Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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298 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE (bei dem es sich in Wahrheit natürlich um einen +Beef Burger* handelte), nachdem die Kameras ausgeschaltet waren, ihrem Vater zum Verzehr zu überlassen, der diesen – noch verwunderlicher – tatsächlich aufaß? Der Sinn jenes durchaus kuriosen, allerdings keineswegs erdachten, sondern vielmehr aus der (Medien-)Wirklichkeit gegriffenen Schauspiels erschließt sich einem sofort, wenn drei – mittlerweile recht vertraute – Buchstaben ins Spiel kommen: BSE. Denn im Kontext der BSE-Krise wird verständlich, was anderenfalls doch eher irritierend wirkt: ein britischer Land- wirtschaftsminister (John Gummer), der seine Tochter dazu veranlaßt, vor versammelter Presse in einen Hamburger zu beißen. Sobald jedoch klar ist, daß BSE den Hintergrund der Darstellung abgibt, ist auch klar, daß es eigentlich weniger um Töchter von Ministern oder Hamburger ging, sondern daß der öffentlich inszenierte Biß in das amerikanische Hackfleischbrötchen nur eines demonstrieren sollte: Keine Gefahr für die Verbraucher durch BSE – und deshalb auch kein Verschulden der Politik. Erst der Kontext der politischen Darstellung verweist also auf ihren +taktischen* Charakter und läßt die der Darstellung, dem dramaturgischen politischen +Text*, implizite Botschaft hervortreten (vgl. auch Edelman: Constructing the Political Spectacle; Kap. 7). In der Dramaturgie des Symbolakts werden gleichzeitig Fragen gestellt und Antworten gegeben. Bezogen auf das obige Beispiel lauten sie: Würde ein Minister, der meint (oder gar weiß), daß BSE eine reale Gefahr für das Leben der Briten darstellt, seine eigene Tochter (und sich selbst) einem Ansteckungsrisiko aussetzen? – Wohl kaum! Diese affirmative +Message* ist es, die die Politik im Kontext von BSE mit solchen symbolischen Akten vermitteln will, die die Medien transportieren und die das Publikum aufnimmt. Und doch, letztendlich ist allen bewußt: Es handelt sich um eine Inszenierung. Denn wie bereits dargelegt wurde, besteht im Bereich des öffentlichen Handelns eine geringere Aufrichtig- keitserwartung und damit eine von vorne herein kritischere Einstellung des Publikums gegenüber den Darstellungen der Akteure als im Privatbereich (siehe S. 157ff.). Die sich inszenierende Politik hofft nun aber, daß ihr trotz dem bestehenden Bewußtsein für den Inszenierungscharakter ihrer Aktionen geglaubt wird, da man – wohl nicht zu Unrecht – auf die +Macht der Bilder* 68 vertraut. Die Medien lassen sich, indem sie die Inszenierung ihrerseits in Szene setzen, instru- mentalisieren, weil sie vom +Show-Effekt* der politischen Inszenierungen profitieren, und instrumentalisieren so im Gegenzug die Politik für ihre (kommerziellen) Interessen, welche sich schließlich in den öffentlichen politischen Inszenierungen an die Medien-Semantik anpaßt.

KAP. 4: DER FALL +BSE* 299 Das Publikum, um dessen Gunst Medien und Politik – allerdings aus unterschiedlichen Motiven – werben, weiß, wie gesagt, um den Schauspielcharakter solcher Aktionen, sieht aber trotzdem gebannt zu und läßt sich unterhalten (manchmal sogar, dann allerdings eher auf unterschwelliger Ebene, überzeugen). Besonders, wenn – wie im oben beschriebenen Fall – ein Moment der Gefahr ins Spiel kommt, gewinnt das politische Spektakel an Reiz für das ansonsten von der Politik doch eher gelangweilte Publikum. Dieser Reiz der Gefahr wirkte denn wohl auch, um ein weiters Beispiel zu geben, als der (damalige) deutsche Umweltminister Klaus Töpfer 1988 durch den Rhein schwamm, um dessen verbesserte Wasserqualität der Öffentlichkeit plastisch zur Schau zu stellen. 1985 hatte Töpfer nämlich (zu dieser Zeit noch Umweltminister des Bundeslandes Rheinland-Pfalz) bekundet, er würde den stark schadstoffbelasteten Fluß im Verlauf seiner Amtszeit so wirksam sanieren, daß man bald wieder in ihm baden könne, und er wolle selbst dafür den Beweis antreten. Er wagte das Risiko eines Rheinbades dann allerdings nur mit einem Rettungs- schwimmer-Tauchanzug, Taucherflossen und Badekappe ausgestattet. Und er versuchte den offensichtlichen Schauspielcharakter dieser von den Medien begleiteten Aktion (der eben durch seine Offensichtlichkeit natürlich die Wirksamkeit der Inszenierung in Frage stellte) damit herunterzuspielen, daß er versicherte, er wolle den Rhein mit seiner Durchschwimmung keinesfalls zum Badegewässer hochstilisieren. (Vgl. ausführlicher zu diesem Beispiel Meyer: Inszenierung des Scheins; S. 79ff.) Doch zurück zum Fall BSE: Das Moment der (drohenden) Gefahr ist hier kaum zu übersehen. Ist BSE durch Fleischverzehr und rindergewebshaltige Produkte auf den Menschen übertragbar? Und wenn ja: Wie viele Opfer sind zu erwarten? Ist sogar eine Ansteckung durch Bluttrans- fusionen (siehe auch Anmerkung 60) möglich? All das sind im Zusammenhang von BSE derzeit brennende Fragen. Trotzdem spielt das mögliche Gesundheitsrisiko durch die neuartige Rinder- seuche im medialen öffentlichen Diskurs in Großbritannien nur eine relativ untergeordnete Rolle. Darauf hat insbesondere Barbara Adam im Zusammenhang ihrer am Fall +BSE* dargelegten Überlegungen zum +mediatisierten Wissen* (siehe auch S. 296) hingewiesen: Der wissenschaft- liche Erkenntnisstand ist zwar noch äußerst unsicher. Die Mediensemantik verlangt allerdings nach berichtbaren +Fakten*. (Vgl. Timescapes of Modernity; S. 165ff.). 69 Wahrscheinlich ist genau dies der Grund, warum sich die meisten britischen Medien auf den Versuch der Politik, sich mittels einer Redefinition des Problems aus der Affaire zu ziehen,

298 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

(bei dem es sich <strong>in</strong> Wahrheit natürlich um e<strong>in</strong>en +Beef Burger* handelte), nachdem die Kameras<br />

ausgeschaltet waren, ihrem Vater zum Verzehr zu überlassen, <strong>der</strong> diesen – noch verwun<strong>der</strong>licher<br />

– tatsächlich aufaß?<br />

Der S<strong>in</strong>n jenes durchaus kuriosen, allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>eswegs erdachten, son<strong>der</strong>n vielmehr aus<br />

<strong>der</strong> (Medien-)Wirklichkeit gegriffenen Schauspiels erschließt sich e<strong>in</strong>em sofort, wenn drei<br />

– mittlerweile recht vertraute – Buchstaben <strong>in</strong>s Spiel kommen: BSE. Denn im Kontext <strong>der</strong><br />

BSE-Krise wird verständlich, was an<strong>der</strong>enfalls doch eher irritierend wirkt: e<strong>in</strong> britischer Land-<br />

wirtschaftsm<strong>in</strong>ister (John Gummer), <strong>der</strong> se<strong>in</strong>e Tochter dazu veranlaßt, vor versammelter Presse<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Hamburger zu beißen. Sobald jedoch klar ist, daß BSE den H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Darstellung<br />

abgibt, ist auch klar, daß es eigentlich weniger um Töchter von M<strong>in</strong>istern o<strong>der</strong> Hamburger<br />

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nur e<strong>in</strong>es demonstrieren sollte: Ke<strong>in</strong>e Gefahr für die Verbraucher durch BSE – und deshalb<br />

auch ke<strong>in</strong> Verschulden <strong>der</strong> <strong>Politik</strong>. Erst <strong>der</strong> Kontext <strong>der</strong> politischen Darstellung verweist also<br />

auf ihren +taktischen* Charakter und läßt die <strong>der</strong> Darstellung, dem dramaturgischen politischen<br />

+Text*, implizite Botschaft hervortreten (vgl. auch Edelman: Construct<strong>in</strong>g the Political Spectacle;<br />

Kap. 7). In <strong>der</strong> Dramaturgie des Symbolakts werden gleichzeitig Fragen gestellt und Antworten<br />

gegeben. Bezogen auf das obige Beispiel lauten sie: Würde e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>ister, <strong>der</strong> me<strong>in</strong>t (o<strong>der</strong><br />

gar weiß), daß BSE e<strong>in</strong>e reale Gefahr für das Leben <strong>der</strong> Briten darstellt, se<strong>in</strong>e eigene Tochter<br />

(und sich selbst) e<strong>in</strong>em Ansteckungsrisiko aussetzen? – Wohl kaum! Diese affirmative +Message*<br />

ist es, die die <strong>Politik</strong> im Kontext von BSE mit solchen symbolischen Akten vermitteln will,<br />

die die Medien transportieren und die das Publikum aufnimmt.<br />

Und doch, letztendlich ist allen bewußt: Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Inszenierung. Denn wie<br />

bereits dargelegt wurde, besteht im Bereich des öffentlichen Handelns e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Aufrichtig-<br />

keitserwartung und damit e<strong>in</strong>e von vorne here<strong>in</strong> kritischere E<strong>in</strong>stellung des Publikums gegenüber<br />

den Darstellungen <strong>der</strong> Akteure als im Privatbereich (siehe S. 157ff.). Die sich <strong>in</strong>szenierende<br />

<strong>Politik</strong> hofft nun aber, daß ihr trotz dem bestehenden Bewußtse<strong>in</strong> für den Inszenierungscharakter<br />

ihrer Aktionen geglaubt wird, da man – wohl nicht zu Unrecht – auf die +Macht <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>* 68<br />

vertraut. Die Medien lassen sich, <strong>in</strong>dem sie die Inszenierung ihrerseits <strong>in</strong> Szene setzen, <strong>in</strong>stru-<br />

mentalisieren, weil sie vom +Show-Effekt* <strong>der</strong> politischen Inszenierungen profitieren, und<br />

<strong>in</strong>strumentalisieren so im Gegenzug die <strong>Politik</strong> für ihre (kommerziellen) Interessen, welche<br />

sich schließlich <strong>in</strong> den öffentlichen politischen Inszenierungen an die Medien-Semantik anpaßt.

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