Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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388 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE wird, der nun als ein mögliches Konstrukt der Wirklichkeit erscheint, nicht als mit dieser identisch.* (Moderne/Postmoderne; S. 371) Aus einer solchermaßen reflexiven, historisch notwendigerweise beschränkten, subjektiv-kontin- genten Sicht, die zugleich aber selbst-bewußt und engagiert die Festschreibungen der sozialen +Realität* hinterfragt, erscheint (mir) der systemtheoretische Funktionalismus als eine der zentralen Ideologien für den deflexiven +systemischen* Funktionszusammenhang der modernen Gesell- schaft, da er aufgrund seiner Prämissen die praxologischen Deflexionsbemühungen des Systems auf der Bewußtseinsebene unterstützt und zugleich die eigene Seinsgebundenheit, seine Gefan- genheit in ebendiesem System, negiert. Vor der dekonstruierenden (Ideologie-)Kritik dieses derzeit überaus prominenten soziologischen Konzepts ist allerdings die Rekonstruktion seiner Kernaussagen notwendig. Hierbei möchte ich mich – da er besonders konsequent zu Ende gedacht und im Diskurs, zumindest in der Bundesrepublik, dominant ist – auf Niklas Luhmanns Ansatz beschränken, und zwar so, wie er in seiner neuesten Fassung in dem Band +Die Gesellschaft der Gesellschaft* (1997) vorliegt: Hier entwickelt Luhmann zunächst eine +integrative* Sichtweise, indem er das Gesellschaftssystem als Metasystem der sozialen Teilsysteme beschreibt: Soziale Systeme stellen zwar, global betrachtet, in der Regel einen +binär codierten* und spezifischen, Kommunikationszusammenhang dar. Die Gesellschaft bzw. das Gesellschaftssystem ist allerdings ein Sonderfall unter den sozialen Systemen. Es schließt alle anderen sozialen Systeme in sich ein, da es sämtliche, nicht nur spezifische Kommunikationen umfaßt (vgl. S. 78). Trotz der daraus resultierenden Diffusität bildet das Gesellschaftssystem jedoch eine Einheit – indem es durch die gebildeten Strukturen der es konstituierenden Kommunikationen von seiner Umwelt abgegrenzt ist (vgl. ebd.; S. 90). Auch das Gesellschaftssystem ist damit, wie die anderen sozialen Systeme, ein +operativ geschlossenes*, autopoietisches System (vgl. ebd.; S. 92): Im Rahmen der Gesellschaft bringen sich Kommunikationen durch Kommunikation (selbst) hervor (vgl. ebd.; S. 96f.). Für die Aufrechterhaltung der Autopoiesis sind jedoch +Kopplungen* notwendig, die sozusagen die strukturellen Bedingungen für die autopoietische Reproduktion eines jeden Systems darstellen. Strukturelle Kopplung, so Luhmann, +bestimmt [zwar] nicht, was im System geschieht, sie muß aber vorausgesetzt werden, weil anderenfalls die Autopoiesis zum Erliegen käme und das System aufhören würde zu existieren.* (Ebd.; S. 100f.) Konkret auf das system(e)umfassende Kommunikationsnetz des Gesellschaftssystems bezogen, ergeben sich als notwendige strukturelle

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 389 Kopplungen für dessen +kommunikative* Autopoiesis insbesondere Zeichensysteme (also Sprache) und (moderne) Massenmedien (vgl. ebd.; S. 105–112). 106 Innerhalb dieses strukturell gekoppelten und operativ geschlossenen Rahmens existieren jedoch autonome Funktionssysteme: Die evolutionär aus der stratifizierten Ständegesellschaft hervor- gegangene funktional differenzierte Gesellschaft der Gegenwart besteht nämlich aus ihrerseits operativ geschlossenen Teilsystemen, denen eine je spezifische Aufgabe zukommt, welche diese aber selbst festlegen und eigenständig umsetzen. Das Gesellschaftssystem ist daher nur (umfassende) Umwelt für die Teilsysteme, ihnen jedoch nicht (hierarchisch) übergeordnet: +Mit dem Übergang zu funktionaler Differenzierung verzichtet die Gesellschaft darauf, den Teilsystemen ein gemeinsames Differenzierungsschema zu oktroieren.* (Ebd.; S. 745) Für das einzelne Teilsystem, das auf der Grundlage eines charakteristischen binären Codes wie Recht/Unrecht(Rechtssystem),Haben/Nichthaben(Wirtschaftssystem)oderRegierung/Opposition (Politiksystem) +operiert* (vgl. ebd.; S. 748ff. und siehe auch hier S. 101), bedeutet diese Autonomie vom gesellschaftlichen Rahmen wie den anderen Teilsystemen jedoch zugleich, daß seine spezifische Funktion +Priorität genießt und allen anderen Funktionen vorgeordnet wird […] So ist zum Beispiel für das politische System der politische Erfolg (wie immer operatio- nalisiert) wichtiger als alles andere, und eine erfolgreiche Wirtschaft ist hier nur als Bedingung politischer Erfolge wichtig.* (Ebd. S. 747) Nur wenn Politik also für ihre Zwecke z.B. Geldmittel benötigt, muß auf +fremde* Codes (in diesem Fall den ökonomischen Code von Haben/Nicht- haben) zurückgegriffen werden (vgl. ebd.; S. 762). 107 Durch diese Argumentationsfigur wird deutlich, daß der übergreifende Rahmen des Gesell- schaftssystems im theoretischen System Luhmanns nur die Funktion einer semantischen Klammer erfüllt, die er denken muß, um die einzelnen Funktionssysteme als umso autonomer darstellen zu können. Das im zweiten Kapitel analysierte Zusammenspiel der (Teil-)Systeme und ihre +Kurzschlüsse* werden in dieser auf die Trennungen fixierten soziologischen Konstruktion konsequent ausgeblendet. Die Sicht des systemtheoretischen Funktionalismus (Luhmannscher Prägung) auf das gesellschaftliche Gefüge ist folglich selektiv. Diese Selektivität teilt sie mit allen +sinnvollen* theoretischen Bemühungen, die – um einen analytischen Gewinn gegenüber reinen +Abbildungen* darzustellen – (Umwelt-)Komplexität zwangsläufig reduzieren müssen (so zumindest würde man es wohl in der funktionalistischen Terminologie ausdrücken). Luhmann hypostasiert allerdings in seinen Beschreibungen einen bestimmten, aus reflexiver Sicht durchaus

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 389<br />

Kopplungen für dessen +kommunikative* Autopoiesis <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Zeichensysteme (also Sprache)<br />

und (mo<strong>der</strong>ne) Massenmedien (vgl. ebd.; S. 105–112). 106<br />

Innerhalb dieses strukturell gekoppelten und operativ geschlossenen Rahmens existieren jedoch<br />

autonome Funktionssysteme: Die evolutionär aus <strong>der</strong> stratifizierten Ständegesellschaft hervor-<br />

gegangene funktional differenzierte Gesellschaft <strong>der</strong> Gegenwart besteht nämlich aus ihrerseits<br />

operativ geschlossenen Teilsystemen, denen e<strong>in</strong>e je spezifische Aufgabe zukommt, welche<br />

diese aber selbst festlegen und eigenständig umsetzen. Das Gesellschaftssystem ist daher nur<br />

(umfassende) Umwelt für die Teilsysteme, ihnen jedoch nicht (hierarchisch) übergeordnet:<br />

+Mit dem Übergang zu funktionaler Differenzierung verzichtet die Gesellschaft darauf, den<br />

Teilsystemen e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Differenzierungsschema zu oktroieren.* (Ebd.; S. 745) Für<br />

das e<strong>in</strong>zelne Teilsystem, das auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es charakteristischen b<strong>in</strong>ären Codes wie<br />

Recht/Unrecht(Rechtssystem),Haben/Nichthaben(Wirtschaftssystem)o<strong>der</strong>Regierung/Opposition<br />

(<strong>Politik</strong>system) +operiert* (vgl. ebd.; S. 748ff. und siehe auch hier S. 101), bedeutet diese<br />

Autonomie vom gesellschaftlichen Rahmen wie den an<strong>der</strong>en Teilsystemen jedoch zugleich,<br />

daß se<strong>in</strong>e spezifische Funktion +Priorität genießt und allen an<strong>der</strong>en Funktionen vorgeordnet<br />

wird […] So ist zum Beispiel für das politische System <strong>der</strong> politische Erfolg (wie immer operatio-<br />

nalisiert) wichtiger als alles an<strong>der</strong>e, und e<strong>in</strong>e erfolgreiche Wirtschaft ist hier nur als Bed<strong>in</strong>gung<br />

politischer Erfolge wichtig.* (Ebd. S. 747) Nur wenn <strong>Politik</strong> also für ihre Zwecke z.B. Geldmittel<br />

benötigt, muß auf +fremde* Codes (<strong>in</strong> diesem Fall den ökonomischen Code von Haben/Nicht-<br />

haben) zurückgegriffen werden (vgl. ebd.; S. 762). 107<br />

Durch diese Argumentationsfigur wird deutlich, daß <strong>der</strong> übergreifende Rahmen des Gesell-<br />

schaftssystems im theoretischen System Luhmanns nur die Funktion e<strong>in</strong>er semantischen Klammer<br />

erfüllt, die er denken muß, um die e<strong>in</strong>zelnen Funktionssysteme als umso autonomer darstellen<br />

zu können. Das im zweiten Kapitel analysierte Zusammenspiel <strong>der</strong> (Teil-)Systeme und ihre<br />

+Kurzschlüsse* werden <strong>in</strong> dieser auf die Trennungen fixierten soziologischen Konstruktion<br />

konsequent ausgeblendet. Die Sicht des systemtheoretischen Funktionalismus (Luhmannscher<br />

Prägung) auf das gesellschaftliche Gefüge ist folglich selektiv. Diese Selektivität teilt sie mit<br />

allen +s<strong>in</strong>nvollen* theoretischen Bemühungen, die – um e<strong>in</strong>en analytischen Gew<strong>in</strong>n gegenüber<br />

re<strong>in</strong>en +Abbildungen* darzustellen – (Umwelt-)Komplexität zwangsläufig reduzieren müssen<br />

(so zum<strong>in</strong>dest würde man es wohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> funktionalistischen Term<strong>in</strong>ologie ausdrücken). Luhmann<br />

hypostasiert allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Beschreibungen e<strong>in</strong>en bestimmten, aus reflexiver Sicht durchaus

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