Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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416 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Unter (negativer) Dialektik versteht Adorno +das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität* (S. 15), d.h. +Dialektik entfaltet die vom Allgemeinen diktierte Differenz des Besonderen vom Allgemeinen* (ebd.; S. 16). Anders als bei Hegel, kann es für Adorno jedoch nicht angehen, dieses Besondere sodann im Allgemeinen (des Begriffs) wieder aufzuheben – und damit der 144 Zerstörung Preis zu geben. Das Besondere, Differente, Nichtidentische ist schließlich schon durch die aktuelle, totalisierende Praxis der kapitalistischen Markt-Gesellschaft genug bedroht, so daß Philosophie ihren (neuen) Wert genau in der negierenden Transzendierung dieser Praxis hat (vgl. ebd.; S. 13). Philosophie schöpft also +was irgend sie noch legitimiert, aus dem Negativem* (ebd.; S. 60). Deshalb muß die philosophische Praxis das Besondere durch die Negation der +positiven* Verallgemeinerung im Begrifflichen – mittels der auf die konkrete (und singuläre) Wirklichkeit zielenden (Hegelschen) Methode der bestimmten Negation – hervorkehren. +Die [dadurch erfolgende] Entzauberung des Begriffs ist das Gegengift der Philo- sophie.* (Ebd.; S. 22) +An ihr ist die Anstrengung, durch den Begriff über den Begriff hin- auszugehen.* (Ebd.; S. 25) Die negative Dialektik Adornos versucht also, wie schon oben angedeutet wurde, in ihrem negierenden Bezug auf die konkrete Wirklichkeit den scheinbar unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Subjekt- und Objekt-Denken, zwischen idealistischer und materialistischer Dialektik, zu vermitteln: +In Lesen des Seienden als Text seines Werdens berühren sich idealistische und materialistische Dialektik. Während jedoch dem Idealismus die innere Geschichte der Unmittelbarkeit diese als Stufe des Begriffs rechtfertigt, wird sie materialistisch zum Maß der Unwahrheit der Begriffe […] Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdringt, ist die Möglichkeit, um die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus einem jeden 145 blickt.* (Ebd.) Diese konkrete (und zugleich +utopische*) Negativität, die Theorie und Praxis miteinander verklammert, übt eine befreiende Macht aus (vgl. auch Tong: Dialektik der Freiheit als Negation bei Adorno). Ja, vielmehr noch: +Freiheit [als die Möglichkeit zum ›anders sein‹ und zu einem anderen Sein] ist einzig in bestimmter Negation zu fassen, gemäß der konkreten Gestalt der Unfreiheit.* (Negative Dialektik; S. 228) Auch in dieser +negativen* Konzeption Adornos läuft das dialektische Denken allerdings Gefahr, sich selbst zu beschränken, indem es einerseits über sich hinaus strebt und damit möglicherweise vor der (in dieser Hinsicht metaphysischen) +Transzendenz* des eigenen Anspruchs kapituliert. Andererseits verfällt es in den Modus der aufklärerischen Metaerzählung von der Befreiung
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 417 durch die Kraft der – hier negativ verstandenen – (dialektischen) Vernunft. Bei neueren Ansätzen, die kritisch an Adorno anschließen, wird Dialektik deshalb explizit +ohne die Konnotation einer sich vollendenden Wahrheit oder einer sich vollendenden Geschichte* gefaßt (Wellmer: Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne; S. 49), sondern vielmehr als eine unbestimmte, 146 doch konkret angestoßene Suchbewegung verstanden (vgl. ebd.; S. 109). In diesem (post- modernen) Verzicht auf Synthese und (teleologische) Wahrheit findet nicht mehr nur eine Negation der Negation der Negation statt, sondern es erfolgt auch eine (öffnende) Entklammerung der Dialektik (vgl. z.B. Kamper: Aufklärung – Was sonst?; S. 43 sowie Bachelard: La philosophie 147 du non). So stellt sich das dialektische Denken der +Abgründigkeit* des Seins. Diese Entklammerung der Dialektik bedeutet vor allem auch, daß das dialektische Denken nicht nur sich selbst erfaßt und negiert, sondern darüber hinaus seine Bedingungen (d.h seine materielle wie +ideelle* Bedingtheit) reflektiert. Eine auf Synthese verzichtende Verbindung von materialistischer und idealistischer Dialektik, wie sie diesem Anspruch entspricht, wird aber wiederum nur gelingen können, wenn die Dialektik in das Verhältnis von Sein und Bewußt- sein selbst verlagert wird. Dialektik als reflexive, zugleich auf sich selbst bezogene Spiegelung der sozial-historischen +Wirklichkeit* besteht folglich in der +realen* (unaufhebbaren) Verwo- benheit von Sein und Bewußtsein, Theorie und Praxis. Denn jedes Denken ist (materielle) Praxis, insoweit es sich nicht nur auf ein wie auch immer geartetes (erkanntes oder verkanntes, vorgestelltes oder wirkliches) Seiendes bezieht, sondern in diesem Bezug Handlungen – und seien es auch nur gedachte – auslöst. Andererseits ist jede Praxis theoretisch, insoweit sie notwendig (wenn auch vielleicht unbewußt) in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Gedachten steht, das seinerseits auf das Handeln zurückwirkt und umgekehrt. Genau aus diesem doppelt kontingenten Wechselverhältnis erklärt sich die dynamische dialektische Spannung des sozialen Prozesses. Daß ein Zusammenhang zwischen Denken und Handeln, Sein und Bewußtsein besteht, war natürlich auch den dialektischen Denkern der Vergangenheit bewußt. Trotzdem wurde das bewegende Prinzip der Dialektik entweder in der einen oder in der anderen Sphäre, im materiellen Sein (ökonomische Verhältnisse) oder im (transzendentalen) Bewußtsein, im +Welt- geist*, im Reich der Ideen verortet, deren +Objektivität* sich dem Subjekt über die gedankliche 148 Reflexion offenbart bzw. von ihm intuitiv-anamnetisch oder +dinglich* erfahren wird. Selbst bei Adorno – obwohl seine negative Dialektik, als kritische Theorie, auf der bestimmten Negation
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Unter (negativer) Dialektik versteht Adorno +das konsequente Bewußtse<strong>in</strong> von Nichtidentität*<br />
(S. 15), d.h. +Dialektik entfaltet die vom Allgeme<strong>in</strong>en diktierte Differenz des Beson<strong>der</strong>en<br />
vom Allgeme<strong>in</strong>en* (ebd.; S. 16). An<strong>der</strong>s als bei Hegel, kann es für Adorno jedoch nicht angehen,<br />
dieses Beson<strong>der</strong>e sodann im Allgeme<strong>in</strong>en (des Begriffs) wie<strong>der</strong> aufzuheben – und damit <strong>der</strong><br />
144<br />
Zerstörung Preis zu geben. Das Beson<strong>der</strong>e, Differente, Nichtidentische ist schließlich schon<br />
durch die aktuelle, totalisierende Praxis <strong>der</strong> kapitalistischen Markt-Gesellschaft genug bedroht,<br />
so daß Philosophie ihren (neuen) Wert genau <strong>in</strong> <strong>der</strong> negierenden Transzendierung dieser<br />
Praxis hat (vgl. ebd.; S. 13). Philosophie schöpft also +was irgend sie noch legitimiert, aus<br />
dem Negativem* (ebd.; S. 60). Deshalb muß die philosophische Praxis das Beson<strong>der</strong>e durch<br />
die Negation <strong>der</strong> +positiven* Verallgeme<strong>in</strong>erung im Begrifflichen – mittels <strong>der</strong> auf die konkrete<br />
(und s<strong>in</strong>guläre) Wirklichkeit zielenden (Hegelschen) Methode <strong>der</strong> bestimmten Negation –<br />
hervorkehren. +Die [dadurch erfolgende] Entzauberung des Begriffs ist das Gegengift <strong>der</strong> Philo-<br />
sophie.* (Ebd.; S. 22) +An ihr ist die Anstrengung, durch den Begriff über den Begriff h<strong>in</strong>-<br />
auszugehen.* (Ebd.; S. 25)<br />
Die negative Dialektik Adornos versucht also, wie schon oben angedeutet wurde, <strong>in</strong> ihrem<br />
negierenden Bezug auf die konkrete Wirklichkeit den sche<strong>in</strong>bar unüberbrückbaren Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zwischen Subjekt- und Objekt-Denken, zwischen idealistischer und materialistischer Dialektik,<br />
zu vermitteln: +In Lesen des Seienden als Text se<strong>in</strong>es Werdens berühren sich idealistische<br />
und materialistische Dialektik. Während jedoch dem Idealismus die <strong>in</strong>nere Geschichte <strong>der</strong><br />
Unmittelbarkeit diese als Stufe des Begriffs rechtfertigt, wird sie materialistisch zum Maß <strong>der</strong><br />
Unwahrheit <strong>der</strong> Begriffe […] Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdr<strong>in</strong>gt,<br />
ist die Möglichkeit, um die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus e<strong>in</strong>em jeden<br />
145<br />
blickt.* (Ebd.) Diese konkrete (und zugleich +utopische*) Negativität, die Theorie und Praxis<br />
mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verklammert, übt e<strong>in</strong>e befreiende Macht aus (vgl. auch Tong: Dialektik <strong>der</strong> Freiheit<br />
als Negation bei Adorno). Ja, vielmehr noch: +Freiheit [als die Möglichkeit zum ›an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>‹<br />
und zu e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Se<strong>in</strong>] ist e<strong>in</strong>zig <strong>in</strong> bestimmter Negation zu fassen, gemäß <strong>der</strong> konkreten<br />
Gestalt <strong>der</strong> Unfreiheit.* (Negative Dialektik; S. 228)<br />
Auch <strong>in</strong> dieser +negativen* Konzeption Adornos läuft das dialektische Denken allerd<strong>in</strong>gs Gefahr,<br />
sich selbst zu beschränken, <strong>in</strong>dem es e<strong>in</strong>erseits über sich h<strong>in</strong>aus strebt und damit möglicherweise<br />
vor <strong>der</strong> (<strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht metaphysischen) +Transzendenz* des eigenen Anspruchs kapituliert.<br />
An<strong>der</strong>erseits verfällt es <strong>in</strong> den Modus <strong>der</strong> aufklärerischen Metaerzählung von <strong>der</strong> Befreiung