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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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380 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

wohnheit – sie bleibt vorbewußt und ist <strong>in</strong> die alltäglichen Rout<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>geschrieben, die damit<br />

als Reflexionen absorbierende Handlungsmuster praxologischen Charakter haben (siehe auch<br />

unten). Obwohl die Analogie zwischen dem Konzept des praktischen Bewußtse<strong>in</strong>s und dem<br />

psychoanalytischen Modell des Un- bzw. Vorbewußten offensichtlich ist, setzt Giddens sich<br />

jedoch explizit von Freud ab. Das liegt zum e<strong>in</strong>en daran, daß die psychoanalytische Begriff-<br />

lichkeit bei ihrer Übertragung <strong>in</strong>s Englische an Aussagekraft und Konsistenz e<strong>in</strong>gebüßt hat<br />

98<br />

und somit zu Mißverständnissen e<strong>in</strong>lädt – was Giddens vermeiden will. Zum an<strong>der</strong>en hofft<br />

er, mit se<strong>in</strong>er eher +wertneutralen* begrifflichen Unterscheidung zwischen diskursivem und<br />

praktischem Bewußtse<strong>in</strong> zwei Arten des Reduktionismus zu entgehen, die im klassischen<br />

psychoanalytischen Modell se<strong>in</strong>er Auffassung nach angelegt s<strong>in</strong>d:<br />

+Die e<strong>in</strong>e ist e<strong>in</strong>e reduktionistische Konzeption <strong>der</strong> Institutionen, die beim Versuch, die Fundierung <strong>der</strong><br />

Institutionen im Unbewußten nachzuweisen, <strong>der</strong> Bewegung autonomer gesellschaftlicher Kräfte nicht<br />

genügend Spielraum gibt. Die zweite ist e<strong>in</strong>e reduktionistische Theorie des Bewußtse<strong>in</strong>s, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Absicht<br />

zu zeigen, wie sehr das gesellschaftliche Leben durch dunkle Ströme außerhalb des menschlichen Bewußtse<strong>in</strong>s<br />

beherrscht wird, die Kontrolle nicht angemessen erfassen kann, die Handelnde charakteristischerweise<br />

reflexiv über ihr Verhalten aufrechterhalten können.* (Ebd.; S. 55)<br />

Giddens verschenkt im Bemühen, diesen beiden Reduktionismen zu entgehen, jedoch me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens die Möglichkeit e<strong>in</strong>es kritischen Blicks auf rout<strong>in</strong>isierte Alltagshandlungen und ihre<br />

99<br />

Funktionalität für die Aufrechterhaltung sozialer Machtstrukturen. Indem die latenten Motive<br />

des Handelns dem praktischen Bewußtse<strong>in</strong> verborgen bleiben, entziehen sich diese <strong>der</strong> Reflexion.<br />

Das verr<strong>in</strong>gert zwar den Reflexionsaufwand, bewirkt Vertrauen und schützt vor e<strong>in</strong>er Über-<br />

reflektiertheit, die eventuell sozial sprengend und <strong>in</strong>dividuell belastend wäre. Allerd<strong>in</strong>gs muß<br />

diese +Entlastung* mit e<strong>in</strong>em hohem Preis bezahlt werden. Denn durch die +tätige* Ausblendung<br />

von H<strong>in</strong>terfragungen wird e<strong>in</strong> System <strong>der</strong> Verdrängung etabliert und verfestigt.<br />

100<br />

In <strong>der</strong> rout<strong>in</strong>isierten Aktivität, dem fraglosen Handeln, erfolgt somit e<strong>in</strong>e zwar passive, aber<br />

überaus wirksame Deflexion von Reflexivität und ihrer Reflexionen: Verunsichernde, ambivalente<br />

Emotionen und Gedanken werden, <strong>in</strong>dem sie gar nicht erst voll <strong>in</strong>s Bewußtse<strong>in</strong> gelangen,<br />

abgewehrt, verdrängt und abgelenkt, anstatt sich mit ihnen aktiv ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen – genauso,<br />

wie <strong>der</strong> Neurotiker im psychoanalytischen Modell Freuds durch se<strong>in</strong>e Zwangshandlungen<br />

<strong>der</strong> psychisch belastenden Verarbeitung se<strong>in</strong>er Traumata aus dem Weg geht (vgl. Vorlesungen<br />

zur E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Psychoanalyse; <strong>in</strong>sb. S. 232ff.). Dies soll ke<strong>in</strong>eswegs besagen, daß jede

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