Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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368 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE an ihrer Grenze und eine neue +Politik aus der Basis* entdeckt – nachdem Frieden, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zumindest auf der formalen Ebene des demokratischen Rechts- und Wohlfahrtsstaats weitgehend verwirklicht wurden – die Umwelt- und Lebensrechte wieder (vgl. dort S. 14 und siehe ebenso hier S. 201f.). Auch die empirische Politikforschung muß angesichts der bereits erfolgten Transformation der Politik durch die subpolitische Herausforderung und aufgrund der allgemeinen Wand- lungsprozesse des Sozialen lernen, mit neuen (ambivalenten) Kategorien zu +rechnen*. Claus Leggewie etwa spricht von +Fuzzy Politics* (1994) und stellt fest: +Ethnisch-kulturelle Fraktale […] überlagern die Flächendimension politischer Einheiten; an ihrer Stelle gewinnen ›immate- rielle‹ Demarkationslinien an Bedeutung, die sich auf ›unsichtbare‹, aber nicht weniger reale Grenzen beziehen.* (S. 124) Diese subpolitischen, nicht im gängigen Koordinatensystem der Parteienlandschaft abbildbaren +Fraktale* mit ihren neuartigen Abgrenzungen werden durch Lebensstilmilieus und neotribale Aggregationen (wie Skins, Punks oder Autonome) etc. gebildet. Sie können (empirisch) nur +erfaßt* werden, wenn von der Logik der Zweiwertigkeit zu einer polivalenten Logik übergegangen wird (vgl. ebd.; S. 126). Die von der Systemtheorie postulierte binäre Codierung (siehe auch S. 101) wäre jedenfalls mit dem von Leggewie ausgemachten Phänomen der +Fuzzy Politics* endgültig +unpraktikabel* geworden. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit die fraktalisierten +Fuzzy Politics* der empirischen +Realität* tatsächlich eine subpolitische Metapolitik darstellen und ob mit ihrem Auftauchen nicht vielmehr eine Zersplitterung, eine +Minimalisierung* und Diffusion des Politischen stattfindet. Dieser (entpolitisierende) Aspekt von Subpolitisierungsprozessen wird unten noch eingehender thema- tisiert werden. Aus dem Blickwinkel des Systems stellt sich hingegen auch die umgekehrte Frage, mit welchen +Recht*, mit welcher Legitimation Subpolitik in die Sphäre der institu- tionalisierten Politik eindringt und ihr Grenzen setzt. Obwohl diese Frage hier nicht vertieft werden soll – denn sie entspricht weitgehend einer zirkulären Kritik, die Subpolitik aufgrund ihres spezifischen subpolitischen Charakters +diskreditiert* –, ist es sinnvoll, sich kurz die grundsätzliche Ambivalenz einer umfassenden, tatsächlich metapolitischen Subpolitisierung zu vergegenwärtigen: Zunächst ist hier auf das (formal)demokratische Defizit der Subpolitik zu verweisen. Im Gegensatz zu den gewählten Repräsentanten können sich subpolitische Akteure oft nur auf ihre +Eigen- macht* und nicht auf die rechtfertigende Macht der (praxologischen) Legitimation durch

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 369 (Wahl-)Verfahren berufen. Es ist zudem unklar, zu welchem Grad die (selbsternannten) sub- politischen +Sprecher* für die Belange der Umwelt und der Lebenswelt tatsächlich für andere sprechen und handeln (dürfen/können/sollen). Die (vor-)politische +Masse* verharrt schließlich noch zumeist schweigend und passiv. Weiterhin ist zu vermuten, daß sich in subpolitischen Netzen rasch informelle Machtstrukturen etablieren, die nur undurchschaubarer sind als jene des +Systems*, nicht aber weniger ausgeprägt. Und schließlich bot die in der Bewegung der Moderne herausgebildete Trennung zwischen dem Bereich der Öffentlichkeit und dem Privaten (siehe Abschnitt 2.4) auch einen Schutz der Lebenswelt vor Eingriffen des +Systems*. Dieser trennende Schutzwall um das Private wurde bereits durch das Ausgreifen des interventionistischen Wohlfahrtsstaats durchlöchert. Durch die grenzenlose Politisierung der gesamten Sozialsphäre durch die metapolitische Subpolitik wird er ganz eingerissen. Die Privaträume werden also +veröffentlicht*, und selbst das eigenste des eigenen Lebens gerät unter subpolitische Recht- fertigungszwänge. Damit besitzt Subpolitik auch ein +totalitäres* Potential und birgt die Gefahr einer rücksichtslosen Superpolitisierung. Ihre subversive Grenzenlosigkeit schlägt so möglicher- weise in eine ebenso +grenzenlose*, lebenspolitische Gewalt um, die – wie die Bewegung der einfachen Moderne – eine (neuordnende) tabula rasa zum Ziel hat. 5.2.2 SUBPOLITIK ALS DIFFUSE NICHT-POLITIK Subpolitik ist Metapolitik, indem sie aus dem Untergrund der Lebenswelt heraus eine Politik der Politik betreibt. Sie politisiert aber auch die lebensweltliche Privatheit und kann nicht nur aufgrund dieser Entgrenzung, wie oben umrissen wurde, durchaus ambivalent beurteilt werden. Die Ausweitung des Politischen geht notwendig mit seiner Diffusion einher. Es verliert an Trennschärfe und – paradoxerweise – an +Allgemeinheit* (im Sinne eines allgemeinen, +umfassenden* Bezugs). Andererseits: Wenn mit dem Phänomen der Subpolitik potentiell alles zu einer politischen Frage wird, so ist vielleicht auch nichts mehr in einem spezifischen Sinn politisch. Es wäre somit zu klären, ob es ein spezifisch Politisches der Subpolitik gibt und worin dieses bestände. Denn zweifellos sprengt der diffus erweiterte Politikbegriff der Subpolitik übliche Definitionen, die Politik eng an die staatliche Sphäre binden. 84 Doch selbstverständlich darf man Subpolitik nicht an den (definitorischen) Maßstäben der +klassischen* Politik messen. Insofern sie Metapolitik ist, stellt sie schließlich genau deren

368 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

an ihrer Grenze und e<strong>in</strong>e neue +<strong>Politik</strong> aus <strong>der</strong> Basis* entdeckt – nachdem Frieden, Freiheit,<br />

Gleichheit und Brü<strong>der</strong>lichkeit zum<strong>in</strong>dest auf <strong>der</strong> formalen Ebene des demokratischen Rechts-<br />

und Wohlfahrtsstaats weitgehend verwirklicht wurden – die Umwelt- und Lebensrechte wie<strong>der</strong><br />

(vgl. dort S. 14 und siehe ebenso hier S. 201f.).<br />

Auch die empirische <strong>Politik</strong>forschung muß angesichts <strong>der</strong> bereits erfolgten Transformation<br />

<strong>der</strong> <strong>Politik</strong> durch die subpolitische Herausfor<strong>der</strong>ung und aufgrund <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Wand-<br />

lungsprozesse des Sozialen lernen, mit neuen (ambivalenten) Kategorien zu +rechnen*. Claus<br />

Leggewie etwa spricht von +Fuzzy Politics* (1994) und stellt fest: +Ethnisch-kulturelle Fraktale<br />

[…] überlagern die Flächendimension politischer E<strong>in</strong>heiten; an ihrer Stelle gew<strong>in</strong>nen ›immate-<br />

rielle‹ Demarkationsl<strong>in</strong>ien an Bedeutung, die sich auf ›unsichtbare‹, aber nicht weniger reale<br />

Grenzen beziehen.* (S. 124) Diese subpolitischen, nicht im gängigen Koord<strong>in</strong>atensystem <strong>der</strong><br />

Parteienlandschaft abbildbaren +Fraktale* mit ihren neuartigen Abgrenzungen werden durch<br />

Lebensstilmilieus und neotribale Aggregationen (wie Sk<strong>in</strong>s, Punks o<strong>der</strong> Autonome) etc. gebildet.<br />

Sie können (empirisch) nur +erfaßt* werden, wenn von <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Zweiwertigkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

polivalenten Logik übergegangen wird (vgl. ebd.; S. 126). Die von <strong>der</strong> Systemtheorie postulierte<br />

b<strong>in</strong>äre Codierung (siehe auch S. 101) wäre jedenfalls mit dem von Leggewie ausgemachten<br />

Phänomen <strong>der</strong> +Fuzzy Politics* endgültig +unpraktikabel* geworden.<br />

Fraglich bleibt allerd<strong>in</strong>gs, <strong>in</strong>wieweit die fraktalisierten +Fuzzy Politics* <strong>der</strong> empirischen +Realität*<br />

tatsächlich e<strong>in</strong>e subpolitische Metapolitik darstellen und ob mit ihrem Auftauchen nicht vielmehr<br />

e<strong>in</strong>e Zersplitterung, e<strong>in</strong>e +M<strong>in</strong>imalisierung* und Diffusion des Politischen stattf<strong>in</strong>det. Dieser<br />

(entpolitisierende) Aspekt von Subpolitisierungsprozessen wird unten noch e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> thema-<br />

tisiert werden. Aus dem Blickw<strong>in</strong>kel des Systems stellt sich h<strong>in</strong>gegen auch die umgekehrte<br />

Frage, mit welchen +Recht*, mit welcher Legitimation Subpolitik <strong>in</strong> die Sphäre <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitu-<br />

tionalisierten <strong>Politik</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt und ihr Grenzen setzt. Obwohl diese Frage hier nicht vertieft<br />

werden soll – denn sie entspricht weitgehend e<strong>in</strong>er zirkulären Kritik, die Subpolitik aufgrund<br />

ihres spezifischen subpolitischen Charakters +diskreditiert* –, ist es s<strong>in</strong>nvoll, sich kurz die<br />

grundsätzliche Ambivalenz e<strong>in</strong>er umfassenden, tatsächlich metapolitischen Subpolitisierung<br />

zu vergegenwärtigen:<br />

Zunächst ist hier auf das (formal)demokratische Defizit <strong>der</strong> Subpolitik zu verweisen. Im Gegensatz<br />

zu den gewählten Repräsentanten können sich subpolitische Akteure oft nur auf ihre +Eigen-<br />

macht* und nicht auf die rechtfertigende Macht <strong>der</strong> (praxologischen) Legitimation durch

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