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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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340 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

Die Träume spiegeln se<strong>in</strong>e große Unsicherheit <strong>in</strong> dieser Periode. Er weiß nicht, wo er steht,<br />

und er ist ansche<strong>in</strong>end auch erregt durch e<strong>in</strong>e Entdeckung, die er am Vortag gemacht hat,<br />

sowie durch e<strong>in</strong>en Tuberkuloseanfall noch physisch mitgenommen. Im ersten Traum muß<br />

er gegen e<strong>in</strong>en Sturm ankämpfen, <strong>der</strong> ihn vom Weg abdrängt und nie<strong>der</strong>drückt als er die<br />

Kirche des Collège von La Flèche erblickt und auf sie zustrebt. Im zweiten Traum hat er die<br />

Vision e<strong>in</strong>es furchterregenden Gewitters mit Blitz- und Donnerschlag. Im dritten Traum sieht<br />

er zwei Bücher vor sich: e<strong>in</strong> +Dictionnaire* und e<strong>in</strong>e Gedichtsammlung. Beim Öffnen letzterer<br />

stößt er auf den Vers +Quod vitae sectabor iter?* (Welchen Lebensweg soll ich e<strong>in</strong>schlagen?)<br />

sowie auf die vielsagende Zeile +Est et non* (Es ist und ist nicht). 38<br />

Descartes hat, wie ebenfalls von Baillet überliefert wird, selbst versucht, se<strong>in</strong>e Träume zu<br />

deuten. Den W<strong>in</strong>d im ersten Traum <strong>in</strong>terpretierte er als bösen Geist, <strong>der</strong> ihn vom rechten<br />

Weg abbr<strong>in</strong>gen wollte, den Donnerschlag aus dem zweiten Traum verstand er dagegen als<br />

+Zeichen des Geistes <strong>der</strong> Wahrheit, <strong>der</strong> zu ihm herabstieg, um von ihm Besitz zu ergreifen*<br />

(Baillet, zitiert nach Röd: Descartes; S. 20). Der dritte Traum schließlich ruft Descartes offen-<br />

sichtlich zu e<strong>in</strong>er Entscheidung über se<strong>in</strong>e Zukunft auf und leitet damit se<strong>in</strong>e Metamorphose<br />

vom unsicheren Sucher zum Philosophen <strong>der</strong> Gewißheit e<strong>in</strong> (vgl. auch ebd.; S. 17). Interessant<br />

ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang e<strong>in</strong>e psychoanalytische Deutung durch Marie Louise Franz,<br />

<strong>in</strong> welcher die beiden late<strong>in</strong>ischen Gedichtzeilen als Spiegelungen <strong>der</strong> unbewußten Gefühls-<br />

regungen Descartes <strong>in</strong>terpretiert werden. Ausgehend von dieser e<strong>in</strong>leuchtenden Interpretation<br />

folgert Franz:<br />

+Er [Descartes] traut dem Leben überhaupt nicht, auch sich nicht und den an<strong>der</strong>en […] Es ist wohl <strong>der</strong><br />

frühe Tod <strong>der</strong> Mutter, <strong>der</strong> jeden Lebensmut, jedes Vertrauen zum Leben und zum eigenen Gefühl von<br />

ihm weggenommen hat, so daß er sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>igen Aktivität se<strong>in</strong>es Denkens abkapselte.* (Zitiert<br />

nach ebd.; S. 21) 39<br />

Das philosophische Denken Descartes’ wird also hier als Fluchtversuch vor <strong>der</strong> (angstauslösenden)<br />

eigenen Gefühlswelt gedeutet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das K<strong>in</strong>dheitstrauma des frühen Todes <strong>der</strong> Mutter noch<br />

immer nicht verarbeitet ist. Wenn man Descartes’ Kriegserfahrungen und die +Berührung*<br />

mit dem Tod He<strong>in</strong>rich von Navarras durch den Aufenthalt am Collège Royal mit berücksichtigt,<br />

so gew<strong>in</strong>nt diese Sicht, die Descartes’ strikte Rationalität auf e<strong>in</strong>e emotionale Verunsicherung<br />

zurückführt, noch an Plausibilität. Deutliche Spuren dieser Verunsicherung und <strong>der</strong> Angst

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