Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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356 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE damit den Charakter eines +problematischen* (gewußten Nicht-)Wissens haben (siehe auch Anmerkung 10). Mit dieser Konzentration auf die Risikodimension wird der Moderni- sierungsprozeß reflexiv, d.h. +sich selbst zum Thema und Problem* (S. 26). Die Moderne ist also insoweit reflexiv, als sie zum einen immer stärker wissensabhängig wird und sich selbst reflektiert (vgl. ebd.; S. 35ff.). Das Argument der latenten Nebenfolgen des technischen +Fortschritts* verweist jedoch zugleich auf eine nicht-kognitive Reflexivität (vgl. auch ders.: Das Zeitalter der Nebenfolgen und die Politisierung der Moderne; S. 27ff.): Die Risiken der (post)industriellen Gesellschaft sind global und – obwohl wissens- und wahrnehmungsabhängig – +objektiv*, indem sie (als diffuse +materielle* Bedrohungen) Schicht-, Klassen- und Nationen- grenzen überschreiten und damit gewissermaßen +demokratischen* Charakter haben (vgl. Risikogesellschaft; S. 61ff.). Aus dieser +Objektivität* der Zivilisationsrisiken könnte sich laut Beck eine neue Form der Solidarität ableiten: anstelle der +Solidarität der Not* (wie sie die klassische Industriegesellschaft prägte) entsteht möglicherweise eine (weltgesellschaftliche) +Solidarität der Angst* (vgl. ebd.; S. 65ff.). Diese Solidarität der Angst mündet im Bewußtsein der allgemeinen Bedrohung des Daseins potentiell in subpolitische Aktivitäten der im Zuge der Modernisierung aus traditionalen Zwängen freigesetzen (und somit +reflexionsfähigen*) Individuen – denn die etablierte Politik vernachläßigt aufgrund ihrer institutionellen Fixierung auf den Verteilungskonflikt die neu entstandenen Problemfelder. Auf eine prägnante Kurzformel gebracht könnte man also for- mulieren: Aus dem angstvollen Risikobewußtsein durch die Reflexivität von Technologie in der individualisierten, (post)industriellen Gesellschaft folgt eine solidarische (Sub-)Politisierung, kommt es zur (Neu-)Erfindung des Politischen (vgl. ebd.; Kap. VIII sowie ders.: Die Erfindung des Politischen und siehe auch hier S. 55f. sowie Abschnitt 5.2). Doch ist die Angst eine tragfähige Grundlage von Solidarität und einer neuen, +lebens(weltlichen)* Politik? Kann sie das +unvollendete Projekt der Moderne* (Habermas) weiterführen? – Bei Heidegger und Sartre ist die (existentielle) Angst die (emotionale) Quelle des (freiheitlichen) Selbstbewußtseins. Die im Individualisierungsprozeß bewirkte Freisetzung des Subjekts, die in der fortgeschrittenen Bewegung der Moderne hervorgekehrte +Subjektivität*, hätte gemäß diesem Modell eher ihre Grundlage in der Risikodimension der Moderne als in der Wohlstands- steigerung. Und so wie Heidegger aus der Selbst-Sorge das Prinzip der Für-Sorge ableitet (siehe nochmals S. 345), könnte auch aus der +objektiv* gewordenen Subjektivität der Angst
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 357 (als konkrete, technikerzeugte Daseins-Sorge) so etwas wie (für-sorgliche) +Solidarität* entstehen. 69 Derart würde also die Angst, die die vereinzelten Individuen des Naturzustands in Hobbes’ Modell ursprünglich dazu trieb, sich zum +großen Menschen* des Leviathan zu formieren, nunmehr als Angst gerade vor der entfesselten (Staats-)Maschinerie dieses Leviathan und seinem verselbständigten +technischen Labyrinth* (Schönherr-Mann) die Basis für ein neues +soziales Band* schaffen. Beck hat allerdings den ersten Schritt nicht (wirklich) getan und sich im Kontext seiner in der +Risikogesellschaft* ebenfalls dargelegten Individualisierungsthese (vgl. dort Kap. III und siehe auch hier S. XXVIIIf. sowie Abschnitt 2.5) weniger auf die +subjektivierende* Wirkung der Angst als auf sozialstrukturelle Wandlungsprozesse konzentriert. Und er täte (und tut) 70 gut daran, auch den zweiten Schritt zu unterlassen: Denn Solidarität, die erst aus und in der Angst entsteht, ist genau genommen nur eine vermittelte, bedingte Solidarität. +Wirkliche* (d.h. unbedingte) Solidarität muß der Angst vorgängig (oder zumindest gleichgestellt) sein, um nicht mit der Angst zu verschwinden, die sich schließlich gerade in ihrer reflexiven Bewußt- werdung und Entfaltung +aufheben* würde und damit als Motor der deflexiven Fluchtbewegung der (einfachen) Moderne wie als Quelle für-sorglicher Solidarität +abstürbe*. 71 Diese Ablehnung der Angst – wie auch der Entfremdung (siehe oben) – als Grundlage einer +postmodernen* Solidarität bedeutet freilich nicht, daß die Dialektik der Angst hier negiert würde. Angst impliziert tatsächlich ein bedeutendes reflexives Potential: So wie die Angst (vor der Angst) in eine Fluchtbewegung treibt, in der sie eine untergründige, verdeckte Macht entfaltet, so kann sie, indem sie als Angst wahrgenommen, d.h. zugelassen und emotional wie kognitiv gespiegelt wird, der Ansatzpunkt für einen reflexiven (Selbst-)Erkenntnisprozeß sein. Sie ist jedoch nicht als solche +positiv*. Angst verweist vielmehr immer auch – worauf Adorno abhob – auf eine individuelle wie soziale +Deformation*, die die Erschütterung der Angst erst hervorbringt. Diese Deformation kann zwar nur behoben werden, wenn die Angst emotional geäußert und gedanklich verarbeitet wird. Aber eben alleine in dieser Reflexion (die sie gleichzeitig transformiert) ist sie eine Quelle der Überschreitung der Begrenzungen des Selbst und des Sozialen in der +traditionalen* Moderne. Deren angstgetriebene Bewegung erzeugte, wie dargestellt, ein +fatales* Ordnungsstreben, fixierte sich auf eine absolutistische, Eindeutigkeit (er)fordernde +Objektivität* (das heißt, sie bestand auf der Universalität getroffener Aussagen und standpunktunabhängiger Wahrheit).
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KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 357<br />
(als konkrete, technikerzeugte Dase<strong>in</strong>s-Sorge) so etwas wie (für-sorgliche) +Solidarität* entstehen. 69<br />
Derart würde also die Angst, die die vere<strong>in</strong>zelten Individuen des Naturzustands <strong>in</strong> Hobbes’<br />
Modell ursprünglich dazu trieb, sich zum +großen Menschen* des Leviathan zu formieren,<br />
nunmehr als Angst gerade vor <strong>der</strong> entfesselten (Staats-)Masch<strong>in</strong>erie dieses Leviathan und se<strong>in</strong>em<br />
verselbständigten +technischen Labyr<strong>in</strong>th* (Schönherr-Mann) die Basis für e<strong>in</strong> neues +soziales<br />
Band* schaffen.<br />
Beck hat allerd<strong>in</strong>gs den ersten Schritt nicht (wirklich) getan und sich im Kontext se<strong>in</strong>er <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> +Risikogesellschaft* ebenfalls dargelegten Individualisierungsthese (vgl. dort Kap. III und<br />
siehe auch hier S. XXVIIIf. sowie Abschnitt 2.5) weniger auf die +subjektivierende* Wirkung<br />
<strong>der</strong> Angst als auf sozialstrukturelle Wandlungsprozesse konzentriert. Und er täte (und tut) 70<br />
gut daran, auch den zweiten Schritt zu unterlassen: Denn Solidarität, die erst aus und <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Angst entsteht, ist genau genommen nur e<strong>in</strong>e vermittelte, bed<strong>in</strong>gte Solidarität. +Wirkliche*<br />
(d.h. unbed<strong>in</strong>gte) Solidarität muß <strong>der</strong> Angst vorgängig (o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest gleichgestellt) se<strong>in</strong>,<br />
um nicht mit <strong>der</strong> Angst zu verschw<strong>in</strong>den, die sich schließlich gerade <strong>in</strong> ihrer reflexiven Bewußt-<br />
werdung und Entfaltung +aufheben* würde und damit als Motor <strong>der</strong> deflexiven Fluchtbewegung<br />
<strong>der</strong> (e<strong>in</strong>fachen) Mo<strong>der</strong>ne wie als Quelle für-sorglicher Solidarität +abstürbe*. 71<br />
Diese Ablehnung <strong>der</strong> Angst – wie auch <strong>der</strong> Entfremdung (siehe oben) – als Grundlage e<strong>in</strong>er<br />
+postmo<strong>der</strong>nen* Solidarität bedeutet freilich nicht, daß die Dialektik <strong>der</strong> Angst hier negiert<br />
würde. Angst impliziert tatsächlich e<strong>in</strong> bedeutendes reflexives Potential: So wie die Angst<br />
(vor <strong>der</strong> Angst) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Fluchtbewegung treibt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie e<strong>in</strong>e untergründige, verdeckte Macht<br />
entfaltet, so kann sie, <strong>in</strong>dem sie als Angst wahrgenommen, d.h. zugelassen und emotional<br />
wie kognitiv gespiegelt wird, <strong>der</strong> Ansatzpunkt für e<strong>in</strong>en reflexiven (Selbst-)Erkenntnisprozeß<br />
se<strong>in</strong>. Sie ist jedoch nicht als solche +positiv*. Angst verweist vielmehr immer auch – worauf<br />
Adorno abhob – auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle wie soziale +Deformation*, die die Erschütterung <strong>der</strong><br />
Angst erst hervorbr<strong>in</strong>gt. Diese Deformation kann zwar nur behoben werden, wenn die Angst<br />
emotional geäußert und gedanklich verarbeitet wird. Aber eben alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> dieser Reflexion<br />
(die sie gleichzeitig transformiert) ist sie e<strong>in</strong>e Quelle <strong>der</strong> Überschreitung <strong>der</strong> Begrenzungen<br />
des Selbst und des Sozialen <strong>in</strong> <strong>der</strong> +traditionalen* Mo<strong>der</strong>ne.<br />
Deren angstgetriebene Bewegung erzeugte, wie dargestellt, e<strong>in</strong> +<strong>fatal</strong>es* Ordnungsstreben,<br />
fixierte sich auf e<strong>in</strong>e absolutistische, E<strong>in</strong>deutigkeit (er)for<strong>der</strong>nde +Objektivität* (das heißt, sie<br />
bestand auf <strong>der</strong> Universalität getroffener Aussagen und standpunktunabhängiger Wahrheit).