Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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402 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE möglichen Überzeugungen (vgl. S. 89f.). Allerdings sind die somit kontingenten Einheitsseman- tiken, als (kommunikativ vermittelte) Reaktion auf kommunikative Turbulenzen, für die Stabilität von Gesellschaft in einem hohen Maß förderlich, denn sie +dienen dem Zweck […] Irritations- stöße unter dem Gesichtspunkt der Kompossibilität aller Funktionssysteme abzufedern* (ebd.; S. 98). Trotz des Konstruktcharakters ist gesellschaftliche Einheit also gemäß Fuchs ein relevantes Thema soziologischer +Beobachtung* – und sozial ebenso funktional wie die Annahme der Trennung der Teilsysteme. 122 Helmuth Willke stellt im Rahmen seiner staatstheoretischen Überlegungen dagegen eher die Problematik der zunehmenden Partikularität von sozialen Einheitsentwürfen in der +Realität* der funktional differenzierten Gesellschaft dar: +Der Primat funktionaler Differenzierung als Strukturprinzip gesellschaftlicher Selbstorganisation ist stabilisiert bis in die verfassungsrechtliche Absicherung der jeweiligen Autonomieräume hinein; jeder Bereich hat seine exklusiven Relevanzen und Zuständigkeiten bei gleichzeitigem gesellschaftsweit inkludierendem Beobach- tungshorizont, so daß aus der Dialektik von Exklusion und Inklusion die einfache Einheit von Gesellschaft verschwindet und aufgehoben wird in den je separaten Einheitsentwürfen aus der je spezifischen Sicht der Teilsysteme. Für jedes Teilsystem gibt es dann zwar eine Einheit der Gesellschaft, aber gerade deshalb keine übergreifende, für alle Teile verbindliche Einheit des Ganzen.* (Ironie des Staates; S. 43) Aus diesem +Einheitsverlust* in der Folge der zentrifugalen Dynamik funktionaler Differenzierung erwächst für Willke die Tragik des modernen Staates. Denn die ihm zugeschriebene Aufgabe ist es schließlich, eine übergreifende Einheit herzustellen und zugleich die Autonomie der Subsysteme zu gewährleisten. Um diese Tragik zu überwinden, hilft nur die (hier zynische) Tugend der Ironie, d.h. Fremdzwang muß, wie Willke in Anlehnung an Elias bemerkt (siehe auch S. XXXV), in Selbstzwang umgewandelt werden. Aus dem +iron cage* Webers kann so angeblich ein (weniger einengender) +ironic cage* werden (vgl. ebd.; S. 327ff.). 123 Das Problem der sozialen Integration ist durch die +ironische* Selbstbindung der autonomen Teilsysteme jedoch kaum überzeugend gelöst, denn sie ist unverbindlich. Vielversprechender sind diesbezüglich die Überlegungen von Bernd Peters, der eine vermittelnde Position zwischen Kritischer Theorie und Funktionalismus einnimmt: Bei der +Integration moderner Gesellschaften* (1993) greifen nach Peters intentionale und nichtintentionale Vergesellschaftungsmechanismen ineinander (vgl. S. 311), wobei auf der Seite der intentionalen Vergesellschaftungsmechanismen speziell Koordination (also Steuerung, Intervention und Umverteilungen etc.), normative
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 403 Integration (Recht/Rechtsverfahren) sowie die Generierung einer expressiven Gemeinschaft (Rekurs auf integrative Symbole) zu nennen sind (vgl. ebd.; S. 355ff.). Im Rahmen einer auf dieser Basis integrierten Gesellschaft gibt es nun zwar tatsächlich eine Verselbständigung der Eigenlogiken der Teilsysteme – was überdies durchaus kritisch betrachtet werden kann (vgl. ebd; S. 312ff). Allerdings muß die Autonomisierung der Teilsysteme nach Peters nicht immer +pathologisch* sein und der Lebenswelt den Boden entziehen. Vielmehr ist im +Zusammenspiel* von Peripherie und Zentrum die Peripherie nicht von vorne herein den Eingriffen des Zentrums hilflos ausgeliefert, sondern besitzt eine eigenständige, dezentrale Macht, auf die gebaut werden kann und soll (vgl. ebd.; S. 340ff.). Tauchen in diesem Zusammenspiel (oder anderweitig) Probleme auf, so gibt es für das politisch- bürokratische System (als +Machtzentrum*), nun grundsätzlich zwei verschiedene Modi, diese zu meistern: Beim problemorientierten Modus wird reflexiv verfahren, da in diesem Modus die von der Peripherie an das Zentrum übermittelten Probleme nicht negiert, sondern bewußt wahrgenommen werden und eine intensive (reflexiv-diskursive) Suche nach Lösungen und Alternativen initiiert wird (vgl. ebd.; S. 348f.). Im Routinemodus wird hingegen auf bewährte Muster zurückgegriffen. +Die Kehrseite dieses Routinemodus ist ein Arsenal von Mechanismen, durch welche Probleme latent gehalten oder verdrängt werden oder durch welche ihre Thema- 124 tisierung und Analyse verhindert wird […]* (Ebd.; S. 347) Gemäß dieser Charakterisierung durch Peters entspricht der Routinemodus also klar einer deflexiven Haltung und Vorgehensweise: Im unreflektierten Beharren auf gewohnten Handlungsweisen und festgeschriebenen, verinner- lichten Routinen werden mögliche Reflexionen abgelenkt. Solche Praxologien stellen die praktische Entsprechung von Ideologien auf der Handlungsebene dar. Mit ihnen beschäftigt sich der folgende Abschnitt näher: 5.3.2 DIE BEGRENZUNG DES (POLITISCHEN) HANDELNS DURCH DEFLEKTORISCHE ÜBERSETZUNGEN UND PRAXOLOGISCHE RITUALE Durch die ideologische Deflexion mittels der funktionalistischen Theoriekonstruktion der Trennung der Teilsysteme erfolgt, wie oben detailliert ausgeführt wurde, potentiell eine Spaltung des politischen Bewußtseins: Indem die Trennungsperspektive eingenommen und das politische Denken in die Bahnen der Teilsystemlogik(en) kanalisiert wird, kann kein umfassendes politisches Bewußtsein mehr erlangt werden. Diese Ideologie der Trennung könnte jedoch nicht wirksam
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Integration (Recht/Rechtsverfahren) sowie die Generierung e<strong>in</strong>er expressiven Geme<strong>in</strong>schaft<br />
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hilflos ausgeliefert, son<strong>der</strong>n besitzt e<strong>in</strong>e eigenständige, dezentrale Macht, auf die gebaut werden<br />
kann und soll (vgl. ebd.; S. 340ff.).<br />
Tauchen <strong>in</strong> diesem Zusammenspiel (o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig) Probleme auf, so gibt es für das politisch-<br />
bürokratische System (als +Machtzentrum*), nun grundsätzlich zwei verschiedene Modi, diese<br />
zu meistern: Beim problemorientierten Modus wird reflexiv verfahren, da <strong>in</strong> diesem Modus<br />
die von <strong>der</strong> Peripherie an das Zentrum übermittelten Probleme nicht negiert, son<strong>der</strong>n bewußt<br />
wahrgenommen werden und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive (reflexiv-diskursive) Suche nach Lösungen und<br />
Alternativen <strong>in</strong>itiiert wird (vgl. ebd.; S. 348f.). Im Rout<strong>in</strong>emodus wird h<strong>in</strong>gegen auf bewährte<br />
Muster zurückgegriffen. +Die Kehrseite dieses Rout<strong>in</strong>emodus ist e<strong>in</strong> Arsenal von Mechanismen,<br />
durch welche Probleme latent gehalten o<strong>der</strong> verdrängt werden o<strong>der</strong> durch welche ihre Thema-<br />
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durch Peters entspricht <strong>der</strong> Rout<strong>in</strong>emodus also klar e<strong>in</strong>er deflexiven Haltung und Vorgehensweise:<br />
Im unreflektierten Beharren auf gewohnten Handlungsweisen und festgeschriebenen, ver<strong>in</strong>ner-<br />
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praktische Entsprechung von Ideologien auf <strong>der</strong> Handlungsebene dar. Mit ihnen beschäftigt<br />
sich <strong>der</strong> folgende Abschnitt näher:<br />
5.3.2 DIE BEGRENZUNG DES (POLITISCHEN) HANDELNS DURCH DEFLEKTORISCHE ÜBERSETZUNGEN<br />
UND PRAXOLOGISCHE RITUALE<br />
Durch die ideologische Deflexion mittels <strong>der</strong> funktionalistischen Theoriekonstruktion <strong>der</strong><br />
Trennung <strong>der</strong> Teilsysteme erfolgt, wie oben detailliert ausgeführt wurde, potentiell e<strong>in</strong>e Spaltung<br />
des politischen Bewußtse<strong>in</strong>s: Indem die Trennungsperspektive e<strong>in</strong>genommen und das politische<br />
Denken <strong>in</strong> die Bahnen <strong>der</strong> Teilsystemlogik(en) kanalisiert wird, kann ke<strong>in</strong> umfassendes politisches<br />
Bewußtse<strong>in</strong> mehr erlangt werden. Diese Ideologie <strong>der</strong> Trennung könnte jedoch nicht wirksam