vgl. S. 27f.). Das von ihm e<strong>in</strong>leitend aus dem Bereich<br />

<strong>der</strong> Dichtung gewählte Beispiel läßt sich me<strong>in</strong>es Erachtens allerd<strong>in</strong>gs auch gut zur Illustration<br />

<strong>der</strong> hier getroffenen Unterscheidung verwenden. Die <strong>in</strong>strumentelle Grunde<strong>in</strong>stellung, die<br />

<strong>der</strong> Erlebensweise des Habens und zugleich e<strong>in</strong>er deflexiven Haltung entspricht, veranschaulicht<br />

Fromm mittels e<strong>in</strong>es Gedichts des englischen Lyrikers Alfred Tennyson (1809–92):<br />

Blume <strong>in</strong> <strong>der</strong> geborstenen Mauer,<br />

Ich pflücke dich aus den Mauerritzen,<br />

Mitsamt den Wurzeln halte ich dich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand,<br />

Kle<strong>in</strong>e Blume – doch wenn ich verstehen könnte,<br />

Was du mitsamt den Wurzeln und alles <strong>in</strong> allem bist,<br />

Wüßte, was Gott und <strong>der</strong> Mensch ist.<br />

(Zitiert nach ebd.; S. 28)<br />

Hier wird dem Erkenntnisstreben des Betrachters die +Eigenständigkeit* des betrachteten Objekts<br />

rücksichtslos geopfert. Es handelt sich bei <strong>der</strong> entwurzelten, aus <strong>der</strong> Mauer gerissenen Blume<br />

um bloßes Anschauungsmaterial für die angenommene Vollkommenheit <strong>der</strong> +göttlichen Ord-<br />

nung*, die dem Betrachter, vermittelt durch die Blume, <strong>in</strong> ihrer Unergründlichkeit bewußt<br />

wird, zugleich aber e<strong>in</strong>e Begehrlichkeit nach <strong>der</strong> Ergründung des Wesens des Se<strong>in</strong>s erzeugt.<br />

Über diesen abstrakt-metaphysischen Gedanken rückt das konkrete Se<strong>in</strong> <strong>der</strong> Blume <strong>in</strong> den<br />

H<strong>in</strong>tergrund – genauso, wie für diese gewalttätige Abstraktion die neben dem Erkenntnisstreben<br />

eventuell vorhandenen Empf<strong>in</strong>dungen des Mitgefühls gegenüber dem bedrohten Se<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Blume <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund gedrängt werden müssen.<br />

E<strong>in</strong>e geradezu entgegengesetzte E<strong>in</strong>stellung kommt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haiku des japanischen Dichters<br />

Bashô (1644–95) zum Ausdruck, das ebenfalls von <strong>der</strong> Betrachtung e<strong>in</strong>er Blume handelt:<br />

Wenn ich aufmerksam schaue,<br />

Seh’ ich die Nazuna<br />

An <strong>der</strong> Hecke blühen!<br />

(Zitiert nach ebd.)<br />

Bashô gesteht <strong>der</strong> bewun<strong>der</strong>ten Blume ihre eigene Wirklichkeit und Autonomie zu. Der Wunsch,<br />

sich an ihr zu erfreuen, führt nicht zu e<strong>in</strong>em Besitzen-Wollen, son<strong>der</strong>n kann re<strong>in</strong> im Betrachten

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