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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 385<br />

würden <strong>in</strong> ihren Aussagen die Realität verfehlen. Gemäß dieser abschätzigen Sicht <strong>der</strong> +ideolo-<br />

gischen Wissenschaft* verstand man im folgenden unter Ideologie e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vorurteilen (idola)<br />

verhaftetes Denken, das auch schon Francis Bacon (siehe Anmerkung 9, Entrée) als Quelle<br />

<strong>der</strong> Irrungen des Geistes galt. (Vgl. Lieber: Ideologie; S. 19–34)<br />

Es kommt freilich auf dieser Stufe – sowohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er aufklärerisch-sozialkritischen wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

diffamierenden Fassung – noch immer e<strong>in</strong> partikularer Ideologiebegriff zur Anwendung, da<br />

jeweils nur bestimmte Denk<strong>in</strong>halte und Äußerungen als ideologisch begriffen werden (vgl.<br />

Mannheim: Ideologie und Utopie; S. 53ff.). E<strong>in</strong> totaler Ideologiebegriff entwickelt sich, vorbereitet<br />

durch die idealistische Bewußtse<strong>in</strong>sphilosophie und das geschichtsphilosophische Denken<br />

Hegels, erst im Diskurs des Sozialismus. Hier wird nämlich die Erkenntnisfähigkeit des politischen<br />

Gegners grundsätzlich angezweifelt. Dieser hat, durch se<strong>in</strong>en sozialen Standort (Klassenposition),<br />

gar ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Möglichkeit, als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em +falschen Bewußtse<strong>in</strong>* verhaftet zu denken. Nicht<br />

nur e<strong>in</strong>zelne Anschauungen, son<strong>der</strong>n das gesamte Denken e<strong>in</strong>er bestimmten Gruppe bzw.<br />

Klasse wird also gemäß des totalisierten Ideologieverständnisses im Sozialismus (aber auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> späteren Übernahme des totalen Ideologiebegriffs durch das Bürgertum) als ideologisch<br />

e<strong>in</strong>gestuft und verworfen (vgl. ebd.; S. 60ff.).<br />

Selbst dieser totale Ideologiebegriff ist jedoch noch begrenzt und nimmt die eigenen An-<br />

schauungen aus dem Ideologieverdacht aus. Erst <strong>der</strong> wissenssoziologische totale und allgeme<strong>in</strong>e<br />

Ideologiebegriff Karl Mannheims – auf welchen ich mich, wie angegeben, bereits oben mit<br />

<strong>der</strong> Unterscheidung zwischen partikularem und totalem Ideologiebegriff bezog – überw<strong>in</strong>det<br />

diese Schranke. Mannheim g<strong>in</strong>g es darum, <strong>in</strong> <strong>der</strong> von ihm (Ende <strong>der</strong> 20er Jahre) konstatierten<br />

Krisensituation des Denkens +die Krise zu vertiefen, sich ausweiten zu lassen, Wankendes<br />

<strong>in</strong> Frage zu stellen, um <strong>der</strong> Natur des Prozesses mit dem Auge des Forschers nachzugehen.<br />

Vor allem ist es daher nötig, den eigenen Gedanken gegenüber auf <strong>der</strong> Hut zu se<strong>in</strong> […] Wir<br />

wollen deshalb die aus den verschiedenen Ansätzen stammenden Wi<strong>der</strong>sprüche nicht retu-<br />

schieren, denn jetzt kommt es noch nicht auf e<strong>in</strong> Rechthaben an, son<strong>der</strong>n auf e<strong>in</strong> entschie-<br />

deneres Sichtbarmachen e<strong>in</strong>es jeden Wi<strong>der</strong>spruchs [...]* (Ebd.; S. 51)<br />

Indem es Mannheim also gerade um die Sichtbarmachung und Entfaltung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

g<strong>in</strong>g, ist se<strong>in</strong> Ansatz im oben def<strong>in</strong>ierten S<strong>in</strong>n reflexiv zu nennen. Und reflexiven Charakter<br />

hat auch se<strong>in</strong> Ideologiebegriff, denn dieser bezieht schließlich die Se<strong>in</strong>sgebundenheit des<br />

eigenen Denkens mit e<strong>in</strong> und radikalisiert dadurch den totalen Ideologiebegriff des 19. Jahrhun-

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