Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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320 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE werte Umkehrung der Feuerbach-Marx-Kontroverse heraus: Das Denken muß verändert werden, damit die Welt der Moderne an ihren eigenen Ursprüngen und Ansprüchen erneuert werden kann.* (Das Zeitalter der Nebenfolgen und die Politisierung der Moderne; S. 26) Diese von Beck vorgenommene Abgrenzung könnte man nun zwar auf ein spezifisches Mißverständnis der Theorie Marx’ zurückführen. Denn erstens sind es auch im von Marx begründeten +Denk-System* die +Siege* des Kapitalismus, d.h. die vom ihm bewirkte Entfesselung der Produktivkräfte, die die (materiell-ökonomische) Basis der anvisierten neuen Gesellschaftsform des Kommunismus schaffen. Zweitens ist es im marxistischen Denken keineswegs erst der Klassenkampf, der die Konturen der kapitalistischen Ordnung auflöst – dieser ist nur das (zwangs- läufige) Produkt, die Äußerung ihrer inneren Widersprüchlichkeit und Selbstauflösungstendenz. Und außerdem stellt es natürlich eine Verkürzung der Marxschen Thesen dar, wenn man die gegen den (deutschen) Idealismus gerichtete Betonung der materiellen Basis mit einer 11 +Vergessenheit* für die Wissens- und Bewußtseinsdimension verwechselt. Im Gegenteil: Für Marx bestimmt das Wissen um die Verhältnisse des Seins (+Klassenbewußtsein*) wesentlich das Handeln (+revolutionäre Praxis*). Dieses Bewußtsein ist jedoch weder in Klassen- noch in Risikolagen (völlig) losgelöst von der – im Bewußtsein allerdings nie erfaßbaren, sondern nur (re)konstruierbaren – (materiellen) Faktizität. Denn Bewußtsein ist immer Bewußtsein (in) der Welt und damit durch ebendiese, dem Menschen verinnerlichtes +Außen* gegenüber- tretende Welt sowie ihre sozio-ökonomischen Äußerungen/Strukturen bestimmt. Soweit mein (Miß-)Verständnis von Marx. Mit diesen parallelisierenden Relativierungen will ich nun keineswegs behaupten, daß sich Becks Ansatz problemlos in Deckung mit den Positionen des Marxismus bringen ließe. Es gibt durchaus eine Reihe von Elementen, die Beck deutlich von Marxisten und Neomarxisten unterscheiden (wenn es auch vielleicht eher andere sind, als jene, die Beck selbst herausstellt). 12 Viel interessanter ist, daß Beck meiner Meinung nach Marx in einem zentralen Punkt kritisch überschreitet. Diese kritische Überschreitung besteht in der expliziten Skepsis gegenüber den eigenen Prämissen, die Beck daran hindert, den von ihm in den Raum gestellten Prozeß der Selbstüberwindung der Moderne (geschichtsphilosophisch), wie Marx, als +historische Not- 13 wendigkeit* zu denken, die aus den Gesetzmäßigkeiten der Geschichte folgt. Was vordergründig (vielleicht sogar gerechtfertigterweise) als +affirmative*, allzu +positive* Sicht auf die Gegenwart erscheinen mag und in der Behauptung eines aus sozialstrukturellen wie institutionellen Zwängen
KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 321 +freisetzenden* Individualisierungs- und Subpolitisierungsprozesses die Maske des Optimismus trägt (siehe auch Abschnitt 2.5), ist tatsächlich – d.h. wie ich es sehe – der Ausdruck des in der Bewegung der Moderne, entgegen den Intentionen ihrer +Väter*, gesteigerten Ungewissen. Die Entfesselung der Produktivkräfte, die bei Marx noch in das +Reich der Freiheit* führt (wenn sie +sozialistisch umgebogen* wird), erhält bei Beck deshalb den Charakter eines grundsätzlich ambivalenten Phänomens. Und er ist sich ebenso bewußt, daß Individualisierung nicht nur +Gewinner*, sondern auch +Verlierer* produziert und jede Freisetzung mit neuen Formen der Einbindung und mit neuen Zwängen verbunden ist – und sei es dem +Zwang zur Freiheit*. Nur zieht er daraus nicht die für eine kritisch-dialektische Theorie notwendige Konsequenz und konzentriert sich bei seinen Betrachtungen weniger auf die Restriktionen reflexiver Modernisierung (durch Selbstbegrenzungen wie durch deflexive Gegenbewegungen), 14 als auf ihre Chancen. Soweit jedenfalls mein (Miß-)Verständnis von Beck. Was könnte dieser damit sozusagen +auf halbem Weg steckengebliebene* Ansatz einer einen +kritischen Dialekt* sprechenden Theorie reflexiver Modernisierung mit auf ihren Weg geben, was könnte er ihr sagen? – Die Antwort lautet: Gerade in dem, was dieser Ansatz nicht sagt, könnte er sie weiterführen, denn er könnte ihr – und nichts ist produktiver – in diesem +Schweigen* Fragen stellen: Was sind die Gründe für die +Beharrlichkeit* der (institutionellen) Strukturen der +einfachen* Moderne? Durch welche Prozesse und welche Mechanismen wird der Übergang von der ersten in die zweite (radikalisierte, reflexive) Moderne blockiert? Welche (neuen) Zwänge bringt die radikalisierte Moderne (reflexiv) hervor? Worin liegen ihre Wider- sprüche? Im Bewußtsein dieser Fragen und Probleme gilt es, im folgenden (Abschnitt 5.1) noch einmal den disparaten, schon in seinen Anfängen widersprüchlichen Modernisierungsprozeß von der Neuzeit bis an die Grenze der +postmodernen* Gegenwart zu verfolgen. Vor allem mit Bezug auf +Die Dialektik der Aufklärung* (1944) von Horkheimer und Adorno sowie Zygmunt Bauman soll die +ursprüngliche* Bewegung der Moderne dabei als ein (Angst-getriebenes) Projekt der Eliminierung von Ambivalenzen aufgefaßt werden – ein Projekt allerdings, das nur deshalb Ungewißheit und Ambivalenz so vehement bekämpft, weil es selbst zutiefst ambivalent ist, indem es den Widerspruch von Freiheit und Sicherheit synthetisch zu vereinen versucht. Aus eben dieser +Grund-legenden* Antinomie der Moderne, die ihr doppeltes Versprechen doppelt uneinlösbar macht und Freiheit wie Sicherheit in ihr Gegenteil (Zwang) verkehrt, kann die Beharrlichkeit und die implizite Gewalt der modernen Ordnung erklärt
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320 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
werte Umkehrung <strong>der</strong> Feuerbach-Marx-Kontroverse heraus: Das Denken muß verän<strong>der</strong>t werden,<br />
damit die Welt <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne an ihren eigenen Ursprüngen und Ansprüchen erneuert werden<br />
kann.* (Das Zeitalter <strong>der</strong> Nebenfolgen und die Politisierung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne; S. 26)<br />
Diese von Beck vorgenommene Abgrenzung könnte man nun zwar auf e<strong>in</strong> spezifisches<br />
Mißverständnis <strong>der</strong> Theorie Marx’ zurückführen. Denn erstens s<strong>in</strong>d es auch im von Marx<br />
begründeten +Denk-System* die +Siege* des Kapitalismus, d.h. die vom ihm bewirkte Entfesselung<br />
<strong>der</strong> Produktivkräfte, die die (materiell-ökonomische) Basis <strong>der</strong> anvisierten neuen Gesellschaftsform<br />
des Kommunismus schaffen. Zweitens ist es im marxistischen Denken ke<strong>in</strong>eswegs erst <strong>der</strong><br />
Klassenkampf, <strong>der</strong> die Konturen <strong>der</strong> kapitalistischen Ordnung auflöst – dieser ist nur das (zwangs-<br />
läufige) Produkt, die Äußerung ihrer <strong>in</strong>neren Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit und Selbstauflösungstendenz.<br />
Und außerdem stellt es natürlich e<strong>in</strong>e Verkürzung <strong>der</strong> Marxschen Thesen dar, wenn man<br />
die gegen den (deutschen) Idealismus gerichtete Betonung <strong>der</strong> materiellen Basis mit e<strong>in</strong>er<br />
11<br />
+Vergessenheit* für die Wissens- und Bewußtse<strong>in</strong>sdimension verwechselt. Im Gegenteil:<br />
Für Marx bestimmt das Wissen um die Verhältnisse des Se<strong>in</strong>s (+Klassenbewußtse<strong>in</strong>*) wesentlich<br />
das Handeln (+revolutionäre Praxis*). Dieses Bewußtse<strong>in</strong> ist jedoch we<strong>der</strong> <strong>in</strong> Klassen- noch<br />
<strong>in</strong> Risikolagen (völlig) losgelöst von <strong>der</strong> – im Bewußtse<strong>in</strong> allerd<strong>in</strong>gs nie erfaßbaren, son<strong>der</strong>n<br />
nur (re)konstruierbaren – (materiellen) Faktizität. Denn Bewußtse<strong>in</strong> ist immer Bewußtse<strong>in</strong><br />
(<strong>in</strong>) <strong>der</strong> Welt und damit durch ebendiese, dem Menschen ver<strong>in</strong>nerlichtes +Außen* gegenüber-<br />
tretende Welt sowie ihre sozio-ökonomischen Äußerungen/Strukturen bestimmt. Soweit me<strong>in</strong><br />
(Miß-)Verständnis von Marx.<br />
Mit diesen parallelisierenden Relativierungen will ich nun ke<strong>in</strong>eswegs behaupten, daß sich<br />
Becks Ansatz problemlos <strong>in</strong> Deckung mit den Positionen des Marxismus br<strong>in</strong>gen ließe. Es<br />
gibt durchaus e<strong>in</strong>e Reihe von Elementen, die Beck deutlich von Marxisten und Neomarxisten<br />
unterscheiden (wenn es auch vielleicht eher an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d, als jene, die Beck selbst herausstellt). 12<br />
Viel <strong>in</strong>teressanter ist, daß Beck me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach Marx <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zentralen Punkt kritisch<br />
überschreitet. Diese kritische Überschreitung besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> expliziten Skepsis gegenüber den<br />
eigenen Prämissen, die Beck daran h<strong>in</strong><strong>der</strong>t, den von ihm <strong>in</strong> den Raum gestellten Prozeß <strong>der</strong><br />
Selbstüberw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne (geschichtsphilosophisch), wie Marx, als +historische Not-<br />
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wendigkeit* zu denken, die aus den Gesetzmäßigkeiten <strong>der</strong> Geschichte folgt. Was vor<strong>der</strong>gründig<br />
(vielleicht sogar gerechtfertigterweise) als +affirmative*, allzu +positive* Sicht auf die Gegenwart<br />
ersche<strong>in</strong>en mag und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Behauptung e<strong>in</strong>es aus sozialstrukturellen wie <strong>in</strong>stitutionellen Zwängen