Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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366 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE der Politik* (1994) bzw. zu einer neuen +Erfindung des Politischen* (1993). Andererseits: Mit seiner Betonung des (radikalen) Zweifels als Grundprinzip der reflexiven Moderne und ihrer metapolitischen Subpolitik – eines Zweifels allerdings, der nicht, wie bei Descartes, der Suche nach Gewißheit entspringt, sondern, wie im Skeptizismus Montaignes, einem +antiautoritären* Impuls folgt (vgl. auch ebd.; S. 252ff.) – offenbart Beck sich als geradezu +klassisch* moderner (Fortschritts-)Denker. Und ein zum Prinzip erhobener Zweifel ist, wie die Angst, ruhelos und +zwanghaft*. In seiner (Montaignes ebenso skeptischem wie gelassenem +Pragmatismus* tat- sächlich kaum entsprechenden) Radikalität untergräbt er eventuell auch die eigenen Grundlagen: nämlich die notwendige +authentische* (d.h. +selbstbewußte*) Basis der kritischer Reflexion (siehe auch Schlußexkurs). Er ist nicht nur Subversion, sondern – solchermaßen +verabsolutiert* – auch Subordination (unter das Prinzip des Zweifels). Gemäß Giddens ist dagegen selbst in der Gesellschaft der reflexiven Moderne (insofern sie fähig ist, die Individuen einzubinden) ein Moment des (zweifellosen) Vertrauens vorhanden: Dieses Moment des Vertrauens äußert sich z.B. darin, daß man, ohne über potentielle Risiken zu reflektieren, allmorgendlich in die U-Bahn steigt oder sich darauf verläßt, daß eine Über- weisung +ankommt*. Ohne solches Vertrauen, das einerseits auf dem in der Kindheit erworbenen +Urvertrauen* aufbaut (vgl. Erikson: Identität und Lebenszyklus; S. 62ff. sowie Winnicott: Reifungs- prozesse und fördernde Umwelt; S. 62ff.) und andererseits durch die alltäglichen Routinen 79 eine Verankerung im +praktischen Bewußtsein* findet, könnten auch die abstrakten Systeme der Moderne nicht bestehen. Vertrauen ist zwar, wie bereits oben dargestellt wurde, heute weniger selbstverständlich als in der Vergangenheit, muß aber trotzdem gegeben sein (bzw. hergestellt werden). Ein totaler und beständiger Zweifel am Funktionieren der abstrakten Systeme – sowohl der Expertensysteme wie der symbolischen Tauschmittel – würde die Grundlagen der Ordnung der Moderne sprengen, was gemäß Giddens fatal wäre. (Vgl. Consequences of Modernity; S. 79–111 sowie Modernity and Self-Identity: S. 35–47 und S. 133ff.) Die von ihm ausgemachte neue lebens(weltliche) Politik der reflexiven Moderne (siehe auch 80 S. 56f.) ist deshalb weniger +radikal* in ihrer Systemhinterfragung als Becks Subpolitik. Trotzdem ist sie +metapolitisch*, indem sie – aus dem Bewußtsein der individuellen Gefährdungen und Dilemmata heraus – globale Fragen aufgreift und damit die (national fixierte) institutionelle Politik transzendiert. Die Risiken und Freiheiten der entfalteten Moderne erzeugen nämlich +schicksalhafte Momente* (fateful moments), in denen Entscheidungen getroffen werden müssen,
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 367 die weitreichende persönliche und soziale Konsequenzen haben. In diesen schicksalhaften Momenten wird das Selbst sich seiner und seiner sozialen Verantwortung bewußt, indem es auf die eigene Entscheidungskompetenz verwiesen wird und die Risiken und Chancen seiner Entscheidungen abwägen muß (vgl. ebd.; S. 112ff.). Genau diese ambivalente Verwiesen- heit des Selbst auf sich selbst erzeugt das neuartige Phänomen der +life politics*. Unter Rekurs auf Theodore Roszak, der von einer subversiven politischen Kraft des Persönlichen 81 spricht (vgl. Person/Planet; S. XXVIII), betont auch Giddens dabei den subversiven Charakter der lebens(weltlichen) Politik – wobei für ihn jedoch deren reflexives Selbst-Projekt nicht schon an sich subversiv ist. Subversiv sind vielmehr die aktuellen Transformationen des Sozialen, die von ihr nur gespiegelt werden: also die soziale Entbettung durch abstrakte Systeme oder Globalisierungsprozesse etc. (vgl. Modernity and Self-Identity; S. 209 und siehe ebenso oben). Unter dem Einfluß dieser weitreichenden Veränderungen im Gefüge der (Hoch-)Moderne wird auch der individuelle Lebensstil und sogar der Umgang mit dem (eigenen) Körper zu 82 einer (hoch) politischen Frage (vgl. ebd.; S. 214–220). Deshalb hat lebens(weltliche) Politik automatisch eine globale Dimension, und moralische Fragen, die in der Konzentration auf die ökonomisch-technische Entfaltung vorübergehend verdeckt wurden, gewinnen wieder an Brisanz (vgl. ebd.; 220–231). Diese neue Brisanz von (globalen) moralischen Fragen läßt sich beispielsweise an der Verfassungs- debatte anläßlich der deutschen Wiedervereinigung ablesen, wo (angeregt durch die Ökolo- giebewegung) die letztendlich sogar durchgesetzte Forderung nach der Festschreibung eines Staatsziels +Umweltschutz* erhoben wurde – eine Staatszielbestimmung, die für Bernd Guggen- berger angesichts der globalen ökologischen Gefährdung mehr als berechtigt ist, denn +die Welt ist, erstmals, als ganze gefährdet […] Wollen wir sie bewahren, müssen wir sie als ganze bewahren. Zur Ökologie gibt es ebensowenig Alternativen wie zur Globalität.* Deshalb muß das +Denken [wie die Praxis] über die Gegenwart hinaus; und […] über den Staat hinaus* (Globalität und Zukunft; S. 27). Mit dieser Feststellung, die Guggenberger mit der Forderung nach einer weiteren, sowohl ökologisch-lebensweltlichen wie weltgemeinschaftlichen +Aufstockung* des Verfassungsstaats verbindet, knüpft er an Gedanken an, die er zusammen mit Claus Offe schon Mitte der 80er 83 Jahre (also etwa zeitgleich zu Becks +Risikogesellschaft*) entwickelt hat: Im Bewußtsein der Gefährdungsdimension der Umweltproblematik steht die klassische Mehrheitsdemokratie
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366 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
<strong>der</strong> <strong>Politik</strong>* (1994) bzw. zu e<strong>in</strong>er neuen +Erf<strong>in</strong>dung des Politischen* (1993). An<strong>der</strong>erseits: Mit<br />
se<strong>in</strong>er Betonung des (radikalen) Zweifels als Grundpr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>ne und ihrer<br />
metapolitischen Subpolitik – e<strong>in</strong>es Zweifels allerd<strong>in</strong>gs, <strong>der</strong> nicht, wie bei Descartes, <strong>der</strong> Suche<br />
nach Gewißheit entspr<strong>in</strong>gt, son<strong>der</strong>n, wie im Skeptizismus Montaignes, e<strong>in</strong>em +antiautoritären*<br />
Impuls folgt (vgl. auch ebd.; S. 252ff.) – offenbart Beck sich als geradezu +klassisch* mo<strong>der</strong>ner<br />
(Fortschritts-)Denker. Und e<strong>in</strong> zum Pr<strong>in</strong>zip erhobener Zweifel ist, wie die Angst, ruhelos und<br />
+zwanghaft*. In se<strong>in</strong>er (Montaignes ebenso skeptischem wie gelassenem +Pragmatismus* tat-<br />
sächlich kaum entsprechenden) Radikalität untergräbt er eventuell auch die eigenen Grundlagen:<br />
nämlich die notwendige +authentische* (d.h. +selbstbewußte*) Basis <strong>der</strong> kritischer Reflexion<br />
(siehe auch Schlußexkurs). Er ist nicht nur Subversion, son<strong>der</strong>n – solchermaßen +verabsolutiert*<br />
– auch Subord<strong>in</strong>ation (unter das Pr<strong>in</strong>zip des Zweifels).<br />
Gemäß Giddens ist dagegen selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>ne (<strong>in</strong>sofern sie<br />
fähig ist, die Individuen e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den) e<strong>in</strong> Moment des (zweifellosen) Vertrauens vorhanden:<br />
Dieses Moment des Vertrauens äußert sich z.B. dar<strong>in</strong>, daß man, ohne über potentielle Risiken<br />
zu reflektieren, allmorgendlich <strong>in</strong> die U-Bahn steigt o<strong>der</strong> sich darauf verläßt, daß e<strong>in</strong>e Über-<br />
weisung +ankommt*. Ohne solches Vertrauen, das e<strong>in</strong>erseits auf dem <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit erworbenen<br />
+Urvertrauen* aufbaut (vgl. Erikson: Identität und Lebenszyklus; S. 62ff. sowie W<strong>in</strong>nicott: Reifungs-<br />
prozesse und för<strong>der</strong>nde Umwelt; S. 62ff.) und an<strong>der</strong>erseits durch die alltäglichen Rout<strong>in</strong>en<br />
79<br />
e<strong>in</strong>e Verankerung im +praktischen Bewußtse<strong>in</strong>* f<strong>in</strong>det, könnten auch die abstrakten Systeme<br />
<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne nicht bestehen. Vertrauen ist zwar, wie bereits oben dargestellt wurde, heute<br />
weniger selbstverständlich als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit, muß aber trotzdem gegeben se<strong>in</strong> (bzw.<br />
hergestellt werden). E<strong>in</strong> totaler und beständiger Zweifel am Funktionieren <strong>der</strong> abstrakten Systeme<br />
– sowohl <strong>der</strong> Expertensysteme wie <strong>der</strong> symbolischen Tauschmittel – würde die Grundlagen<br />
<strong>der</strong> Ordnung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne sprengen, was gemäß Giddens <strong>fatal</strong> wäre. (Vgl. Consequences<br />
of Mo<strong>der</strong>nity; S. 79–111 sowie Mo<strong>der</strong>nity and Self-Identity: S. 35–47 und S. 133ff.)<br />
Die von ihm ausgemachte neue lebens(weltliche) <strong>Politik</strong> <strong>der</strong> reflexiven Mo<strong>der</strong>ne (siehe auch<br />
80<br />
S. 56f.) ist deshalb weniger +radikal* <strong>in</strong> ihrer Systemh<strong>in</strong>terfragung als Becks Subpolitik. Trotzdem<br />
ist sie +metapolitisch*, <strong>in</strong>dem sie – aus dem Bewußtse<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Gefährdungen und<br />
Dilemmata heraus – globale Fragen aufgreift und damit die (national fixierte) <strong>in</strong>stitutionelle<br />
<strong>Politik</strong> transzendiert. Die Risiken und Freiheiten <strong>der</strong> entfalteten Mo<strong>der</strong>ne erzeugen nämlich<br />
+schicksalhafte Momente* (fateful moments), <strong>in</strong> denen Entscheidungen getroffen werden müssen,