Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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420 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Die Widersprüche, die Reflexivität des Seins (objektive Dialektik) werden dadurch jedoch nicht geringer, und auch die Ambivalenz des Bewußtseins (subjektive, kognitiv-emotionale Dialektik), die durch Deflexionsbemühungen nur latent gehalten und nicht aufgehoben wird, läßt sich nicht dauerhaft überdecken. Gerade daß beide, Sein und Bewußtsein, ihrerseits einem grundlegenden dialektischen Zusammenhang bilden, welcher sich, wie oben dargelegt, reflexiv-dynamisierend oder deflexiv-statisch äußern kann, und daß diese beiden Momente, Reflexion und Deflexion, wiederum in einem dialektischen Verhältnis stehen, da Reflexionen ohne deflexive Gegenbewegungen nicht denkbar sind, bewirkt jedoch, daß sich eine potentiell fatale, reflexiv-deflexive Risikospirale entwickelt kann (siehe auch nochmals Abschnitt 3.3). Indem nämlich auf reflexive Impulse deflexive Gegenimpulse folgen, die die Reflexivität ablenken und die inneren Ambivalenzen überdecken, werden die so latent gehaltenen objektiven wie subjektiven Widersprüche lediglich auf eine immer höhere Ebene transformiert. Die reflexiven Momente werden dadurch zwar tendenziell – als Reaktion auf die Deflexionsversuche und die zunehmende Widersprüchlichkeit – heftiger. Doch auch die Auslenkung der Deflexion wird immer größer, was die Reflexionsräume gleichzeitig begrenzt. Hierin liegt eine gewisse +Tragik*. Das dialektische Zusammenwirken von Reflexion und De- flexion, das sich in einem Prozeß reflexiv-deflexiver Modernisierung sozial manifestiert, läuft so nämlich möglicherweise auf eine +katastrophale* Entwicklung hinaus, da irgendwann ein Punkt erreicht ist, an dem die entfaltete Reflexivität nicht mehr deflexiv, d.h. in den bestehenden Systemgrenzen, aufgefangen werden kann. Doch an diesem vielleicht nahen, vielleicht fernen, vielleicht auch nie erreichten Punkt der +Katastrophe* ist es für eine reflexive +Kehre* eventuell zu spät. Oder aber die Katastrophe führt zu einer reflexiven +Katharsis*, die zwingt, mit dem bestehenden System endgültig (und deshalb vielleicht gewaltvoll) zu brechen. Was aber hat diese potentiell +fatale* Dialektik der Bewegung der Moderne, so läßt sich fragen, konkret mit den aktuellen, in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigten Dilemmata der Politik zu tun? Und ist eine derartige dialektische Sichtweise überhaupt noch +zeitgemäß*? – Zu letzterem Einwand läßt sich antworten: Auch wenn das dialektische Denken in Verruf geraten ist, (in bestimmtem Spielarten zurecht) als +totalitär* denunziert wurde und somit in einer Krise steckt: Gerade in der Krise beweist es seine Not-Wendigkeit. Denn speziell die dialektische Methode kann dazu dienen, das was nicht ist – die Seite des verschütteten Begehrens – zu erfassen, um es von den +aktuellen* Hemmnissen zu befreien und es zur
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 421 Wirklichkeit zu bringen. (Reflexive) Dialektik ist in ihrer Zirkularität nämlich nicht festschreibend, sondern fortschreitend in Richtung einer Entfesselung von den Zwängen der Eindeutigkeit. In diesem Sinn ist Dialektik geradezu der +Puls der [unterdrückten] Freiheit* (vgl. Bhaskar: 153 Dialectic; Kap. 4, § 12). Sie ist, wenn sie (nichtend) entfaltet wird, die Chance, daß die +Katastrophe* nicht eintritt: indem durch das dialektische Ambivalenzbewußtsein die gegebene +Dualität der Strukturen* für reflexive Gegenbewegungen genutzt wird. Dialektik, so verstanden, ist also an sich politisch. Deshalb waren die obigen Ausführungen nicht nur notwendig, um den hier zugrunde gelegten Dialektikbegriff +abschließend* zu klären. Die herausgestellten +tragischen* Implikationen einer dialektischen, reflexiv-deflexiven Moderni- sierung führen vielmehr direkt zum Kern unserer Fragestellung, erklären – als reflexives Deutungs- muster – die Antinomien der Politik in der (Post-)Moderne: Zum einen wird es jetzt, durch den Bruch der funktionalistischen Systemlogik, möglich, die im Vorangegangenen herausgear- beitete immanente Widersprüchlichkeit der Prozesse (einfache Dekonstruktion) als dialektischen Zusammenhang zu betrachten. Die (nicht-synthetische) dialektische Sichtweise ermöglicht damit eine analytisch tiefer reichende Dekonstruktion. Zum anderen wird aus dieser +brüchigen* Sicht deutlich, daß sich eine im Prinzip ähnlich +fatale* Entwicklung, wie sie durch die Dynamik einer reflexiv-deflexiven Risikospirale allgemein entfaltet wird, auch im Bereich der Politik zeigt. Und so bewirkt die aktuell entfaltete Dialektik, daß die reflexive (Sub-)Politisierung in eine (deflexive) Entpolitisierung umschlägt bzw. umzuschlagen droht: Der untergründige Prozeß der diffusen Entpolitisierung des Politischen – sowohl der insti- tutionellen Politik wie ihrer lebensweltlichen Basis – durch die Dialektik der Modernisierung wird auf der einen Seite durch die bereits verschiedentlich angesprochene Begrenztheit der Reflexivität und die Selbstbegrenzung der subpolitischen Reflexionen begünstigt (siehe insb. nochmals Abschnitt 5.2.2). Zwar vollziehen sich in der Tat tiefgreifende sozio-ökonomische Wandlungsprozesse (siehe Kapitel 2). Deren (reflexive) Dynamik und Spiegelung ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Bestehende +Defizite* der Entwicklung in bestimmten Teil- bereichen werden durch verstärkte, allerdings primär deflektorische Modernisierungsanstren- gungen in anderen Bereichen zu kompensieren versucht. Man kann aufgrund dieser Ungleich- zeitigkeiten, angelehnt an Klaus Offe, auch in bezug auf die (post)modernen (Post-)Industriegesell- schaften von einer nur sektoralen Modernisierung sprechen (vgl. Strukturprobleme des kapita- listischen Staates; S. 124).
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KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 421<br />
Wirklichkeit zu br<strong>in</strong>gen. (Reflexive) Dialektik ist <strong>in</strong> ihrer Zirkularität nämlich nicht festschreibend,<br />
son<strong>der</strong>n fortschreitend <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>er Entfesselung von den Zwängen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>deutigkeit.<br />
In diesem S<strong>in</strong>n ist Dialektik geradezu <strong>der</strong> +Puls <strong>der</strong> [unterdrückten] Freiheit* (vgl. Bhaskar:<br />
153<br />
Dialectic; Kap. 4, § 12). Sie ist, wenn sie (nichtend) entfaltet wird, die Chance, daß die<br />
+Katastrophe* nicht e<strong>in</strong>tritt: <strong>in</strong>dem durch das dialektische Ambivalenzbewußtse<strong>in</strong> die gegebene<br />
+Dualität <strong>der</strong> Strukturen* für reflexive Gegenbewegungen genutzt wird.<br />
Dialektik, so verstanden, ist also an sich politisch. Deshalb waren die obigen Ausführungen<br />
nicht nur notwendig, um den hier zugrunde gelegten Dialektikbegriff +abschließend* zu klären.<br />
Die herausgestellten +tragischen* Implikationen e<strong>in</strong>er dialektischen, reflexiv-deflexiven Mo<strong>der</strong>ni-<br />
sierung führen vielmehr direkt zum Kern unserer Fragestellung, erklären – als reflexives Deutungs-<br />
muster – die Ant<strong>in</strong>omien <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> (<strong>Post</strong>-)Mo<strong>der</strong>ne: Zum e<strong>in</strong>en wird es jetzt, durch<br />
den Bruch <strong>der</strong> funktionalistischen Systemlogik, möglich, die im Vorangegangenen herausgear-<br />
beitete immanente Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit <strong>der</strong> Prozesse (e<strong>in</strong>fache Dekonstruktion) als dialektischen<br />
Zusammenhang zu betrachten. Die (nicht-synthetische) dialektische Sichtweise ermöglicht<br />
damit e<strong>in</strong>e analytisch tiefer reichende Dekonstruktion. Zum an<strong>der</strong>en wird aus dieser +brüchigen*<br />
Sicht deutlich, daß sich e<strong>in</strong>e im Pr<strong>in</strong>zip ähnlich +<strong>fatal</strong>e* Entwicklung, wie sie durch die Dynamik<br />
e<strong>in</strong>er reflexiv-deflexiven Risikospirale allgeme<strong>in</strong> entfaltet wird, auch im Bereich <strong>der</strong> <strong>Politik</strong><br />
zeigt. Und so bewirkt die aktuell entfaltete Dialektik, daß die reflexive (Sub-)Politisierung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e (deflexive) Entpolitisierung umschlägt bzw. umzuschlagen droht:<br />
Der untergründige Prozeß <strong>der</strong> diffusen Entpolitisierung des Politischen – sowohl <strong>der</strong> <strong>in</strong>sti-<br />
tutionellen <strong>Politik</strong> wie ihrer lebensweltlichen Basis – durch die Dialektik <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
wird auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite durch die bereits verschiedentlich angesprochene Begrenztheit <strong>der</strong><br />
Reflexivität und die Selbstbegrenzung <strong>der</strong> subpolitischen Reflexionen begünstigt (siehe <strong>in</strong>sb.<br />
nochmals Abschnitt 5.2.2). Zwar vollziehen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat tiefgreifende sozio-ökonomische<br />
Wandlungsprozesse (siehe Kapitel 2). Deren (reflexive) Dynamik und Spiegelung ist jedoch<br />
unterschiedlich stark ausgeprägt. Bestehende +Defizite* <strong>der</strong> Entwicklung <strong>in</strong> bestimmten Teil-<br />
bereichen werden durch verstärkte, allerd<strong>in</strong>gs primär deflektorische Mo<strong>der</strong>nisierungsanstren-<br />
gungen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Bereichen zu kompensieren versucht. Man kann aufgrund dieser Ungleich-<br />
zeitigkeiten, angelehnt an Klaus Offe, auch <strong>in</strong> bezug auf die (post)mo<strong>der</strong>nen (<strong>Post</strong>-)Industriegesell-<br />
schaften von e<strong>in</strong>er nur sektoralen Mo<strong>der</strong>nisierung sprechen (vgl. Strukturprobleme des kapita-<br />
listischen Staates; S. 124).