Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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312 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 5 REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN Nachdem nunmehr das Mosaik der +Politik in der (Post-)Moderne* aus den Versatzstücken der fragmentisierten Diskurse gebildet wurde, die Praktiken und Taktiken erforscht, in ihren Widersprüchlichkeiten rekonstruiert wie dekonstruiert wurden und mit dem Fall +BSE* zur Sichtbarmachung der Dilemmata und untergründigen Querverbindungen auch in den +Niede- rungen* der Mikropolitik gewühlt wurde, ist eine erneute Entfernung, ein Schritt zurück, ange- bracht, so daß sich das +pointilistische* Gemälde – möglicherweise – zu einem Gesamtbild zusammenfügt. Aus der Distanz erkennt man: Es gibt Lücken in diesem Mosaik. Vieles ist noch im Unklaren. Der weite Bogen, der um die Politik geschlagen wurde, hat sich also nicht zu einem +offenbarenden* Zirkel geschlossen, die langsame Annäherung und Einkreisung, die vorgenommen wurde, hat noch nicht zu einer Herausschälung des (nebulösen) +Kerns* geführt. Doch trotz der Lücken kann man bereits erahnen, was dieses Bild darstellt, und so ist es möglich, aus der Entfernung nunmehr die Szenerie +imaginär* zu vervollständigen. Was durch die +Mikroskopie* der – primär textbezogenen – +Empirie*, durch das Nachspüren der Verzwei- gungen der Diskurse, nicht möglich war, soll deshalb nun im +Weitblick* der Theorie kompensiert werden. Der metatheoretische Entwurf, der hier im folgenden gezeichnet werden wird, ist allerdings seinem Charakter nach keine einem Totalisierungsstreben verfallene wissenschaftliche Metaerzählung, sondern eine +partikulare*, subjektiv gefärbte Folie der Interpretation. Es wird deshalb von mir keine (ohnehin unmögliche) +Objektivität* und (ohnehin unbestimmbare) +Wahrheit* dieses Entwurfs behauptet. Vielmehr wird im interpretativen +Übergriff* der Theorie, die sich um eine deutende +Begründung* bemüht, nur ein Puzzle, eine Gedanken-Collage komplettiert, die auch anders zu Ende gedacht werden könnte. Am Anfang dieser +Collage* stand die Beschäftigung mit der Etymologie und praktischen Semantik des Begriffs +Politik*, der sich in seinen Wandlungen nicht nur entlang einer Zeit-, sondern auch entlang einer sozial-politischen Raumachse +codiert*. Historisch wurden die Brüche

KAP. 5: REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION DES POLITISCHEN 313 und Umbrüche der politischen Begrifflichkeit(en) und Faktizität von der Antike bis in die +postmoderne* Gegenwart verfolgt, in der immer vehementer hinterfragt wird, was lange Zeit den Horizont von Politik prägte: nämlich die neuzeitliche Trennung der politischen von der allgemeinen sozialen Sphäre, wobei diese +Abspaltung* mit einer säkularisierten Heils- erwartung und der Forderung nach einem +Primat der Politik* einherging. Ausdruck und +materielle Hülle* jenes verselbständigten Politikverständnisses war der Nationalstaat, und in seinem Rahmen formierten sich auch die +klassischen* politischen Lager, die bis an die Grenze der Gegenwart die quasinatürliche Raumachse der politischen Codierung bildeten. Nun aber lösen sich diese Lager, gleichzeitig mit dem (national)staatlichen Gehäuse, zunehmend auf, und das Politische wird – praktisch wie in den +vorausschauenden* theoretischen Projek- tionen – wieder in die Lebenswelt(en) +zurückgeworfen*. Genau damit nähern sich die politischen Konzepte der +Postmoderne*, die den Rahmen des etablierten politischen Systems und des immer noch dominanten nationalstaatlichen politischen Denkens sprengen, wieder an das +umfassende* Politikverständnis der Antike an, das noch nicht, wie das politische Denken der Neuzeit, von einer Trennung der Sphären von Staat und Gesellschaft ausging. Wo allerdings nicht eine bloße Rückwärtsbewegung beschrieben wird, findet, wie ausgeführt, ein +transforma- tives Recycling* statt: Anders als in der Vergangenheit besteht heute die relativierende Vorstellung eines kontingenten, d.h. von immer größeren Möglichkeitsräumen erfüllten sozialen Seins, das keine festgefügten Ordnungen kennt. Warum kommt es jedoch ausgerechnet heute zu einer solchen Umorientierung? – Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage wurde von mir in der politischen +Umwelt* und ihren Wand- lungen verortet. Deshalb wurde nach den im ersten Kapitel erfolgten Grundierungsarbeiten im zweiten Kapitel den gegenwärtig stattfindenden sozialen Transformationsprozessen nachgegan- gen. Die dort zu Beginn aufgestellte These einer +Dialektik von sozio-ökonomischem Wandel und politischer Statik* zeigte sich in der Rekonstruktion der auch mit empirischem Material +untermauerten* Diskursbestände allerdings als nur bedingt zutreffend. In einigen Bereichen ergab sich zwar im Zuge der näheren Ausmalung tatsächlich das Bild einer im politischen System weitgehend ungespiegelten Dynamik, aber es wurden auch Prozesse der +Ko-Evolution* deutlich. Die Politik kann aufgrund dieser Ko-Evolution im Zusammenspiel mit anderen +Teilsys- temen* ihr statisches Gleichgewicht trotz untergrabender Wandlungsprozesse aufrecht erhalten und besitzt mächtige Ressourcen für die Abwehr reflexiver Herausforderungen.

312 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

5 REFLEXIV-DEFLEXIVE MODERNISIERUNG UND DIE DIFFUSION<br />

DES POLITISCHEN<br />

Nachdem nunmehr das Mosaik <strong>der</strong> +<strong>Politik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> (<strong>Post</strong>-)Mo<strong>der</strong>ne* aus den Versatzstücken<br />

<strong>der</strong> fragmentisierten Diskurse gebildet wurde, die Praktiken und Taktiken erforscht, <strong>in</strong> ihren<br />

Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten rekonstruiert wie dekonstruiert wurden und mit dem Fall +BSE* zur<br />

Sichtbarmachung <strong>der</strong> Dilemmata und untergründigen Querverb<strong>in</strong>dungen auch <strong>in</strong> den +Niede-<br />

rungen* <strong>der</strong> Mikropolitik gewühlt wurde, ist e<strong>in</strong>e erneute Entfernung, e<strong>in</strong> Schritt zurück, ange-<br />

bracht, so daß sich das +po<strong>in</strong>tilistische* Gemälde – möglicherweise – zu e<strong>in</strong>em Gesamtbild<br />

zusammenfügt. Aus <strong>der</strong> Distanz erkennt man: Es gibt Lücken <strong>in</strong> diesem Mosaik. Vieles ist<br />

noch im Unklaren. Der weite Bogen, <strong>der</strong> um die <strong>Politik</strong> geschlagen wurde, hat sich also nicht<br />

zu e<strong>in</strong>em +offenbarenden* Zirkel geschlossen, die langsame Annäherung und E<strong>in</strong>kreisung,<br />

die vorgenommen wurde, hat noch nicht zu e<strong>in</strong>er Herausschälung des (nebulösen) +Kerns*<br />

geführt.<br />

Doch trotz <strong>der</strong> Lücken kann man bereits erahnen, was dieses Bild darstellt, und so ist es<br />

möglich, aus <strong>der</strong> Entfernung nunmehr die Szenerie +imag<strong>in</strong>är* zu vervollständigen. Was durch<br />

die +Mikroskopie* <strong>der</strong> – primär textbezogenen – +Empirie*, durch das Nachspüren <strong>der</strong> Verzwei-<br />

gungen <strong>der</strong> Diskurse, nicht möglich war, soll deshalb nun im +Weitblick* <strong>der</strong> Theorie kompensiert<br />

werden. Der metatheoretische Entwurf, <strong>der</strong> hier im folgenden gezeichnet werden wird, ist<br />

allerd<strong>in</strong>gs se<strong>in</strong>em Charakter nach ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>em Totalisierungsstreben verfallene wissenschaftliche<br />

Metaerzählung, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e +partikulare*, subjektiv gefärbte Folie <strong>der</strong> Interpretation. Es wird<br />

deshalb von mir ke<strong>in</strong>e (ohneh<strong>in</strong> unmögliche) +Objektivität* und (ohneh<strong>in</strong> unbestimmbare)<br />

+Wahrheit* dieses Entwurfs behauptet. Vielmehr wird im <strong>in</strong>terpretativen +Übergriff* <strong>der</strong> Theorie,<br />

die sich um e<strong>in</strong>e deutende +Begründung* bemüht, nur e<strong>in</strong> Puzzle, e<strong>in</strong>e Gedanken-Collage<br />

komplettiert, die auch an<strong>der</strong>s zu Ende gedacht werden könnte.<br />

Am Anfang dieser +Collage* stand die Beschäftigung mit <strong>der</strong> Etymologie und praktischen Semantik<br />

des Begriffs +<strong>Politik</strong>*, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wandlungen nicht nur entlang e<strong>in</strong>er Zeit-, son<strong>der</strong>n<br />

auch entlang e<strong>in</strong>er sozial-politischen Raumachse +codiert*. Historisch wurden die Brüche

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