Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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328 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE zu rekonstruieren. Die Biographien und Philosophien von Descartes und Hobbes können hierfür als Beispiele dienen (siehe unten). Was nicht ins Bild paßte, nicht in die neue rationa- listische +Kosmopolis* (Toulmin 1990) integriert werden konnte, mußte (im Denken wie in der Praxis) ausgeschlossen werden. Die +Irrwege der Vernunft* (Feyerabend 1986) führten so in die +große Ausschließung* (Foucault), der mit der Aufklärung erhoffte +Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Un- mündigkeit* (Kant), die erstrebte Befreiung (von der Angst), zwängte letztendlich das, was befreit werden sollte – das Subjekt (der Angst) – ein (Abschnitt 5.1.1). Das Angst-getriebene doppelte Versprechen der Moderne von Freiheit und Sicherheit, das über die (gewaltvolle) Tilgung der Ambivalenz synthetisch verwirklicht werden sollte, entfaltete aber in seiner Wider- sprüchlichkeit eine um so größere Ambivalenz, und die nicht nur strukturierende, sondern auch +fragende* Gewalt der Moderne richtete sich schließlich gegen sich selbst: Die (dialektische) Bewegung treibt das moderne Denken aus seiner rationalistischen +Gefangenschaft* heraus, indem es sich, mit seinen Widersprüchen konfrontiert, zu seinem eigenen Gegenstand macht. Die Moderne wird reflexiv und vernichtet damit +objektiv* die Gewißheiten, die sie suchte (Abschnitt 5.1.2). Doch zunächst, wie angekündigt und um einen Anfang zu machen, zu den zweideutigen, brüchigen +Anfängen* dieser angstvollen und vielleicht tragischen (Selbst)- Suche: 5.1.1 NEUZEITLICHE VERUNSICHERUNGEN UND DIE FLUCHT INS RATIONALE – DIE UNEINLÖSBAREN VERSPRECHEN DER (EINFACHEN) MODERNE In der hier unternommenen (Unter-)Suchung der Bewegung der Moderne wird also die Angst und das Denken der Angst in einer Zeit des Umbruchs betrachtet. Erzeugte der Umbruch die Angst? Oder die Angst den Umbruch? Wie immer es sich verhalten mag (wenn es sich überhaupt auf eine dieser Weisen verhält): Beide – Umbruch und Angst – werden hier jedenfalls als zusammengehörig betrachtet. Denn damit sich ein Bild ergeben kann, muß ein Hintergrund vorhanden sein. Dieser hier zugrunde gelegte Hintergrund ist die Angst im Umbruch und der Umbruch in Angst, eine historische Situation und ihre +Äußerung*, eine Befindlichkeit und ihre Dynamik. Die Angst, von der ich im folgenden sprechen werde, ist also zwangsläufig gerade in ihrer +Hintergründigkeit*, nur eine erzählte und vor-gestellte. Und der mit ihr verbun-
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 329 dene Umbruch – insofern er +real* ist – wurde zwar nicht vollzogen (im Sinne einer Überwindung des Brüchigen), aber er ist, so wie er sich damals darstellte, zwangsläufig vergangen. Die beschriebene Angst (wenn sie auch womöglich – insofern sie +tatsächlich* war – nicht verschwun- den und aufgelöst sein mag) ist deshalb nicht +wirklich*, nicht gegenwärtig. Sie kann – als (Re-)Konstrukt – nur dazu dienen, zu vergegenwärtigen, d.h. uns selbst, unsere Gegenwart zu verstehen. Sie ist als solche die (gegenwärtige) Möglichkeit des Irrtums (über das Vergangene). Der mögliche Irrtum allerdings soll keine Angst auslösen. Lassen wir ihn geschehen. Doch bevor wir uns ins Geschehen(e) +stürzen*, bevor die treibende Angst in den Umbrüchen der Moderne konkret gemacht wird, muß gefragt werden, was Angst überhaupt bedeutet, und ob sie – was immer sie bedeutet – nicht zu +unbedeutend* ist, um ihr hier ein so großes (erklärendes und deutendes) Gewicht zu geben. Angst ist schließlich als Affekt zwar ein allgegen- wärtiger Begleiter des menschlichen Daseins, aber als solcher, so könnte man vermuten, vielleicht eher ein Beschäftigungsfeld für die (Individual-)Psychologie als für die aufgeworfenen Frage- stellungen wirklich relevant. Folgt man hingegen Franz Neumann, so ist die Analyse der Angst gar der zentrale Schlüssel um soziale, politische und historische Entwicklungen zu verstehen (und im Verstehen gestalten zu können). Seiner Meinung nach war es nämlich keinesfalls zufällig, daß Franklin D. Roosevelt zu den von ihm 1941 gegen die Achsenmächte ins Feld geführten +Vier Freiheiten* auch die Freiheit von Not und die Freiheit von Furcht zählte. Beide sind – im Gegensatz zur Meinungs- und zur Religionsfreiheit (den anderen von Roosevelt geforderten Freiheiten) – negative 17 Freiheiten, und man könnte sogar behaupten, daß die Furcht bzw. die Angst geradezu das (negative) andere der Freiheit darstellt. Denn Angst macht es laut Neumann unmöglich, frei zu entscheiden. (Vgl. Angst und Politik; S. 261) Was Neumanns konkretes Angst-Konzept betrifft, so knüpft er an das klassische psychoanalytische 18 Modell Freuds an. Freud unterscheidet die sog. +Realangst* von +neurotischer Angst*. Während die Realangst als etwas +Rationelles und Begreifliches* erscheint und +als Äußerung des Selbst- erhaltungstriebes* angesehen werden kann, also eine nachvollziehbare Reaktion auf eine +objektive* Gefährdung darstellt, fehlt der neurotischen Angst – die sich in diffusen Angst- neurosen, in Phobien und in hysterischer Angst äußert – dieser +reale* Hintergrund (vgl. Vorle- sungen zur Einführung in die Psychoanalyse; S. 309–314). Andererseits zeigt Freud auf, daß auch die neurotischen Formen der Angst, die gewissermaßen vom +Ich* produziert sind, einen
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328 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
zu rekonstruieren. Die Biographien und Philosophien von Descartes und Hobbes können<br />
hierfür als Beispiele dienen (siehe unten). Was nicht <strong>in</strong>s Bild paßte, nicht <strong>in</strong> die neue rationa-<br />
listische +Kosmopolis* (Toulm<strong>in</strong> 1990) <strong>in</strong>tegriert werden konnte, mußte (im Denken wie <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Praxis) ausgeschlossen werden.<br />
Die +Irrwege <strong>der</strong> Vernunft* (Feyerabend 1986) führten so <strong>in</strong> die +große Ausschließung* (Foucault),<br />
<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Aufklärung erhoffte +Ausgang des Menschen aus se<strong>in</strong>er selbstverschuldeten Un-<br />
mündigkeit* (Kant), die erstrebte Befreiung (von <strong>der</strong> Angst), zwängte letztendlich das, was<br />
befreit werden sollte – das Subjekt (<strong>der</strong> Angst) – e<strong>in</strong> (Abschnitt 5.1.1). Das Angst-getriebene<br />
doppelte Versprechen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne von Freiheit und Sicherheit, das über die (gewaltvolle)<br />
Tilgung <strong>der</strong> Ambivalenz synthetisch verwirklicht werden sollte, entfaltete aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wi<strong>der</strong>-<br />
sprüchlichkeit e<strong>in</strong>e um so größere Ambivalenz, und die nicht nur strukturierende, son<strong>der</strong>n<br />
auch +fragende* Gewalt <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne richtete sich schließlich gegen sich selbst: Die (dialektische)<br />
Bewegung treibt das mo<strong>der</strong>ne Denken aus se<strong>in</strong>er rationalistischen +Gefangenschaft* heraus,<br />
<strong>in</strong>dem es sich, mit se<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>sprüchen konfrontiert, zu se<strong>in</strong>em eigenen Gegenstand macht.<br />
Die Mo<strong>der</strong>ne wird reflexiv und vernichtet damit +objektiv* die Gewißheiten, die sie suchte<br />
(Abschnitt 5.1.2). Doch zunächst, wie angekündigt und um e<strong>in</strong>en Anfang zu machen, zu<br />
den zweideutigen, brüchigen +Anfängen* dieser angstvollen und vielleicht tragischen (Selbst)-<br />
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5.1.1 NEUZEITLICHE VERUNSICHERUNGEN UND DIE FLUCHT INS RATIONALE – DIE UNEINLÖSBAREN<br />
VERSPRECHEN DER (EINFACHEN) MODERNE<br />
In <strong>der</strong> hier unternommenen (Unter-)Suchung <strong>der</strong> Bewegung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne wird also die Angst<br />
und das Denken <strong>der</strong> Angst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit des Umbruchs betrachtet. Erzeugte <strong>der</strong> Umbruch<br />
die Angst? O<strong>der</strong> die Angst den Umbruch? Wie immer es sich verhalten mag (wenn es sich<br />
überhaupt auf e<strong>in</strong>e dieser Weisen verhält): Beide – Umbruch und Angst – werden hier jedenfalls<br />
als zusammengehörig betrachtet. Denn damit sich e<strong>in</strong> Bild ergeben kann, muß e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrund<br />
vorhanden se<strong>in</strong>. Dieser hier zugrunde gelegte H<strong>in</strong>tergrund ist die Angst im Umbruch und<br />
<strong>der</strong> Umbruch <strong>in</strong> Angst, e<strong>in</strong>e historische Situation und ihre +Äußerung*, e<strong>in</strong>e Bef<strong>in</strong>dlichkeit<br />
und ihre Dynamik. Die Angst, von <strong>der</strong> ich im folgenden sprechen werde, ist also zwangsläufig<br />
gerade <strong>in</strong> ihrer +H<strong>in</strong>tergründigkeit*, nur e<strong>in</strong>e erzählte und vor-gestellte. Und <strong>der</strong> mit ihr verbun-