Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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XLIV POLITIK IN DER (POST-)MODERNE tanten mit Waffen von wachsender Zerstörungskraft versorgt* (vgl. ebd.; Band 2, S. 396). Allerdings erkennt Toynbee die Demokratisierung und Ausweitung der Bildung als positives Element der +Post-Moderne* durchaus an (vgl. ebd.; S. 397f.). 70 Der Begriff +Postmoderne* tauchte also bis Mitte des Jahrhunderts nur eher sporadisch auf, fand kaum Resonanz in einer breiteren wissenschaftlichen Diskussion (obwohl Oníz sowie vor allem Toynbee natürlich rezipiert wurden) und fand schon gar keinen Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. Das lag wohl daran, daß der gesellschaftliche Horizont bis dahin noch stark von Modernitätsvorstellungen geprägt war und deshalb an eine wie auch immer geartete +Postmoderne* gar nicht zu denken war. Eine erste, größere Aufmerksamkeit erregende Postmoderne-Debatte entspann sich dann jedoch Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre unter amerikanischen Literaturwissenschaftlern. Irving Howe und Harry Levin konstatierten ein Nach- lassen des innovativen Impulses in der Gegenwartsliteratur. Im Vergleich zu den bedeutenden Autoren der Moderne (wie Proust, Eliot oder Joyce) sah man die als +post-modern* titulierte Literatur der damaligen Gegenwart als Ausdruck der Ausdruckslosigkeit der Massengesellschaft an (vgl. z.B. Howe: Mass Society and Postmodern Fiction). Ganz anders interpretierten dies hingegen Leslie Fiedler (und an ihn anschließend auch Susan Sontag und Ihab Hassan): Während die tradierte Moderne durch ihre elitäre Ausrichtung im Elfenbeinturm der Kunst gefangen blieb, gelänge es +postmodernen* Künstlern wie Norman Mailer oder Leonard Cohen, die Grenze zur Populär-Kultur zu überschreiten und den Graben zwischen Publikum und Kunst- produktion zu schließen (vgl. Cross the Border – Close the Gap). 71 Von einem ähnlichen Ansinnen waren auch Pop-Art-Künstler wie Jim Dine, der sich durch ein +leidenschaftliches Interesse für das Banale* und eine +sentimentale Zuneigung für das Alltägliche* auszeichnete (Lucie-Smith: Die moderne Kunst; S. 194), sowie vor allem Andy 72 Warhol mit seiner +Factory* getragen. Aus dieser Kunstfabrik ging z.B. die Musikgruppe +Velvet Underground* hervor, deren +Stars* Lou Reed und John Cale noch heute zwischen 73 den Kunstwelten vermitteln. Roy Lichtenstein schließlich, der sich am Comic Strip künstlerisch orientierte, wandte sich explizit gegen jede malerische Qualität und handelte nach dem Motto, +ein Bild zu schaffen, das abscheulich genug ist, um von jemandem an die Wand gehängt zu werden* (zitiert nach ebd.; S. 205). 74 Auch die Anfang der 80er Jahre vom italienischen Kunsthistoriker Achille Bonito Oliva proklamierte Trans-Avantgarde ist Ausdruck des anti-avantgardistischen postmodernen Kunst-

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? XLV verständnisses. Für Bonito Oliva ist Kunst allerdings per definitionem +eine asoziale Praxis, die an abgesonderten Orten entsteht […] und die sich offensichtlich keine Rechenschaft darüber ablegt, unter welchen Bedingungen sie sich entwickelt, weil sie keine Anregungen braucht, außer den inneren Anregungen, die sie leiten* (Im Labyrinth der Kunst; S. 89). Somit ist das Ziel für die neue trans-avantgardistische Kunst die +Produktion von Diskontinuität* (vgl. ebd.; 75 S. 59), wobei +jedes Werk verschieden vom anderen* ist (ebd.; S. 63). Denn Trans-Avantgarde, +das bedeutet die Übernahme einer nomadischen Position, die kein endgültiges Engagement respektiert […]* (Die italienische Trans-Avantgarde; S. 126). Trotz solcher, ganz im oben beschriebenen Sinn postmodern anmutender Konzepte, konnte sich der Postmoderne-Begriff in der bildenden Kunst nicht durchsetzen – zu sehr orientiert man sich dort noch immer an der +klassischen Moderne*. Umso mehr bestimmt er aber die Architektur-Diskussion der Gegenwart. Wie schon in der Literaturdebatte, so wurde auch hier zunächst das Attribut +postmodern* in diffamierender Absicht gebraucht (vgl. Pevsner: Architecture in Our Time). Charles Jencks wendete Mitte der 70er Jahre dann allerdings die 76 Negativ-Vokabel (ähnlich wie Fiedler für die Literatur) positiv: Er äußert nämlich die Über- zeugung, daß sich die so bezeichnete postmoderne Architektur, anders als die streng kompo- nierten klassisch modernen Bauten, nicht nur an einige wenige Architekturkenner wendet, sondern auch das breite Publikum anzusprechen vermag. Damit sei eine +Doppelkodierung* der postmodernen Architektur gegeben (vgl. Die Sprache der postmodernen Architektur; S. 85). Als selbstbewußter +Postmoderner* formuliert er: +Der Fehler der modernen Architektur war, daß sie sich an eine Elite richtete. Die Postmoderne versucht, den Anspruch des Elitären zu überwinden, nicht durch Aufgabe desselben, sondern durch Erweiterung der Sprache der Architektur in verschiedene Richtungen […]* (Ebd.; S. 88) Deshalb plädiert Jencks auch für einen +radikalen Eklektizismus* (vgl ebd.; S. 92ff.). Heinrich Klotz sieht es im Prinzip ähnlich, auch wenn ihm die Postmoderne-Vokabel eigentlich nicht behagt und er lieber in Anlehnung an Habermas von einer +unvollendeten Moderne* sprechen würde (siehe S. XXXIX). Trotzdem übernimmt er die Bezeichnung +postmodern*, die sich in der Debatte nun einmal durchgesetzt hat. Und die als postmoderne bezeichnete Architektur ist der +modernen* nach Klotz durchaus überlegen: Während letztere nämlich alleine Funk- tion(alität) zu bieten hat, schafft erstere zusätzlich auch einen Raum für Imagination, für das

ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? XLV<br />

verständnisses. Für Bonito Oliva ist Kunst allerd<strong>in</strong>gs per def<strong>in</strong>itionem +e<strong>in</strong>e asoziale Praxis,<br />

die an abgeson<strong>der</strong>ten Orten entsteht […] und die sich offensichtlich ke<strong>in</strong>e Rechenschaft darüber<br />

ablegt, unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen sie sich entwickelt, weil sie ke<strong>in</strong>e Anregungen braucht,<br />

außer den <strong>in</strong>neren Anregungen, die sie leiten* (Im Labyr<strong>in</strong>th <strong>der</strong> Kunst; S. 89). Somit ist das<br />

Ziel für die neue trans-avantgardistische Kunst die +Produktion von Diskont<strong>in</strong>uität* (vgl. ebd.;<br />

75<br />

S. 59), wobei +jedes Werk verschieden vom an<strong>der</strong>en* ist (ebd.; S. 63). Denn Trans-Avantgarde,<br />

+das bedeutet die Übernahme e<strong>in</strong>er nomadischen Position, die ke<strong>in</strong> endgültiges Engagement<br />

respektiert […]* (Die italienische Trans-Avantgarde; S. 126).<br />

Trotz solcher, ganz im oben beschriebenen S<strong>in</strong>n postmo<strong>der</strong>n anmuten<strong>der</strong> Konzepte, konnte<br />

sich <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne-Begriff <strong>in</strong> <strong>der</strong> bildenden Kunst nicht durchsetzen – zu sehr orientiert<br />

man sich dort noch immer an <strong>der</strong> +klassischen Mo<strong>der</strong>ne*. Umso mehr bestimmt er aber die<br />

Architektur-Diskussion <strong>der</strong> Gegenwart. Wie schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literaturdebatte, so wurde auch<br />

hier zunächst das Attribut +postmo<strong>der</strong>n* <strong>in</strong> diffamieren<strong>der</strong> Absicht gebraucht (vgl. Pevsner:<br />

Architecture <strong>in</strong> Our Time). Charles Jencks wendete Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre dann allerd<strong>in</strong>gs die<br />

76<br />

Negativ-Vokabel (ähnlich wie Fiedler für die Literatur) positiv: Er äußert nämlich die Über-<br />

zeugung, daß sich die so bezeichnete postmo<strong>der</strong>ne Architektur, an<strong>der</strong>s als die streng kompo-<br />

nierten klassisch mo<strong>der</strong>nen Bauten, nicht nur an e<strong>in</strong>ige wenige Architekturkenner wendet,<br />

son<strong>der</strong>n auch das breite Publikum anzusprechen vermag. Damit sei e<strong>in</strong>e +Doppelkodierung*<br />

<strong>der</strong> postmo<strong>der</strong>nen Architektur gegeben (vgl. Die Sprache <strong>der</strong> postmo<strong>der</strong>nen Architektur; S.<br />

85). Als selbstbewußter +<strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ner* formuliert er:<br />

+Der Fehler <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Architektur war, daß sie sich an e<strong>in</strong>e Elite richtete. Die <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne versucht,<br />

den Anspruch des Elitären zu überw<strong>in</strong>den, nicht durch Aufgabe desselben, son<strong>der</strong>n durch Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Architektur <strong>in</strong> verschiedene Richtungen […]* (Ebd.; S. 88)<br />

Deshalb plädiert Jencks auch für e<strong>in</strong>en +radikalen Eklektizismus* (vgl ebd.; S. 92ff.). He<strong>in</strong>rich<br />

Klotz sieht es im Pr<strong>in</strong>zip ähnlich, auch wenn ihm die <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne-Vokabel eigentlich nicht<br />

behagt und er lieber <strong>in</strong> Anlehnung an Habermas von e<strong>in</strong>er +unvollendeten Mo<strong>der</strong>ne* sprechen<br />

würde (siehe S. XXXIX). Trotzdem übernimmt er die Bezeichnung +postmo<strong>der</strong>n*, die sich<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Debatte nun e<strong>in</strong>mal durchgesetzt hat. Und die als postmo<strong>der</strong>ne bezeichnete Architektur<br />

ist <strong>der</strong> +mo<strong>der</strong>nen* nach Klotz durchaus überlegen: Während letztere nämlich alle<strong>in</strong>e Funk-<br />

tion(alität) zu bieten hat, schafft erstere zusätzlich auch e<strong>in</strong>en Raum für Imag<strong>in</strong>ation, für das

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