Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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302 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE die +diffuse* politische Masse einerseits wieder zur Nation zu einen (was auch größere Kontrolle über sie verspricht), und um sie andererseits als potentielle Quelle von politischem Protest gegen das verfehlte (andererseits dramatisch übersteigerte) BSE-Krisenmanagement zu immobi- lisieren (vgl. auch ebd.; S. 83f.). 71 Daß der +Feind* Europa als übermächtig in diesem Konflikt erscheint, dient nur der Sache. Denn zur Konstruktion eines Gegners und zur Schürung eines Konflikts eignen sich, worauf Uli Bielefeld verweist, nicht nur insbesondere wenig konkrete allgemeine Feind-Bilder (wie dies für +Europa* ohne Zweifel gilt), da nämlich, sobald der Feind ein individuelles Gesicht erhält, automatisch auch Ansatzpunkte zur Identifizierung gegeben sind (vgl. Das Konzept 72 des Fremden und die Wirklichkeit des Imaginären; S. 103). Der (ideale) Konfliktgegner sollte überdies groß und mächtig wirken, weil er nur so Angst auszulösen vermag und damit dazu dienen kann, dem (kollektiven) +Ich* die bestehende Ambivalenz zu nehmen, indem die eigene Furcht auf den konstruierten Gegner übertragen wird (vgl. ebd.; S. 104f.). Die Angst der Briten wird also nach außen projiziert und so verdrängt und abgewehrt. Die Sorge vor der Vereinnahmung durch den übermächtigen Kontinent ersetzt die (real viel bedrohlichere, doch gleichzeitig viel schwerer +bewältigbare*) Furcht vor dem Tod durch BSE. Die deflexive Projektion der Angst nach außen wird (im Innen) durch die symbolische Schaffung von +Vertrauen* unterstützt. Als Beispiel kann hier wiederum die eingangs karikierte Inszenierung des britischen Landwirtschaftsministers Gummer dienen, der seine Tochter demonstrativ in einen Hamburger beißen ließ. Einen ähnlichen Effekt erzielen die ständigen Beteuerungen der Politik, daß keine Gefahr durch BSE gegeben sei (wenngleich diese natürlich weit weniger +spektakulär* sind). Edelman spricht in solchen Fällen von inszeniertem Selbstbewußtsein sowie inszenierter Zuversicht und verweist darauf, daß speziell verängstigte Menschen gerne glauben, daß die politische Spitze (weil sie die politische Spitze ist), weiß, was sie tut, weshalb das Publikum den (auch wissenschaftlich abgestützten) politischen Darstellungen von Kompetenz Glauben schenkt (vgl. Politik als Ritual; S. 99). Die politischen Führung dient hier gewissermaßen selbst als +Zeichen* ihrer Kompetenz (vgl. auch ders.: Constructing the Political Spectacle; Kap. 3) bzw. rekurriert auf Autoritäten, die nicht der Autorität des politischen Systems unterstellt erscheinen. Das kann am Beispiel BSE nochmals konkret gemacht werden: BSE ist seit 1986, also seiner +offiziellen Geburtsstunde*, ein Thema für die Medien. Die Dynamik der Medien-Berichterstatt
KAP. 4: DER FALL +BSE* 303 war und ist jedoch weitgehend losgelöst von der +objektiven* Entwicklung, verläuft sogar vielmehr quer zu ihr: Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man die Intensität der Bericht- erstattung (gemessen an der Zahl der zum Thema verfaßten Artikel) und die Entwicklung der BSE-Fallzahlen miteinander vergleicht. Wie aus Abbildung 4 (S. 274) abzulesen ist, erfolgte zunächst es ein relativ rasches, kontinuierliches Hochschnellen der BSE-Fälle, wobei der Höhepunkt der Seuche mit 36.682 erkrankten Tieren auf 1992 fällt. Danach ist ein fast ebenso schnelles und kontinuierlich Absinken festzustellen, so daß derzeit nur mehr relativ wenige Fälle beobachtet werden können. Ganz anders verlief die Medienberichterstattung: (Erster) Höhepunkt der Thematisierung von 73 BSE in den Medien war nach den von der +Glasgow Media Studies Group* ermittelten Zahlen eindeutig 1990. Ein leichter Peak war auch 1994 festzustellen (als es aufgrund von wissen- schaftlichen Experimenten deutliche Indizien für eine Übertragbarkeit der Krankheit auf den Menschen gab), während es 1992, also dem Jahr der meisten toten Tiere, eher ruhig um das Thema BSE war. 1996, das leider nicht mehr von den schottischen Medien-Wissenschaftlern bei ihrer Auswertung erfaßt wurde, kam es dann, wie jeder selbst nachvollziehen kann, ausgelöst durch das Eingeständnis der britischen Regierung, daß BSE auch für den Menschen eine Gefahr darstellen könnte, zu einer wahren Inflation von Beiträgen. Was also auffällt, ist die Diskontinuität in der Medienberichterstattung, die im Gegensatz zum eher kontinuierlichen An- und Abschwellen der BSE-Fälle steht. Diese Diskontinuität der Bericht- erstattung ist in erster Linie mit der schon oben mit Adam angesprochenen Ereignisfixierung der Medien zu erklären. Michael Burton und Trevor Young gelangen nun bei ihrer Untersuchung des Medieneinflusses auf das Verbraucherverhalten im Kontext der BSE-Krise zu dem Ergebnis, daß sich eine Korrelation der Konsumgewohnheiten mit der Intensität der Medienberichterstattung zeigt, wobei der kurzfristige negative Effekt auf den Rindfleischkonsum relativ groß ist, der erwartete langfristige Effekt allerdings etwas gemäßigter ausfällt (vgl. Measuring Meat Consumers’ Response to the Perceived Risks of BSE in Great Britain). Die Diskontinuität und die Hysterie der Medienberichterstattung übersetzt sich damit, sollte sich diese Prognose als richtig erwiesen, im Verbraucherverhalten in eine Kontinuität auf gesenkten Aufmerksamkeitsniveau. Ähnliches läßt sich meiner Meinung nach auch für die politischen Reaktionen auf den Medien- diskurs aufzeigen. Denn die Politiker orientierten sich bei ihren Dringlichkeitseinschätzungen offenbar auch an der Intensität der Berichterstattung und entfalteten immer, wenn das Thema
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302 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
die +diffuse* politische Masse e<strong>in</strong>erseits wie<strong>der</strong> zur Nation zu e<strong>in</strong>en (was auch größere Kontrolle<br />
über sie verspricht), und um sie an<strong>der</strong>erseits als potentielle Quelle von politischem Protest<br />
gegen das verfehlte (an<strong>der</strong>erseits dramatisch übersteigerte) BSE-Krisenmanagement zu immobi-<br />
lisieren (vgl. auch ebd.; S. 83f.). 71<br />
Daß <strong>der</strong> +Fe<strong>in</strong>d* Europa als übermächtig <strong>in</strong> diesem Konflikt ersche<strong>in</strong>t, dient nur <strong>der</strong> Sache.<br />
Denn zur Konstruktion e<strong>in</strong>es Gegners und zur Schürung e<strong>in</strong>es Konflikts eignen sich, worauf<br />
Uli Bielefeld verweist, nicht nur <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenig konkrete allgeme<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>d-Bil<strong>der</strong> (wie<br />
dies für +Europa* ohne Zweifel gilt), da nämlich, sobald <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles Gesicht<br />
erhält, automatisch auch Ansatzpunkte zur Identifizierung gegeben s<strong>in</strong>d (vgl. Das Konzept<br />
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des Fremden und die Wirklichkeit des Imag<strong>in</strong>ären; S. 103). Der (ideale) Konfliktgegner sollte<br />
überdies groß und mächtig wirken, weil er nur so Angst auszulösen vermag und damit dazu<br />
dienen kann, dem (kollektiven) +Ich* die bestehende Ambivalenz zu nehmen, <strong>in</strong>dem die<br />
eigene Furcht auf den konstruierten Gegner übertragen wird (vgl. ebd.; S. 104f.). Die Angst<br />
<strong>der</strong> Briten wird also nach außen projiziert und so verdrängt und abgewehrt. Die Sorge vor<br />
<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>nahmung durch den übermächtigen Kont<strong>in</strong>ent ersetzt die (real viel bedrohlichere,<br />
doch gleichzeitig viel schwerer +bewältigbare*) Furcht vor dem Tod durch BSE.<br />
Die deflexive Projektion <strong>der</strong> Angst nach außen wird (im Innen) durch die symbolische Schaffung<br />
von +Vertrauen* unterstützt. Als Beispiel kann hier wie<strong>der</strong>um die e<strong>in</strong>gangs karikierte Inszenierung<br />
des britischen Landwirtschaftsm<strong>in</strong>isters Gummer dienen, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Tochter demonstrativ <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Hamburger beißen ließ. E<strong>in</strong>en ähnlichen Effekt erzielen die ständigen Beteuerungen<br />
<strong>der</strong> <strong>Politik</strong>, daß ke<strong>in</strong>e Gefahr durch BSE gegeben sei (wenngleich diese natürlich weit weniger<br />
+spektakulär* s<strong>in</strong>d). Edelman spricht <strong>in</strong> solchen Fällen von <strong>in</strong>szeniertem Selbstbewußtse<strong>in</strong><br />
sowie <strong>in</strong>szenierter Zuversicht und verweist darauf, daß speziell verängstigte Menschen gerne<br />
glauben, daß die politische Spitze (weil sie die politische Spitze ist), weiß, was sie tut, weshalb<br />
das Publikum den (auch wissenschaftlich abgestützten) politischen Darstellungen von Kompetenz<br />
Glauben schenkt (vgl. <strong>Politik</strong> als Ritual; S. 99). Die politischen Führung dient hier gewissermaßen<br />
selbst als +Zeichen* ihrer Kompetenz (vgl. auch <strong>der</strong>s.: Construct<strong>in</strong>g the Political Spectacle;<br />
Kap. 3) bzw. rekurriert auf Autoritäten, die nicht <strong>der</strong> Autorität des politischen Systems unterstellt<br />
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Das kann am Beispiel BSE nochmals konkret gemacht werden: BSE ist seit 1986, also se<strong>in</strong>er<br />
+offiziellen Geburtsstunde*, e<strong>in</strong> Thema für die Medien. Die Dynamik <strong>der</strong> Medien-Berichterstatt