Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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424 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE da das reflexive Moment – zumindest latent – immer vorhanden ist. Doch indem weitreichende Reflexionen, die sich in konkreten Richtungsveränderungen manifestieren, auf sich warten lassen, steigt das Risikopotential und wird eine reflexiv-deflexive Risikospirale in Gang gesetzt. Bei dieser Risikospirale handelt es sich nicht alleine um technologische, sondern auch um politische Risiken: das Risiko, daß die latenten sozialen Spannungen ein so großes Ausmaß annehmen, daß gewaltvolle Tendenzen hervortreten; das Risiko, daß die soziale Entfremdung durch die Deflexionsbemühungen so weit getrieben wird, daß die Individuen sich ganz von der Gesellschaft und der Politik abwenden; das Risiko, daß die Politik durch ihre deflektorischen Übersetzungsversuche soviel an Kompetenzen und Gehalt einbüßt, daß sie von den anderen Teilsystemen vollständig absorbiert wird. Darin liegt eine Gefahr für das soziale und politische System, aber auch für Politik allgemein, die entweder in der Dialektik von Reflexion und Deflexion zu entschwinden und sich aufzulösen oder im doppelten Sinn des Wortes +gewaltvoll* (als Fundamentalismus, Terrorismus oder Fanatismus etc.) wieder hervorzubrechen droht. So gerät in der Dialektik von Reflexion und Deflexion auch Subpolitik in Gefahr, daß ihre utopisch-negierende Radikalität sich deflexiv äußert, daß sie, anstatt die Widersprüche zu entfalten und die Dialektik der Bewegung der Moderne, ihren Doppelcharakter von Zwang und Freiheit zu reflektieren, zu einer tabula rasa führt, die sich in neuen Ordnungen und neuen Fixierungen manifestiert – und damit Politik als reflexive Hinterfragung von Ordnung eliminiert. Doch ist die These einer potentiell fatalen, entpolitisierenden Dialektik von Reflexion und Deflexion nicht eine (post)moderne Metaerzählung des Zerfalls und der Auflösung? – Diese Frage muß mit ja beantwortet werden, wenn damit gemeint ist, daß hier in der +umfassenden* Perspektive eines metatheoretischen Entwurfs auf die (konstruierten) Zusammenhänge zwischen und die (dialektische) Einheit von Sein und Bewußtsein, Gesellschaft und Politik hingewiesen wird. Sie kann jedoch auch mit nein beantwortet werden, indem die hier getroffenen Aussagen keinen Anspruch auf objektive Wahrheit erheben. Im Gegenteil: Dieser Text, der eine erste Skizze zu einer kritisch-dialektischen Theorie reflexiver Modernisierung darstellt, wird von mir als Anregung zu kritischer Reflexion verstanden, was die (Selbst-)Kritik meiner Thesen im Bewußtsein ihrer (sozialen und historischen) Relativität notwendig einschließt. Es handelt sich hier folglich um ein bloßes Interpretationsangebot, das sich seiner Partikularität und
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 425 Subjektivität bewußt ist. Die dargelegten Argumente können dabei nur eine gewisse Plausibilität für sich geltend machen sowie auf das kritische (dekonstruktive) Potential der in ihrem Zusam- menhang entwickelten Begriffe hoffen. Denn wenn das Denken, wie Heidegger formulierte, tatsächlich eine Bewegung in der Sprache sein sollte, dann ermöglichen erst kritische Begriffe – als subversive Angriffe gegen die (sprachlichen) Konventionen und +Realitäten* – (dialektische) Gegenbewegungen. Und so bemerkte denn auch bereits Georges Gurvitch, daß die dialektische Methode (als Negation und Kritik) +zuallererst [d.h. bevor sie praktisch wird] in der Zerstörung aller alteingeführten […] Begriffe [besteht]* (Dialektik und Soziologie; S. 219). 155 Andererseits: Auch die hier verwendenten kritisch-dialektischen Begriffe – also Reflexion und Deflexion, Ideologie und Praxologie etc. – üben, in ihrer bewußten Normativität, natürlich eine einengende Gewalt aus: Sie strukturieren und reduzieren +Wirklichkeit*. Aber es sind sprach-spielerische Begriffe, die eben keinen monologischen Herrschaftsanspruch erheben, nicht auf +Objektivierung* zielen und die keine erdrückende Umfassung ihres Gegenstands beabsichtigen, sondern alleine die Möglichkeit einer Gegenerzählung eröffnen wollen. Und es sind Begriffe der Gegengewalt, der Gegengewalt auf eine Wirklichkeit, die selbst gewalttätig und umfassend ist; Begriffe, die sich gegen und auf eine deformierende Praxis richten, um reflexive (Handlungs-)Reflexe auszulösen. Um aber derart praktisch werden zu können, müssen gerade kritische Begriffe auch einen +Ansatzpunkt* haben. Diesen Ansatzpunkt sehe ich in einem +authentischen* Selbst, das in die dialektische Spannung von Sein und Bewußtsein untrennbar verwoben ist, und sich – diese auf der Basis seiner inneren Ambivalenzen spiegelnd – der Reflexivität der Prozesse bewußt wird. Die +Imagination* eines authentischen Selbst und wie dessen erst noch frei- zulegende reflexive Authentizität im +dekonstruktiven*, verneinenden Bezug auf das aktuelle Sein einen Kontingenzraum öffnet, der die negative Wirklichkeit der Utopie näher bringt und dabei gleichzeitig die Möglichkeit für einen Prozeß sozialer Konvergenz eröffnet, wird allerdings erst im folgenden Exkurs +verwirklicht* werden – der damit freilich die Grenzen der Ausgangsthematik weit überschreitet. Und so steht hier: ein Ende ohne Ende.
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Subjektivität bewußt ist. Die dargelegten Argumente können dabei nur e<strong>in</strong>e gewisse Plausibilität<br />
für sich geltend machen sowie auf das kritische (dekonstruktive) Potential <strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrem Zusam-<br />
menhang entwickelten Begriffe hoffen. Denn wenn das Denken, wie Heidegger formulierte,<br />
tatsächlich e<strong>in</strong>e Bewegung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache se<strong>in</strong> sollte, dann ermöglichen erst kritische Begriffe<br />
– als subversive Angriffe gegen die (sprachlichen) Konventionen und +Realitäten* – (dialektische)<br />
Gegenbewegungen. Und so bemerkte denn auch bereits Georges Gurvitch, daß die dialektische<br />
Methode (als Negation und Kritik) +zuallererst [d.h. bevor sie praktisch wird] <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zerstörung<br />
aller alte<strong>in</strong>geführten […] Begriffe [besteht]* (Dialektik und Soziologie; S. 219). 155<br />
An<strong>der</strong>erseits: Auch die hier verwendenten kritisch-dialektischen Begriffe – also Reflexion und<br />
Deflexion, Ideologie und Praxologie etc. – üben, <strong>in</strong> ihrer bewußten Normativität, natürlich<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>engende Gewalt aus: Sie strukturieren und reduzieren +Wirklichkeit*. Aber es s<strong>in</strong>d<br />
sprach-spielerische Begriffe, die eben ke<strong>in</strong>en monologischen Herrschaftsanspruch erheben,<br />
nicht auf +Objektivierung* zielen und die ke<strong>in</strong>e erdrückende Umfassung ihres Gegenstands<br />
beabsichtigen, son<strong>der</strong>n alle<strong>in</strong>e die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Gegenerzählung eröffnen wollen. Und<br />
es s<strong>in</strong>d Begriffe <strong>der</strong> Gegengewalt, <strong>der</strong> Gegengewalt auf e<strong>in</strong>e Wirklichkeit, die selbst gewalttätig<br />
und umfassend ist; Begriffe, die sich gegen und auf e<strong>in</strong>e deformierende Praxis richten, um<br />
reflexive (Handlungs-)Reflexe auszulösen.<br />
Um aber <strong>der</strong>art praktisch werden zu können, müssen gerade kritische Begriffe auch e<strong>in</strong>en<br />
+Ansatzpunkt* haben. Diesen Ansatzpunkt sehe ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em +authentischen* Selbst, das <strong>in</strong><br />
die dialektische Spannung von Se<strong>in</strong> und Bewußtse<strong>in</strong> untrennbar verwoben ist, und sich –<br />
diese auf <strong>der</strong> Basis se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren Ambivalenzen spiegelnd – <strong>der</strong> Reflexivität <strong>der</strong> Prozesse<br />
bewußt wird. Die +Imag<strong>in</strong>ation* e<strong>in</strong>es authentischen Selbst und wie dessen erst noch frei-<br />
zulegende reflexive Authentizität im +dekonstruktiven*, verne<strong>in</strong>enden Bezug auf das aktuelle<br />
Se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Kont<strong>in</strong>genzraum öffnet, <strong>der</strong> die negative Wirklichkeit <strong>der</strong> Utopie näher br<strong>in</strong>gt<br />
und dabei gleichzeitig die Möglichkeit für e<strong>in</strong>en Prozeß sozialer Konvergenz eröffnet, wird<br />
allerd<strong>in</strong>gs erst im folgenden Exkurs +verwirklicht* werden – <strong>der</strong> damit freilich die Grenzen<br />
<strong>der</strong> Ausgangsthematik weit überschreitet. Und so steht hier: e<strong>in</strong> Ende ohne Ende.