Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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422 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Diese sektorale, vor allem auf das ökonomische und technologisch-wissenschaftliche System konzentrierte Modernisierung, äußert sich auf der politischen Ebene analog in einer nur sektoraler Politisierung. Zum einen bleibt nämlich, sowohl in der Theorie des gewaltenteiligen Verfassungs- staats als auch in seiner sozialen Wirklichkeit, alleine das (institutionelle) politische System für (offizielle) Politik zuständig – was diese gleichzeitig auf einen relativ schmalen Personenkreis und Bereich des Sozialen reduziert. Zum anderen ist aktive Subpolitik, die in Reaktion auf diese Beschränkungen des politischen Systems erfolgt und durch die Reflexion der unterschwel- ligen, schleichenden Entgrenzung des Politischen durch die Politik der Nebenfolgen des ökono- misch-technischen Wandels ausgelöst wird, auf einige wenige Sektoren (wie z.B. den Umwelt- bereich) konzentriert, in denen die Probleme dieser Entgrenzung am deutlichsten spürbar werden. Und selbst dabei ist Subpolitik oft nicht an grundlegenden Veränderungen orientiert, zieht (aus Furcht vor Repressionen) nicht die Konsequenz aus ihrer sozialen (Sub-)Position. Die Reflexivität der Prozesse wird also zwar wahrgenommen. Aber ihre theoretische wie praktische Reflexion bleibt limitiert und fragmentisiert. Die Limitierung und Fragmentisierung der reflexiven Gegenbewegung wird aber nicht nur durch die Ungleichzeitigkeit und (Selbst-)Beschränkung des Modernisierungsprozesses bewirkt. Sie wird auf der Bewußtseinsebene, wie dargelegt, durch fragmentisierende Ideologien wie den systemtheoretischen Funktionalismus deflektorisch abgestützt, der die Annahme einer autonomen Trennung der Subsysteme zur Grundlage hat (siehe Abschnitt 5.3.1). Und es kommen auch hier erhebliche +passive* deflexive Momente zum Tragen: Die reale Möglichkeit der Katastrophe durch eine reflexiv-deflexive Risikospirale wird schlicht zumeist deshalb nicht wahrgenommen, weil deflexives Nichtwissen(wollen) einen, allerdings nur kurz- bis mittelfristigen, emotionalen Entlastungsgewinn bringt, so daß Reflexionen, die zudem immer mit kognitiven und praktischen Anstrengungen verbunden sind, schon aus Gründen der +psychischen Ökonomie* unterbleiben. Durch diese insgesamt schon problematische deflexive Negierung der Möglichkeit der Katastrophe erfolgt gleichzeitig eine Verdrängung der Brisanz des Politischen, das hier als Gegenregulativ, als sozialer Ort der Reflexion wirken könnte. Die postulierte Tendenz zu einer deflexiven Fluchthaltung liegt primär in +Deformationen* auf der Seite der Individuen begründet. Durch eine zwanghaft und gewaltvoll ablaufende Sozialisation und die permanente Entmutigung in der Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit in Anbetracht des enormen +Momentum* des Systems neigen die durch (praxologische) Integration
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 423 und die gleichzeitige Drohung des Ausschlusses unterdrückten Individuen in vielen Fällen zur Identifizierung mit diesem System, das sie begrenzt, um an seiner (vermeintlichen) Stärke teilzuhaben. So verwundert es nicht, daß schon Erich Fromm – für ihn jedoch damals unerwartet – im Rahmen einer Studie über +Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reichs* aus dem Jahr 1929/30 zu dem Ergebnis kam, +daß häufig [sogar] die Anhänger der Linksparteien eine seelische Haltung aufwiesen, die keineswegs der konstruierten idealtypischen entsprach, ja ihr geradezu entgegengesetzt war* (S. 229) – nämlich eine autoritäre (vgl. ebd.; S. 236ff.). 154 Gerade eine Einbindung der Individuen, gekoppelt mit dem Bewußtsein, ohnehin nichts ändern zu können (+erlernte Hilflosigkeit*), bewirkt also eine deflexive Entpolitisierung entweder im Sinn einer Indifferenz zur Politik oder einer unkritischen Bejahung bestehender Strukturen, schafft auf der Bewußtseinsebene die Bereitschaft zu fragloser Akzeptanz, so daß gegebene Reflexivität nicht gespiegelt wird. Diese Deformation durch Integration wird auf praktischer Ebene durch Praxologien erreicht und verfestigt (siehe Abschnitt 5.3.2). Umgemünzt auf die Sphäre der Politik kann man davon sprechen, daß insbesondere als Folge der für ihre +zwangsläufigen* Integrationsbemühungen zentralen Praxologie der Übersetzung eine Verdrängung politischer Diskurse (um Macht, Herrschaft und Grundfragen der sozialen Organisation) zugunsten ökonomischer, rechtlicher, wissenschaftlicher, dramaturgisch-medialer und symbolisch-ästhetischer Diskurse stattfindet. Diese Gewichtsverlagerung wird von der Politik aktiv betrieben, die versucht ihrer subpolitischen Hinterfragung durch eine deflektorische Selbstentpolitisierung zu entgehen: Wo Politik solche nicht mehr greifbar ist, in systemexternen +Sachzwängen* aufgelöst wird, läßt sie sich auch nicht mehr angreifen (siehe auch Abschnitt 3.5). Daneben sorgen Wahlrituale (die allerdings an einbindender Kraft zunehmend einbüßen) und Rechtsverfahren etc. für eine praxologische Integration potentiellen Protestpotentials. Am wirkungsvollsten dürfte jedoch – solange das Wohlstandsniveau hoch angesiedelt ist und eine staatliche Umverteilungspolitik einen Teil des gesellschaftlichen Reichtums nach +unten* durchsickern läßt – die einbindende Macht des Konsums sein. (Siehe auch nochmals Tab. 14, S. 409) Wirken die (Selbst-)Begrenzungen der Reflexion mit diesen deflexiven (ideologischen wie praxologischen) Momenten zusammen, so kommt es zu einem sich in dieser Dialektik verstär- kenden Entpolitisierungsprozeß. Die Möglichkeit zu einer (repolitisierenden) Verschiebung des Gewichts auf die reflexive Seite ist zwar, wie eingangs erläutert, natürlich trotzdem gegeben,
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Diese sektorale, vor allem auf das ökonomische und technologisch-wissenschaftliche System<br />
konzentrierte Mo<strong>der</strong>nisierung, äußert sich auf <strong>der</strong> politischen Ebene analog <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nur sektoraler<br />
Politisierung. Zum e<strong>in</strong>en bleibt nämlich, sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Theorie des gewaltenteiligen Verfassungs-<br />
staats als auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sozialen Wirklichkeit, alle<strong>in</strong>e das (<strong>in</strong>stitutionelle) politische System<br />
für (offizielle) <strong>Politik</strong> zuständig – was diese gleichzeitig auf e<strong>in</strong>en relativ schmalen Personenkreis<br />
und Bereich des Sozialen reduziert. Zum an<strong>der</strong>en ist aktive Subpolitik, die <strong>in</strong> Reaktion auf<br />
diese Beschränkungen des politischen Systems erfolgt und durch die Reflexion <strong>der</strong> unterschwel-<br />
ligen, schleichenden Entgrenzung des Politischen durch die <strong>Politik</strong> <strong>der</strong> Nebenfolgen des ökono-<br />
misch-technischen Wandels ausgelöst wird, auf e<strong>in</strong>ige wenige Sektoren (wie z.B. den Umwelt-<br />
bereich) konzentriert, <strong>in</strong> denen die Probleme dieser Entgrenzung am deutlichsten spürbar<br />
werden. Und selbst dabei ist Subpolitik oft nicht an grundlegenden Verän<strong>der</strong>ungen orientiert,<br />
zieht (aus Furcht vor Repressionen) nicht die Konsequenz aus ihrer sozialen (Sub-)Position.<br />
Die Reflexivität <strong>der</strong> Prozesse wird also zwar wahrgenommen. Aber ihre theoretische wie<br />
praktische Reflexion bleibt limitiert und fragmentisiert.<br />
Die Limitierung und Fragmentisierung <strong>der</strong> reflexiven Gegenbewegung wird aber nicht nur<br />
durch die Ungleichzeitigkeit und (Selbst-)Beschränkung des Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesses bewirkt.<br />
Sie wird auf <strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sebene, wie dargelegt, durch fragmentisierende Ideologien wie<br />
den systemtheoretischen Funktionalismus deflektorisch abgestützt, <strong>der</strong> die Annahme e<strong>in</strong>er<br />
autonomen Trennung <strong>der</strong> Subsysteme zur Grundlage hat (siehe Abschnitt 5.3.1). Und es kommen<br />
auch hier erhebliche +passive* deflexive Momente zum Tragen: Die reale Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Katastrophe durch e<strong>in</strong>e reflexiv-deflexive Risikospirale wird schlicht zumeist deshalb nicht<br />
wahrgenommen, weil deflexives Nichtwissen(wollen) e<strong>in</strong>en, allerd<strong>in</strong>gs nur kurz- bis mittelfristigen,<br />
emotionalen Entlastungsgew<strong>in</strong>n br<strong>in</strong>gt, so daß Reflexionen, die zudem immer mit kognitiven<br />
und praktischen Anstrengungen verbunden s<strong>in</strong>d, schon aus Gründen <strong>der</strong> +psychischen Ökonomie*<br />
unterbleiben. Durch diese <strong>in</strong>sgesamt schon problematische deflexive Negierung <strong>der</strong> Möglichkeit<br />
<strong>der</strong> Katastrophe erfolgt gleichzeitig e<strong>in</strong>e Verdrängung <strong>der</strong> Brisanz des Politischen, das hier<br />
als Gegenregulativ, als sozialer Ort <strong>der</strong> Reflexion wirken könnte.<br />
Die postulierte Tendenz zu e<strong>in</strong>er deflexiven Fluchthaltung liegt primär <strong>in</strong> +Deformationen*<br />
auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Individuen begründet. Durch e<strong>in</strong>e zwanghaft und gewaltvoll ablaufende<br />
Sozialisation und die permanente Entmutigung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erfahrung <strong>der</strong> eigenen Hilflosigkeit <strong>in</strong><br />
Anbetracht des enormen +Momentum* des Systems neigen die durch (praxologische) Integration