Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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394 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE nicht vielleicht Freud seine Theorie nur zur Selbstsublimierung erfunden?*, fragt dieser. Das ist sehr wohl möglich. Aber hat nicht vielleicht auch Luhmann, wie sich umgekehrt (in Anlehnung an Schulte) weiterfragen läßt, seine Theorie nur zur Selbstsublimierung erfunden – und ist sich dessen nicht bewußt? Während ein kritisch-dialektischer Ansatz diesen +Selbstzweck* der Theorie nicht negieren kann, sondern in die theoretischen Bemühungen reflexiv integriert, darum weiß, daß Theorie immer auch ein von innen angestoßener und nach innen gerichteter Versuch der Weltdeutung ist, flieht Luhmann vor dieser Einsicht und versucht, seine Sichtweise (als motivlose +Beobachtung*) zu objektivieren. So schreibt er vor dem Hintergrund der postmodernen Relativierung umfassender (moderner) Metaerzählungen an einer auto-po(i)etischen Metaerzählung des Systems. Versuchen wir deshalb – mit Schulte und durchaus +lustvoll* – eine psychoanalytisch inspirierte Deutung von Luhmanns Theoriegebäude, die selbst natürlich keinen Wahrheitsanspruch erhebt, sondern eher ein (hoffentlich aufschlußreiches) Interpretations- spiel darstellt, das an einem geeigneten Beispiel vor allem etwas über die analytische Tauglichkeit der hier verwendeten Begriffe und Unterscheidungen aussagen soll. Doch zurück zu Luhmann: Dessen explizites Ziel ist ein Programm der +Abklärung* – also eine +Befreiung* der Aufklärung von ihrem kritisch gegen sich selbst gerichteten Impuls. Denn diese gerate zunehmend in Gefahr, sich mit ihrem fortgesetzten Streben nach der restlosen Aufdeckung aller (auch der eigenen) Latenzen hoffnungslos zu überfordern. Dieser +haltlosen* Entlarvungstendenz der Aufklärung wird eine abgeklärte funktionalistische Sichtweise entgegen- gesetzt, die Verdrängung als handlungsnotwendigen Mechanismus zur Komplexitätsreduktion, als Schutz vor Überforderung begreift. So wird von Luhmann also gleichzeitig mit dem Einge- ständnis von Latenz, der Schutz der Latenz gefordert, da eben dies (latent) funktional ist (vgl. Soziologische Aufklärung; S. 69ff.). Mit seiner Forderung nach Latenzschutz schützt Luhmann das in den Sog der in der Tat ebenso rastlosen und wie ruchlosen neuzeitlichen Aufklärung geratene Individuum freilich nicht, sondern überantwortet es im Gegenteil der verselbständigten Dynamik ihrer Bewegung, die sich in den – nach Luhmann eben gerade besser nicht zu hinterfragenden – latenten (Macht-)Strukturen des Systems verdichtet hat. An die Stelle der haltlosen, Angst-getriebenen subjektiven Vernunft, tritt so – ebenso Angst-getrieben – die Kälte einer (pragmatisch) objektivierten Vernunft der Systeme, die keine Widersprüche duldet und dulden kann. Dazu Schulte: +Die Systemtheorie erweist sich als eine extravertierte oder umgestülpte Subjekttheorie, die ihre eigene Abdunklung
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 395 durch eine Mystik und Mythologie des Selbstschutzes besorgt […] Fasziniert vom nicht fixierbaren blinden Fleck der eigenen Beobachtung hat Luhmann seine Systemtheorie in den letzen Jahren mehr und mehr zur einer Theorie der Entparadoxierung aus- und umgearbeitet, in der es weniger um die Beschreibung oder Rekonstruktion gesellschaftlicher Phänomene als um die Beschwörung einer systemischen Vernunft der Ablenkung von unaushaltbarer Selbstreferenz geht* (Der blinde Fleck in Luhmanns Systemtheorie; S. 13) Der wichtigste Schritt auf diesem Weg war folglich die Eliminierung des Subjekts und der Subjektivität aus seinem Bezugsrahmen. Das fühlende und handelnde Individuum mit seiner grundlegenden Ambivalenz (siehe Exkurs), wird – da es sich systemtheoretisch nicht in seiner Eigenheit begreifen läßt und Widersprüche provoziert – zur bloßen Systemumwelt degradiert 114 (vgl. z.B. Die Tücke des Subjekts und siehe auch hier S. XXV). Luhmann beschränkt sich folglich, wie oben dargestellt, auf die Betrachtung von entpersonalisierten Kommunikationszusam- menhängen. Was bleibt ist der Beobachter (dieser Kommunikationsprozesse), doch jener stellt ebenso kein individuelles +Ich* dar, sondern ist vielmehr selbst immer der Beobachtung ausgesetzt und wird vor allem erst in der Kommunikation dieser Beobachtung – als beobachtetes Objekt – zum Teil des Ganzen, des Systems (vgl. z.B. Die Wissenschaft der Gesellschaft; S. 115 77ff.). Diese (regressive) Selbst-Verleugnung, die auch gewisse +paranoische* Züge aufweist und zudem eine schizophrene Spaltung von sich erfordert (vgl. ebd. S. 119 und siehe auch unten), kann – reflexiv beobachtet – als deflexiver Schutzmechanismus gedeutet werden, der die Zumutungen der verdinglichenden Warenlogik in der Kultur des Spätkapitalismus durch eine verflachende Selbstverdinglichung kompensiert (vgl. auch Jameson: Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus). +Luhmanns Theorie*, so Schulte, +dient […] der Vermeidung eigener, subjektiver Wahrheit.* (Der blinde Fleck in Luhmanns Systemtheorie; S. 211) Genauso wie das Subjekt nur als Objekt ins System integriert ist, darf subjektive Wahrheit folglich nur objektiviert geäußert werden. Der Systemtheoretiker distanziert sich sozusagen vom eigenen +Ich* und dem eigenen Standpunkt und spiegelt diesen in die überhöhte, damit gleichsam metaphysischen Charakter aufweisende Logik/Semantik des Systems – die allerdings natürlich erst in dieser Spiegelung konstruiert, autopoietisch hervorgebracht wird. Zwar bemerkt Luhmann sehr richtig: +Es gibt nur Ratten im Labyrinth [des Systems], die einander beobachten und eben deshalb wohl zu Systemstrukturen, nie aber zu Konsens kommen können. Es gibt kein labyrinthfreies, kein kontextfreies Beobachten. Und selbstverständlich ist auch eine Theorie,
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durch e<strong>in</strong>e Mystik und Mythologie des Selbstschutzes besorgt […] Fasz<strong>in</strong>iert vom nicht fixierbaren<br />
bl<strong>in</strong>den Fleck <strong>der</strong> eigenen Beobachtung hat Luhmann se<strong>in</strong>e Systemtheorie <strong>in</strong> den letzen Jahren<br />
mehr und mehr zur e<strong>in</strong>er Theorie <strong>der</strong> Entparadoxierung aus- und umgearbeitet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es<br />
weniger um die Beschreibung o<strong>der</strong> Rekonstruktion gesellschaftlicher Phänomene als um die<br />
Beschwörung e<strong>in</strong>er systemischen Vernunft <strong>der</strong> Ablenkung von unaushaltbarer Selbstreferenz<br />
geht* (Der bl<strong>in</strong>de Fleck <strong>in</strong> Luhmanns Systemtheorie; S. 13)<br />
Der wichtigste Schritt auf diesem Weg war folglich die Elim<strong>in</strong>ierung des Subjekts und <strong>der</strong><br />
Subjektivität aus se<strong>in</strong>em Bezugsrahmen. Das fühlende und handelnde Individuum mit se<strong>in</strong>er<br />
grundlegenden Ambivalenz (siehe Exkurs), wird – da es sich systemtheoretisch nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Eigenheit begreifen läßt und Wi<strong>der</strong>sprüche provoziert – zur bloßen Systemumwelt degradiert<br />
114<br />
(vgl. z.B. Die Tücke des Subjekts und siehe auch hier S. XXV). Luhmann beschränkt sich<br />
folglich, wie oben dargestellt, auf die Betrachtung von entpersonalisierten Kommunikationszusam-<br />
menhängen. Was bleibt ist <strong>der</strong> Beobachter (dieser Kommunikationsprozesse), doch jener<br />
stellt ebenso ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles +Ich* dar, son<strong>der</strong>n ist vielmehr selbst immer <strong>der</strong> Beobachtung<br />
ausgesetzt und wird vor allem erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kommunikation dieser Beobachtung – als beobachtetes<br />
Objekt – zum Teil des Ganzen, des Systems (vgl. z.B. Die Wissenschaft <strong>der</strong> Gesellschaft; S.<br />
115<br />
77ff.). Diese (regressive) Selbst-Verleugnung, die auch gewisse +paranoische* Züge aufweist<br />
und zudem e<strong>in</strong>e schizophrene Spaltung von sich erfor<strong>der</strong>t (vgl. ebd. S. 119 und siehe auch<br />
unten), kann – reflexiv beobachtet – als deflexiver Schutzmechanismus gedeutet werden,<br />
<strong>der</strong> die Zumutungen <strong>der</strong> verd<strong>in</strong>glichenden Warenlogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kultur des Spätkapitalismus<br />
durch e<strong>in</strong>e verflachende Selbstverd<strong>in</strong>glichung kompensiert (vgl. auch Jameson: Zur Logik <strong>der</strong><br />
Kultur im Spätkapitalismus). +Luhmanns Theorie*, so Schulte, +dient […] <strong>der</strong> Vermeidung<br />
eigener, subjektiver Wahrheit.* (Der bl<strong>in</strong>de Fleck <strong>in</strong> Luhmanns Systemtheorie; S. 211)<br />
Genauso wie das Subjekt nur als Objekt <strong>in</strong>s System <strong>in</strong>tegriert ist, darf subjektive Wahrheit<br />
folglich nur objektiviert geäußert werden. Der Systemtheoretiker distanziert sich sozusagen<br />
vom eigenen +Ich* und dem eigenen Standpunkt und spiegelt diesen <strong>in</strong> die überhöhte, damit<br />
gleichsam metaphysischen Charakter aufweisende Logik/Semantik des Systems – die allerd<strong>in</strong>gs<br />
natürlich erst <strong>in</strong> dieser Spiegelung konstruiert, autopoietisch hervorgebracht wird. Zwar bemerkt<br />
Luhmann sehr richtig: +Es gibt nur Ratten im Labyr<strong>in</strong>th [des Systems], die e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> beobachten<br />
und eben deshalb wohl zu Systemstrukturen, nie aber zu Konsens kommen können. Es gibt<br />
ke<strong>in</strong> labyr<strong>in</strong>thfreies, ke<strong>in</strong> kontextfreies Beobachten. Und selbstverständlich ist auch e<strong>in</strong>e Theorie,