Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

edition.fatal.de
von edition.fatal.de Mehr von diesem Publisher
09.12.2012 Aufrufe

314 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Doch das bedeutet keineswegs, daß die Situation für die institutionalisierte Politik nicht +prekär* wäre, wie die genauere Betrachtung des Vorgezeichneten im dritten Kapitel zeigte: Wo Transformationsprozesse stattfinden (die meiner Einschätzung nach am deutlichsten in den Bereichen Wirtschaft und Kultur und Sozialstruktur zutage treten), droht die Politik den Anschluß an die +Wirklichkeit*, d.h. ihre Umwelten, zu verlieren. Und selbst dort, wo (wie im Bereich des Rechts) eine ausgeprägte Ko-Evolution mit der Politik zu beobachten ist, könnte para- doxerweise ausgerechnet dieses +Zusammenspiel* die Stabilität gefährden, indem man sich nicht nur gegenseitig stützt, sondern auch blockiert. Wo eine Gleichzeitigkeit von Wandel und Ko-Evolution gegeben ist (die Bereiche Wissenschaft/Technik und Medien können hier als Beispiele dienen), ergibt sich für die Politik sogar eine doppelt widersprüchliche Situation, da mit den Wandlungsprozessen neue Herausforderungen auftauchen, während sich die Probleme der Ko-Evolution andererseits tendenziell zuspitzen. All das sollte im vorangegangenen vierten Kapitel mit dem Fallbeispiel +BSE* plastisch veranschaulicht werden. Nur: Wie hängen die einzelnen (Auflösungs-)Prozesse zusammen? Und wie erklärt sich die Widersprüchlichkeit der entfalteten Entwicklung? Um hierauf meine partikularen, aber auf das +Ganze* zielenden Antworten zu geben, werde ich zu den Themenkreisen des Prologs zurückschreiten, der einleitend nach den (autopoietischen) Differenzen und Überschneidungen von +Moderne* und +Postmoderne* fragte. Eine zyklische Vorgehensweise vermag im Kontext dieser Fragestellungen nämlich vielleicht am ehesten aus dem +reflexiven Spiegelkabinett* der Gegenwart zu führen. Denn die Gründe für die Antinomien und Aporien der +Postmoderne*, die eine radikalisierte, reflexive und sich in ihrer Reflexivität gleichzeitig verspiegelnde Moderne ist, können meines Erachtens in der (Selbst-)Widersprüchlichkeit der Modernisierung lokalisiert werden. Und um diese Widersprüche und (deflexiven) Verspiegelungen zu (ent)spiegeln, ist es notwendig, die wahrgenommene Dynamik auf den Ausgangspunkt der Bewegung der Moderne (rück) zu beziehen. Für dieses Vorhaben ist eine radikal dialektische, d.h. keine dialektische Synthese mehr anstrebende Betrachtung des Modernisierungsprozesses die vielver- sprechendste theoretische +Option*, weil sie im (dekonstruktiven) Aufzeigen der Dialektik die Gegensätze der (Post-)Moderne nicht nur erfaßt, sondern entwickelt und +freisetzt* (siehe auch S. 413ff.). Auf diese Weise wird, im Bewußtsein und in der Entfaltung des Widersprüch- lichen, der Differenz – und damit auch dem Widerspruch – ihr Raum gegeben. Demgemäß wäre eine kritische und dialektische Erweiterung der Theorie reflexiver Modernisierung, so

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 315 wie sich derzeit darstellt, anzustreben, und die zu leistende +kreative* Aufgabe ist der – hier allerdings nur auf eine erste Skizze beschränkte – Entwurf einer kritisch-dialektischen Theorie reflexiver Modernisierung. Eine solche kritisch-dialektische Theorie reflexiver Modernisierung schließt für mich notwendig an das in den 30er Jahren von Max Horkheimer in seiner Schrift +Traditionelle und kritische Theorie* formulierte Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie an – überschreitet es jedoch zugleich. Mit Horkheimer teile ich insbesondere in Anbetracht der sich tendenziell immer mehr in abgetrennte Einzelfragestellungen verzettelnden Sozialwissenschaft der Gegenwart die Auffassung, daß +zu einer Konzeption übergegangen werden [muß], in der die Einseitigkeit, welche durch die Abhebung intellektueller Teilvorgänge von der gesamtgesellschaftlichen Praxis notwendig entsteht, wieder aufgehoben wird* (S. 216). Für Horkheimer ist es dabei aber durchaus erforderlich – und auch hierin stimme ich mit ihm überein –, sich auf konkrete soziale +Realität* zu beziehen: +Das kritische Denken […] hat […] bewußt ein bestimmtes Individuum in seinen wirklichen Beziehungen […] zum Subjekt.* (ebd.; S. 227) und ist – in diesem Sinn – ein +einziges entfaltetes Existentialurteil* (ebd.; S. 244). Der Anspruch auf eine +umfassende* (historische) Urteilsfähigkeit, der damit gleichzeitig erhoben wird, erscheint mir aber nicht nur wissenschaftstheoretisch unhaltbar, sondern vielmehr darüber hinaus gerade für das formulierte kritische Projekt, das schließlich eine Transzendierung der bestehenden Verhältnisse/Wahrheiten anstrebt, kontraproduktiv. Denn in dem von Horkheimer implizit vertretenen (objektiven) Wahrheitsanspruch ist die +traditionelle* Kritische Theorie unkritisch und – ungewollt – Teil jener von ihr selbst angegriffenen wissenschaftlichen Meta- erzählung, die mit ihrer ausschließenden Objektivität und ihrer verabsolutierten Vernunft die Imaginations- und Möglichkeitsräume der sozialen Subjekte absperrt. 1 (Bewußte) Singularität, die andererseits den Bezug auf den sozialen Zusammenhang bewahrt, muß deshalb Objektivität und Universalität als Prinzip der Theorie ersetzen. Dabei ist es, um es nochmals zu betonen, gerade für die Praxis einer +kritischen* Wissenschaft unabdingbar, sich auf konkrete soziale Gegenwart – d.h. so wie sie vom Wissenschaftler/der Wissenschaftlerin wahrgenommen wird und wie sie sich ihm/ihr darstellt – zu beziehen. Nur ist soziale Gegenwart eben immer auch sozial konstruiert und nicht in einem essentiellen Sinn +wirklich*. Genau diese (allerdings nicht beliebige) Kontingenz und +Konstruktivität* macht soziale Wirklichkeit veränderbar und für ein kritisches Wissenschaftsprojekt zugänglich, welches das Bestehende

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 315<br />

wie sich <strong>der</strong>zeit darstellt, anzustreben, und die zu leistende +kreative* Aufgabe ist <strong>der</strong> – hier<br />

allerd<strong>in</strong>gs nur auf e<strong>in</strong>e erste Skizze beschränkte – Entwurf e<strong>in</strong>er kritisch-dialektischen Theorie<br />

reflexiver Mo<strong>der</strong>nisierung.<br />

E<strong>in</strong>e solche kritisch-dialektische Theorie reflexiver Mo<strong>der</strong>nisierung schließt für mich notwendig<br />

an das <strong>in</strong> den 30er Jahren von Max Horkheimer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift +Traditionelle und kritische<br />

Theorie* formulierte Projekt e<strong>in</strong>er kritischen Gesellschaftstheorie an – überschreitet es jedoch<br />

zugleich. Mit Horkheimer teile ich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Anbetracht <strong>der</strong> sich tendenziell immer<br />

mehr <strong>in</strong> abgetrennte E<strong>in</strong>zelfragestellungen verzettelnden Sozialwissenschaft <strong>der</strong> Gegenwart<br />

die Auffassung, daß +zu e<strong>in</strong>er Konzeption übergegangen werden [muß], <strong>in</strong> <strong>der</strong> die E<strong>in</strong>seitigkeit,<br />

welche durch die Abhebung <strong>in</strong>tellektueller Teilvorgänge von <strong>der</strong> gesamtgesellschaftlichen<br />

Praxis notwendig entsteht, wie<strong>der</strong> aufgehoben wird* (S. 216). Für Horkheimer ist es dabei<br />

aber durchaus erfor<strong>der</strong>lich – und auch hier<strong>in</strong> stimme ich mit ihm übere<strong>in</strong> –, sich auf konkrete<br />

soziale +Realität* zu beziehen: +Das kritische Denken […] hat […] bewußt e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Individuum <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en wirklichen Beziehungen […] zum Subjekt.* (ebd.; S. 227) und ist –<br />

<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>n – e<strong>in</strong> +e<strong>in</strong>ziges entfaltetes Existentialurteil* (ebd.; S. 244).<br />

Der Anspruch auf e<strong>in</strong>e +umfassende* (historische) Urteilsfähigkeit, <strong>der</strong> damit gleichzeitig erhoben<br />

wird, ersche<strong>in</strong>t mir aber nicht nur wissenschaftstheoretisch unhaltbar, son<strong>der</strong>n vielmehr darüber<br />

h<strong>in</strong>aus gerade für das formulierte kritische Projekt, das schließlich e<strong>in</strong>e Transzendierung <strong>der</strong><br />

bestehenden Verhältnisse/Wahrheiten anstrebt, kontraproduktiv. Denn <strong>in</strong> dem von Horkheimer<br />

implizit vertretenen (objektiven) Wahrheitsanspruch ist die +traditionelle* Kritische Theorie<br />

unkritisch und – ungewollt – Teil jener von ihr selbst angegriffenen wissenschaftlichen Meta-<br />

erzählung, die mit ihrer ausschließenden Objektivität und ihrer verabsolutierten Vernunft<br />

die Imag<strong>in</strong>ations- und Möglichkeitsräume <strong>der</strong> sozialen Subjekte absperrt. 1<br />

(Bewußte) S<strong>in</strong>gularität, die an<strong>der</strong>erseits den Bezug auf den sozialen Zusammenhang bewahrt,<br />

muß deshalb Objektivität und Universalität als Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Theorie ersetzen. Dabei ist es,<br />

um es nochmals zu betonen, gerade für die Praxis e<strong>in</strong>er +kritischen* Wissenschaft unabd<strong>in</strong>gbar,<br />

sich auf konkrete soziale Gegenwart – d.h. so wie sie vom Wissenschaftler/<strong>der</strong> Wissenschaftler<strong>in</strong><br />

wahrgenommen wird und wie sie sich ihm/ihr darstellt – zu beziehen. Nur ist soziale Gegenwart<br />

eben immer auch sozial konstruiert und nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em essentiellen S<strong>in</strong>n +wirklich*. Genau<br />

diese (allerd<strong>in</strong>gs nicht beliebige) Kont<strong>in</strong>genz und +Konstruktivität* macht soziale Wirklichkeit<br />

verän<strong>der</strong>bar und für e<strong>in</strong> kritisches Wissenschaftsprojekt zugänglich, welches das Bestehende

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!