Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

edition.fatal.de
von edition.fatal.de Mehr von diesem Publisher
09.12.2012 Aufrufe

334 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE ist nur bekannt, daß sie aus einer bäuerlichen Familie stammte und wohl nicht sehr gebildet war. Auch von seinem Vater, einem als Choleriker bekannten Vikar, +erbte* er nur den Namen 26 und kaum seinen immensen Wissensdurst, denn jener hatte, wie Hobbes ebenfalls in seiner Autobiographie bemerkt, +keine Schätzung für Gelehrsamkeit, da er ihre Reize nicht kannte* (zitiert nach Tönnies: Hobbes; S. 1). Man darf annehmen, daß das als sehr begabte beschriebene Kind nicht nur unter der +Ignoranz* seiner Eltern zu leiden hatte, sondern ebenso unter den Wutausbrüchen des Vaters. Dieser mußte, nachdem er bei einer gewalttätigen Auseinander- setzung einen Amtsbruder verletzt hatte, allerdings aus der Stadt fliehen. Von da an übernahm Thomas’ Onkel, der Bürgermeister seines Geburtsorts Malmesbury, die Erziehung des Jungen und kümmerte sich um seine Ausbildung. Die Schulzeit war für ihn aber trotz oder gerade aufgrund seiner Begabung vermutlich kein reines Vergnügen: Er wird als zurückgezogen und grüblerisch geschildert. Und die anderen Kinder verspotten ihn. Sie nennen ihn wegen seiner schwarzen Haare +die Krähe*. Vielleicht stürzt Thomas, der Grübler, +die Krähe*, sich deshalb umso mehr in seine Bücherwelt. Erst vierzehnjährig erhält er einen Studienplatz in Oxford. Dort lehrt er auch kurze Zeit, nachdem er sein Baccalaureat abgeschlossen hat, klassische Logik. Mit 20 Jahren nimmt er dann eine Anstellung als Hauslehrer bei der Adelsfamilie Cavendish an, was ihm auch mehrere Studienreisen auf das Festland erlaubt, wo er u.a. mit Galilei und Descartes zusammentrifft. Die erste dieser Reisen im Jahr 1610 steht allerdings unter dem Schock der Ermordung von Heinrich IV. von Navarra (dem König von Frankreich), die ganz Europa in Ungewißheit und Schrecken versetzte und auch den jungen Descartes zutiefst erschüttert hat (siehe unten). Die folgenden Jahre verliefen (persönlich) eher ruhig. Im Vorfeld des englischen Bürgerkriegs (1642–48) ergriff Hobbes jedoch, der mit der Abfassung eigener philosophischer und politischer Schriften begonnen hatte, mit seinem staatstheoretischen Entwurf +Elements of Law* (1640) für die Krone Partei, was ihn zwang, sich ins Exil nach Frankreich zu begeben, als sich die Lage zuspitzte. Die Bürgerkriegswirren in England erlebte er also nicht aus nächster Nähe mit. Doch auch auf dem Festland war die Lage angespannt, denn dort tobten noch immer +Ausläufer* des Dreißigjährigen Kriegs. Als Lehrer des ebenfalls geflüchteten britischen Thron- folgers, der am Königshof von Frankreich Unterschlupf gefunden hatte, war er zwar in einer sicheren Lage. Auch hatte er wegen seiner, den aufkommenden Absolutismus stützenden Schriften allgemein einen guten Stand am Hof. Aber als er schließlich mit dem +Leviathan*

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 335 (1651) indirekt Cromwells Regime rechtfertigte, der ihm wegen seiner quasimonarchischen Herrschaft wohl im nachhinein als ein zuverlässiger Garant der Ordnung erschien, mußte er, von Royalisten angegriffen, wiederum fliehen – diesmal zurück nach England. Als es dort (1660) zur Restauration der Stuarts kam, hatte er allerdings keine erneute Gefahr zu befürchten, denn sein ehemaliger Schüler, der nun als König Charles II. auf den Thron gehoben wurde, blieb Hobbes trotz der geistigen Unterstützung Cromwells verbunden und protegierte ihn gegen Anfeindungen der Kirche, die ihm wegen seiner instrumentellen, dem Politischen klar untergeordneten Religionsauffassung (vgl. Leviathan; Kap. 31) Atheismus vorwarf. 27 Man kann gut nachvollziehen, daß ein Denker, dessen Leben so unruhig verlief, und der in einer Zeit politischer Wirren und Kriege lebte, sich nach Ordnung sehnte. Ein aus der Angst gespeistes Ordnungsstreben durchdringt folglich das Werk Hobbes’. Er geht sogar so weit, im Vorwort von +De Cive* (1642) im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung zur Denunziation von +Aufwieglern* aufzurufen (siehe Anmerkung 58, Kap. 1). Andererseits ist er sich durchaus bewußt, daß die alte Ordnung unwiederbringlich verloren ist und eine neue Ordnung nur auf neuen Wegen gefunden und errichtet werden kann. Insbesondere die klassische Moralphilosophie hat in seinen Augen in ihrer Aufgabe, das politische Gebäude zu untermauern, kläglich versagt (siehe Anmerkung 54, ebd.). So wendet Hobbes sich den Naturwissenschaften und ihren Methoden zu, um die soziale Ordnung auf ein neues, tragfähigeres Fundament zu stellen. Denn die Geometrie und die astronomische Himmelsmechanik beschreiben (und sind) in sich perfekte Ordnungen. Analog zu ihren methodischen Prinzipien fordert Hobbes eine exakt definierende Wissenschaft und Philosophie, so daß mit dem Begriffen mathematisch genau operiert werden kann. Aus den Begriffen und Definitionen muß also alle Zweideutigkeit gebannt werden, die ins Chaos führen würde: +Eine deutliche, durch richtige Erklärungen gehörig bestimmte und von allen Zweideutigkeiten gesäuberte Art des Vortrags ist gleichsam das Licht des menschlichen Geistes; die Vernunft macht die Fortschritte, Regeln machen den Weg zur Wissenschaft aus, und Wissenschaft hat das Wohl des Menschen zum Ziel. Metaphern aber und nichtssagende oder zweideutige Worte sind Irrlichter, bei deren Schimmer man von einem Unsinn zum anderen übergeht und endlich, zu Streitsucht und Aufruhr verleitet, in Verachtung gerät.* (Ebd.; S. 45f. [Kap. 5]). Aufruhr und Streitsucht liegen laut Hobbes in der +Natur* des Menschen, nur die Vernunft kann ihnen Einhalt gebieten – getrieben von seinen Leidenschaften (vgl. auch ebd.; Kap.

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 335<br />

(1651) <strong>in</strong>direkt Cromwells Regime rechtfertigte, <strong>der</strong> ihm wegen se<strong>in</strong>er quasimonarchischen<br />

Herrschaft wohl im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als e<strong>in</strong> zuverlässiger Garant <strong>der</strong> Ordnung erschien, mußte<br />

er, von Royalisten angegriffen, wie<strong>der</strong>um fliehen – diesmal zurück nach England. Als es dort<br />

(1660) zur Restauration <strong>der</strong> Stuarts kam, hatte er allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e erneute Gefahr zu befürchten,<br />

denn se<strong>in</strong> ehemaliger Schüler, <strong>der</strong> nun als König Charles II. auf den Thron gehoben wurde,<br />

blieb Hobbes trotz <strong>der</strong> geistigen Unterstützung Cromwells verbunden und protegierte ihn<br />

gegen Anfe<strong>in</strong>dungen <strong>der</strong> Kirche, die ihm wegen se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>strumentellen, dem Politischen klar<br />

untergeordneten Religionsauffassung (vgl. Leviathan; Kap. 31) Atheismus vorwarf. 27<br />

Man kann gut nachvollziehen, daß e<strong>in</strong> Denker, dessen Leben so unruhig verlief, und <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit politischer Wirren und Kriege lebte, sich nach Ordnung sehnte. E<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> Angst<br />

gespeistes Ordnungsstreben durchdr<strong>in</strong>gt folglich das Werk Hobbes’. Er geht sogar so weit,<br />

im Vorwort von +De Cive* (1642) im Interesse <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Ordnung zur<br />

Denunziation von +Aufwieglern* aufzurufen (siehe Anmerkung 58, Kap. 1). An<strong>der</strong>erseits ist<br />

er sich durchaus bewußt, daß die alte Ordnung unwie<strong>der</strong>br<strong>in</strong>glich verloren ist und e<strong>in</strong>e neue<br />

Ordnung nur auf neuen Wegen gefunden und errichtet werden kann. Insbeson<strong>der</strong>e die klassische<br />

Moralphilosophie hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen <strong>in</strong> ihrer Aufgabe, das politische Gebäude zu untermauern,<br />

kläglich versagt (siehe Anmerkung 54, ebd.). So wendet Hobbes sich den Naturwissenschaften<br />

und ihren Methoden zu, um die soziale Ordnung auf e<strong>in</strong> neues, tragfähigeres Fundament<br />

zu stellen. Denn die Geometrie und die astronomische Himmelsmechanik beschreiben (und<br />

s<strong>in</strong>d) <strong>in</strong> sich perfekte Ordnungen. Analog zu ihren methodischen Pr<strong>in</strong>zipien for<strong>der</strong>t Hobbes<br />

e<strong>in</strong>e exakt def<strong>in</strong>ierende Wissenschaft und Philosophie, so daß mit dem Begriffen mathematisch<br />

genau operiert werden kann. Aus den Begriffen und Def<strong>in</strong>itionen muß also alle Zweideutigkeit<br />

gebannt werden, die <strong>in</strong>s Chaos führen würde:<br />

+E<strong>in</strong>e deutliche, durch richtige Erklärungen gehörig bestimmte und von allen Zweideutigkeiten gesäuberte<br />

Art des Vortrags ist gleichsam das Licht des menschlichen Geistes; die Vernunft macht die Fortschritte,<br />

Regeln machen den Weg zur Wissenschaft aus, und Wissenschaft hat das Wohl des Menschen zum Ziel.<br />

Metaphern aber und nichtssagende o<strong>der</strong> zweideutige Worte s<strong>in</strong>d Irrlichter, bei <strong>der</strong>en Schimmer man<br />

von e<strong>in</strong>em Uns<strong>in</strong>n zum an<strong>der</strong>en übergeht und endlich, zu Streitsucht und Aufruhr verleitet, <strong>in</strong> Verachtung<br />

gerät.* (Ebd.; S. 45f. [Kap. 5]).<br />

Aufruhr und Streitsucht liegen laut Hobbes <strong>in</strong> <strong>der</strong> +Natur* des Menschen, nur die Vernunft<br />

kann ihnen E<strong>in</strong>halt gebieten – getrieben von se<strong>in</strong>en Leidenschaften (vgl. auch ebd.; Kap.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!