Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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346 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Bedrohung (Wovor der Furcht), immer um das Dasein (Worum der Furcht). Die greifbare Daseinsfurcht (als +Realangst*) wird aber erst möglich durch die Grundbefindlichkeit der (existen- tiellen) Angst. Das Wovor der Angst ist im Gegensatz zur Furcht nämlich das +In-der-Welt-sein* als solches. Es fällt damit zusammen mit dem Worum der Furcht (Dasein) das notwendigerweise auch das Worum der Angst ist. Bei der Angst ist also das Worum mit dem Wovor identisch. Gerade deshalb ist die (in der Daseinssorge vereinzelnde) Befindlichkeit der Angst nach Heidegger nicht negativ, sondern +befreiend* und geradezu konstitutiv für das Selbst: +Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens.* (Ebd.; § 40) Erst in der Angst wird folglich das (individuelle) Dasein erfahrbar: +Das Sichängstigen ist als Befindlichkeit eine Weise des In-der-Welt-seins; das Wovor der Angst ist das geworfene In-der-Welt-sein; das Worum der Angst ist das In-der-Welt-sein-können. Das volle Phänomen der Angst demnach zeigt das Dasein als faktisch existierendes In-der-Welt- sein.* (Ebd.; § 41) Genau deshalb ist die Angst aber nicht alleine der bloße Ausdruck der Selbstsorge, sondern in ihr liegt auch ein wesentliches Moment der Fürsorge – denn da das +in-der-Welt-sein* immer ein +Mitsein* mit anderen ist, impliziert die Daseinssorge die Fürsorge für andere (vgl. ebd. sowie § 26). 50 Jean-Paul Sartre, in dessen +phänomenologischer Ontologie* die (Dialektik der) Angst ebenfalls eine Schlüsselrolle einnimmt, bemerkt, bei Kierkegaard sei die Angst als Angst vor der Freiheit gekennzeichnet (d.h. sie entspringt, wie oben dargestellt, aus dem Nichts, vor dem das ver- ängstigte Subjekt in die Sicherheit des Glaubens flieht), während sie bei Heidegger umgekehrt gerade die Erfassung des Nichts sei (vgl. Das Sein und das Nichts; S. 91). Beide Momente verbinden sich nach Sartres eigener Aussage in seinem Konzept der Angst – wobei man allerdings, selbst auf der Grundlage meiner recht knappen Darstellung, sagen muß, daß er mit dieser stark vereinfachenden Sicht natürlich weder Kierkegaard und schon gar nicht Heidegger gerecht wird. 51 Das bemerkenswerte an Sartres Angst-Auffassung ist jedoch nicht die gelungene (oder miß- lungene) Verbindung von Kierkegaards und Heideggers Vorstellungen, sondern daß er der Angst ausdrücklich reflexiven Charakter zuschreibt. Um diesen reflexiven Charakter der Angst herauszuarbeiten rekurriert er auf die von Kierkegaard eingeführte und von Heidegger auf- gegriffene Unterscheidung zwischen Furcht und Angst (siehe oben und auch Anmerkung 17):
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 347 Während die Furcht, so Sartre, ein unreflektiertes Erfassen des Transzendenten darstellt, bedeutet Angst die reflexive Erfassung des Selbst (vgl. ebd.; S. 92), denn erst +in der Angst gewinnt der Mensch ein Bewußtsein von seiner Freiheit* (ebd.; S. 91). Er erläutert dieses weitgehend zu Heidegger analoge Argument am Beispiel der beängstigenden Situation des Stehens vor dem Abgrund. Die Furcht-Komponente ist durch die +objektiven* Gefährdungen, die Gege- benheiten des +an-sich* bestimmt: z.B. ein lockerer Stein, der dafür verantwortlich sein könnte, daß wir hinab stürzen. Die Angst vor dem Abgrund geht jedoch noch weit +tiefer*, sie ist im +für-sich* verwurzelt: Es ist die existentielle Angst sich in den Abgrund zu stürzen, die 52 Unberechenbarkeit der eigenen Freiheit (vgl. ebd.; S. 91ff.). Die Angst ist also ihrer wesent- lichen Struktur nach Freiheitsbewußtsein (vgl. ebd.; S. 99), sie ist +das reflexive Erfassen der Freiheit durch sie selbst* (ebd.; S. 108). Allerdings sollte man sich vergegenwärtigen, daß Freiheit bei Sartre keine +utopische* (Un-)Mög- lichkeit ist, die aus der Negation gegebener Unfreiheit die Hoffnung auf einen erreichbaren Zustand der Freiheit ableitet. Denn Freiheit bedeutet für ihn gewissermaßen +Verdammnis*, d.h. der Mensch hat keine Wahl, frei zu sein: indem er ist, ist er (zwangsläufig) frei, da seine Existenz (als für-sich) alleine aus der das Selbst entwerfenden +Nichtung* des an-sich entsteht (vgl. ebd.; insb. Teil IV, Kap. 1). Die Freiheit folgt also direkt aus dem (Da-)Sein und erhält somit gewissermaßen metaphysischen Charakter (siehe hierzu auch nochmals die in Anmerkung 51 dargestellte Kritik Heideggers). Die tatsächlich bei Sartre also weniger existentielle als vielmehr +essentielle* Freiheit kann nicht hintergangen werden. Man mag die Freiheit abstreiten, doch damit ist man im +mauvaise foi* (d.h. in einem Zustand der Unaufrichtigkeit) verhaftet (vgl. ebd.; Teil I, Kap. 2), und der aus der Freiheit gleichzeitig folgenden Verantwortung kann niemand entgehen (vgl. Teil IV, Kap. 3). Mit dieser Wendung (Freiheit als Verdammnis und Verantwortung) steht Sartre dem Theologen Kierkegaard näher als er beabsichtigt. Denn es ist ein geradezu klassisches Konzept der (christ- lichen) Moraltheologie, das Sartre anwendet: Das Subjekt wird – im Rahmen der Theologie: von Gott; bei Sartre: durch sein (Da-)Sein – mit einem freien Willen ausgestattet bzw. in die Freiheit +geworfen*, um es für seine Taten verantwortlich machen zu können. Das durch die Angst zutage geförderte Freiheitsbewußtsein ist deshalb auch in Sartres +humanistischem 53 54 Existentialismus* nicht mehr als ein (subtiles) Instrument der (moralischen) Unterdrückung. Diese moralische +Fixierung* der Freiheit wird zwar verständlich, wenn man den historischen
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KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 347<br />
Während die Furcht, so Sartre, e<strong>in</strong> unreflektiertes Erfassen des Transzendenten darstellt, bedeutet<br />
Angst die reflexive Erfassung des Selbst (vgl. ebd.; S. 92), denn erst +<strong>in</strong> <strong>der</strong> Angst gew<strong>in</strong>nt<br />
<strong>der</strong> Mensch e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> von se<strong>in</strong>er Freiheit* (ebd.; S. 91). Er erläutert dieses weitgehend<br />
zu Heidegger analoge Argument am Beispiel <strong>der</strong> beängstigenden Situation des Stehens vor<br />
dem Abgrund. Die Furcht-Komponente ist durch die +objektiven* Gefährdungen, die Gege-<br />
benheiten des +an-sich* bestimmt: z.B. e<strong>in</strong> lockerer Ste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> dafür verantwortlich se<strong>in</strong> könnte,<br />
daß wir h<strong>in</strong>ab stürzen. Die Angst vor dem Abgrund geht jedoch noch weit +tiefer*, sie ist<br />
im +für-sich* verwurzelt: Es ist die existentielle Angst sich <strong>in</strong> den Abgrund zu stürzen, die<br />
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Unberechenbarkeit <strong>der</strong> eigenen Freiheit (vgl. ebd.; S. 91ff.). Die Angst ist also ihrer wesent-<br />
lichen Struktur nach Freiheitsbewußtse<strong>in</strong> (vgl. ebd.; S. 99), sie ist +das reflexive Erfassen <strong>der</strong><br />
Freiheit durch sie selbst* (ebd.; S. 108).<br />
Allerd<strong>in</strong>gs sollte man sich vergegenwärtigen, daß Freiheit bei Sartre ke<strong>in</strong>e +utopische* (Un-)Mög-<br />
lichkeit ist, die aus <strong>der</strong> Negation gegebener Unfreiheit die Hoffnung auf e<strong>in</strong>en erreichbaren<br />
Zustand <strong>der</strong> Freiheit ableitet. Denn Freiheit bedeutet für ihn gewissermaßen +Verdammnis*,<br />
d.h. <strong>der</strong> Mensch hat ke<strong>in</strong>e Wahl, frei zu se<strong>in</strong>: <strong>in</strong>dem er ist, ist er (zwangsläufig) frei, da se<strong>in</strong>e<br />
Existenz (als für-sich) alle<strong>in</strong>e aus <strong>der</strong> das Selbst entwerfenden +Nichtung* des an-sich entsteht<br />
(vgl. ebd.; <strong>in</strong>sb. Teil IV, Kap. 1). Die Freiheit folgt also direkt aus dem (Da-)Se<strong>in</strong> und erhält<br />
somit gewissermaßen metaphysischen Charakter (siehe hierzu auch nochmals die <strong>in</strong> Anmerkung<br />
51 dargestellte Kritik Heideggers). Die tatsächlich bei Sartre also weniger existentielle als vielmehr<br />
+essentielle* Freiheit kann nicht h<strong>in</strong>tergangen werden. Man mag die Freiheit abstreiten, doch<br />
damit ist man im +mauvaise foi* (d.h. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zustand <strong>der</strong> Unaufrichtigkeit) verhaftet (vgl.<br />
ebd.; Teil I, Kap. 2), und <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Freiheit gleichzeitig folgenden Verantwortung kann<br />
niemand entgehen (vgl. Teil IV, Kap. 3).<br />
Mit dieser Wendung (Freiheit als Verdammnis und Verantwortung) steht Sartre dem Theologen<br />
Kierkegaard näher als er beabsichtigt. Denn es ist e<strong>in</strong> geradezu klassisches Konzept <strong>der</strong> (christ-<br />
lichen) Moraltheologie, das Sartre anwendet: Das Subjekt wird – im Rahmen <strong>der</strong> Theologie:<br />
von Gott; bei Sartre: durch se<strong>in</strong> (Da-)Se<strong>in</strong> – mit e<strong>in</strong>em freien Willen ausgestattet bzw. <strong>in</strong><br />
die Freiheit +geworfen*, um es für se<strong>in</strong>e Taten verantwortlich machen zu können. Das durch<br />
die Angst zutage geför<strong>der</strong>te Freiheitsbewußtse<strong>in</strong> ist deshalb auch <strong>in</strong> Sartres +humanistischem<br />
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Existentialismus* nicht mehr als e<strong>in</strong> (subtiles) Instrument <strong>der</strong> (moralischen) Unterdrückung.<br />
Diese moralische +Fixierung* <strong>der</strong> Freiheit wird zwar verständlich, wenn man den historischen