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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 345<br />

Mythos <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne steht – wie immer deutlicher wird – e<strong>in</strong>e fragwürdige Kont<strong>in</strong>uitätsannahme,<br />

das Geschichtsbild e<strong>in</strong>es unaufhaltsamen Fortschritts, und die (soziologischen) Mo<strong>der</strong>nisierungs-<br />

theorien funktionieren als aktive Stützen im Rahmen dieser Konstruktion (vgl. ebd.: S. 31ff.). 47<br />

Das lange dom<strong>in</strong>ante Konzept <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne, das diese mit Emanzipation und Freiheit verb<strong>in</strong>det<br />

o<strong>der</strong> gar gleich setzt, hätte also nach Wehl<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e klar ideologische Funktion. An<strong>der</strong>erseits<br />

sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Mythos <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne geschwächt zu se<strong>in</strong>, wenn er so +dreist* h<strong>in</strong>terfragt werden<br />

kann. Die mo<strong>der</strong>nen Metaerzählungen haben offensichtlich an narrativer Kraft e<strong>in</strong>gebüßt.<br />

Die Kritik an <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne wird immer lauter, sie durchläuft e<strong>in</strong>e Krise, e<strong>in</strong>e Dekonstruktion<br />

und Auflösung. Der Glaube an ihr befreiendes Potential schw<strong>in</strong>det (vgl. auch Toura<strong>in</strong>e: Critique<br />

de la mo<strong>der</strong>nité; <strong>in</strong>sb. S. 111–116). Hat also die treibende Kraft <strong>der</strong> rationalistischen Flucht-<br />

bewegung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne – die Angst – nachgelassen? O<strong>der</strong> hat sich die Angst aus den Fesseln<br />

<strong>der</strong> Vernunft +befreit* und ist damit +reflexiv* geworden?<br />

In diesem Abschnitt soll den reflexiven Potentialen <strong>der</strong> Angst und <strong>der</strong> immanenten Ambivalenz<br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung nachgegangen werden. Dazu ist zunächst das e<strong>in</strong>dimensionale Bild <strong>der</strong><br />

Angst, das im Vorangegangenen gezeichnet wurde, dialektisch zu +vertiefen*: E<strong>in</strong>en explizit<br />

dialektischen Angstbegriff entwickelte erstmals Søren Kierkegaard (1813-55) – allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>ge-<br />

48<br />

bunden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e theologisch-christliche Dogmatik. Der ursprüngliche Zustand <strong>der</strong> Menschheit<br />

war nach ihm e<strong>in</strong> Zustand <strong>der</strong> Unschuld und <strong>der</strong> Unwissenheit: +In diesem Zustand ist Friede<br />

und Ruhe; aber es ist da zu gleicher Zeit etwas an<strong>der</strong>es, was nicht Unfriede und Streit ist;<br />

denn es ist ja nichts, womit man streiten könnte. Was ist es also? Nichts. Aber welche Wirkung<br />

hat das Nichts? Es gebiert die Angst. Das ist das tiefe Geheimnis <strong>der</strong> Unschuld, daß sie zugleich<br />

Angst ist.* (Der Begriff <strong>der</strong> Angst; S. 40) Auf <strong>der</strong> +natürlichen* Unschuld lastet also nach Kier-<br />

kegaard schon von Beg<strong>in</strong>n an <strong>der</strong> +Fluch* <strong>der</strong> Angst. Doch die Angst birgt <strong>in</strong> sich auch die<br />

Möglichkeit zur Erlösung. Sie führt den Menschen, wenn er sich ihr h<strong>in</strong>gibt, zum Glauben<br />

und damit zur Befreiung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis Gottes. Deshalb bemerkt Kierkegaard: +Die Angst<br />

ist die Möglichkeit <strong>der</strong> Freiheit [im Glauben]* (ebd.; S. 141).<br />

An dieses dialektische Angst-Konzept Kierkegaards, das allerd<strong>in</strong>gs im synthetischen Motiv<br />

des Glaubens wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> E<strong>in</strong>dimensionalität aufgelöst wird, schließt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Existenz-<br />

49<br />

philosophie an, +erlöst* es jedoch von se<strong>in</strong>er theologischen Komponente. So sieht Heidegger<br />

<strong>in</strong> Anlehnung an Kierkegaard +das Fürchten als schlummernde Möglichkeit des bef<strong>in</strong>dlichen<br />

In-<strong>der</strong>-Welt-se<strong>in</strong>s* an (Se<strong>in</strong> und Zeit; § 30), denn man fürchtet, ausgelöst durch e<strong>in</strong>e konkrete

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