Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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296 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE möglich erscheinen müssen – in Übereinstimmung mit den Beteuerungen der Politik fortgesetzt behauptet, daß keine Gefahr für die Verbraucher durch Rinderprodukte bestünde. Ein besonders augenfälliges (und deshalb mißglücktes) Beispiel für wissenschaftliche Deflexion im Dienst der Politik nennt Barbara Adam: Sie berichtet, wie sich der Vorsitzende des SEAC, Professor Pattison, dadurch unglaubwürdig machte, daß er zunächst (als die britische Regierung erstmals die Möglichkeit einer Übertragung von BSE auf Menschen eingeräumt hatte) von einer möglichen Opferzahl von bis zu 500.000 Personen sprach, er am nächsten Tag jedoch darauf bestand, daß durch die von den offiziellen Stellen getroffenen Maßnahmen das Erkrankungsrisiko minimal sei – was die Vermutung nahe legte, daß sein Meinungswechsel nur aufgrund der Ausübung von Druck zustande gekommen sein konnte (vgl. Timescapes of Modernity; S. 167). Durch das der Öffentlichkeit im Zuge solcher Inkonsistenzen immer stärker bewußte deflexive Zusammenspiel erfolgt zwangsläufig der in Abschnitt 3.3 angesprochene gegenseitige Legiti- mitätsentzug und eine beiderseitige +Trivialisierung* von Politik und Wissenschaft. Damit die Wissenschaft im Kontext von BSE überhaupt noch als Deflexionsressource für die Politik dienen konnte, war es notwendig, die bestehende interpretative Flexibilität, welche die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit in den Augen der Öffentlichkeit unterhöhlt, gewaltsam einzuengen und die Debatte durch Einsatz von Machtmitteln zu schließen. Wissenschaftler, die von der durch die Politik vorgegebenen Linie abweichend dachten, forschten und vor allem sich äußerten, wurden also unter Druck gesetzt oder – sofern sie öffentliche Angestellte waren – in Einzelfällen sogar entlassen. Dafür lassen sich mehrere Beispielfälle anführen. Stephen Dealler, der sich mit seinen oben zitierten Schätzungen unbeliebt gemacht hatte, mußte sein Engagement mit dem Ende seiner Karriere bezahlen. Auch der Mikrobiologe Harash Narang, der sich mit der Entwicklung eines BSE-Unrintests befaßt hatte, wurde von seinem Dienst bei den staatlichen 66 +Public Health Service Laboratories* suspendiert (vgl. Martin: The Mad Cow Deceit). Selbst in Deutschland hat es ähnlich gelagerte Fälle gegeben. So wurde eine Schlachthoftierärztin, die verschiedene BSE-Verdachtsfälle diagnostiziert hatte, zuerst auf Unterlassung und Schadens- ersatz vom Schlachthofbetreiber verklagt. Schließlich wurde sie von ihrem Arbeitgeber (dem Kreis Segeberg) wegen angeblichen Fehlverhaltens fristlos entlassen (vgl. Köster-Lösche: Rinder- wahnsinn; S. 109f.). All die oben genannten Deflexionsmaßnahmen unter Ausnutzung wissenschaftlich-technischer Ressourcen (sowie die im folgenden Abschnitt thematisierten öffentlichen Inszenierungen
KAP. 4: DER FALL +BSE* 297 der Politik) sollten das reflexive Protestpotential ablenken, das durch BSE freigesetzt wurde. Allerdings war dieses im Fall von BSE von vorne herein nur sehr begrenzt. Dagegen spricht auch nicht die in der Tat meßbare Reaktion der Verbraucher. Denn selbst wo diese +verschreckt* wurden und sich den Angeboten der Rindfleischindustrie entzogen, wurde meist nur auf andere Fleischsorten +ausgewichen*. So stieg in Großbritannien infolge der BSE-Ängste der Absatz von Schweine- und Lammfleisch an, und schon nach kurzer Zeit war eine +Normalisierung* 67 auch beim Rindfleischkonsum festzustellen. Diese +gemäßigte* Reaktion der Verbraucher ist meines Erachtens aber nur begrenzt auf den Erfolg der politischen Deflexionsversuche zurückzuführen. Der Fleischverzehr, der an sich Ausdruck eines problematischen instrumentellen Umgangs mit anderen Lebewesen ist und (so +exzessiv* wie er betrieben wird) überdies eine +inhumane* Massentierhaltung erfordert, stellt in der britischen und auch der kontinentalen Kultur eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit dar, und speziell Rindfleisch hat in Groß- britannien eine hohe (nationale) symbolische Bedeutung (siehe auch Abschnitt 4.5). Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist zudem zu träge, ihre Gewohnheiten grundlegend zu ändern, und man geht lieber ein Risiko ein, so lange dieses nicht konkret und faßbar ist, d.h. wenn nicht wirklich klar ist, daß das tägliche Stück Fleisch auf dem Teller nicht nur für das Schlachtvieh, sondern auch für den Esser tödlich ist. Abgestützt wird diese Trägheit der Konsumenten durch das enorme +Momentum* der Rindfleischindustrie. Die eher hilflosen Deflexionsversuche hätten also vielleicht, wenn man sich auf die Seite der institutionalisierten Politik stellt, lieber gleich ganz unterlassen bleiben sollen. Anstatt durch allzu durchsichtige Manöver die eigene Legitimität zu untergraben, wäre es klüger gewesen, auf die Selbstbegrenzung der Reflexivität durch bestehende Trägheitsmomente zu bauen. 4.4 MEDIALE ASPEKTE DES POLITISCHEN BSE-DRAMAS Was bewog – ausgerechnet – einen britischen Landwirtschaftsminister dazu, seine Tochter vor laufenden Kameras mit einer amerikanischen Fast-Food-Spezialität zu +beglücken*, die irreführender Weise +Hamburger* genannt wird – obwohl doch die +Güte* solcher Kost im allgemeinen eher bezweifelt wird und ein +echter* Brite sich im besonderen schon aus Patriotismus derlei eher +unbritischen* Gaumenfreuden verweigern müßte? Und was bewog andererseits die Tochter jenes britischen Landwirtschaftsministers dazu, diesen Hamburger
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möglich ersche<strong>in</strong>en müssen – <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit den Beteuerungen <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> fortgesetzt<br />
behauptet, daß ke<strong>in</strong>e Gefahr für die Verbraucher durch R<strong>in</strong><strong>der</strong>produkte bestünde. E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
augenfälliges (und deshalb mißglücktes) Beispiel für wissenschaftliche Deflexion im Dienst<br />
<strong>der</strong> <strong>Politik</strong> nennt Barbara Adam: Sie berichtet, wie sich <strong>der</strong> Vorsitzende des SEAC, Professor<br />
Pattison, dadurch unglaubwürdig machte, daß er zunächst (als die britische Regierung erstmals<br />
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Durch das <strong>der</strong> Öffentlichkeit im Zuge solcher Inkonsistenzen immer stärker bewußte deflexive<br />
Zusammenspiel erfolgt zwangsläufig <strong>der</strong> <strong>in</strong> Abschnitt 3.3 angesprochene gegenseitige Legiti-<br />
mitätsentzug und e<strong>in</strong>e bei<strong>der</strong>seitige +Trivialisierung* von <strong>Politik</strong> und Wissenschaft. Damit die<br />
Wissenschaft im Kontext von BSE überhaupt noch als Deflexionsressource für die <strong>Politik</strong> dienen<br />
konnte, war es notwendig, die bestehende <strong>in</strong>terpretative Flexibilität, welche die wissenschaftliche<br />
Glaubwürdigkeit <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> Öffentlichkeit unterhöhlt, gewaltsam e<strong>in</strong>zuengen und die<br />
Debatte durch E<strong>in</strong>satz von Machtmitteln zu schließen. Wissenschaftler, die von <strong>der</strong> durch<br />
die <strong>Politik</strong> vorgegebenen L<strong>in</strong>ie abweichend dachten, forschten und vor allem sich äußerten,<br />
wurden also unter Druck gesetzt o<strong>der</strong> – sofern sie öffentliche Angestellte waren – <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen<br />
sogar entlassen. Dafür lassen sich mehrere Beispielfälle anführen. Stephen Dealler, <strong>der</strong> sich<br />
mit se<strong>in</strong>en oben zitierten Schätzungen unbeliebt gemacht hatte, mußte se<strong>in</strong> Engagement mit<br />
dem Ende se<strong>in</strong>er Karriere bezahlen. Auch <strong>der</strong> Mikrobiologe Harash Narang, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong><br />
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66<br />
+Public Health Service Laboratories* suspendiert (vgl. Mart<strong>in</strong>: The Mad Cow Deceit). Selbst<br />
<strong>in</strong> Deutschland hat es ähnlich gelagerte Fälle gegeben. So wurde e<strong>in</strong>e Schlachthoftierärzt<strong>in</strong>,<br />
die verschiedene BSE-Verdachtsfälle diagnostiziert hatte, zuerst auf Unterlassung und Schadens-<br />
ersatz vom Schlachthofbetreiber verklagt. Schließlich wurde sie von ihrem Arbeitgeber (dem<br />
Kreis Segeberg) wegen angeblichen Fehlverhaltens fristlos entlassen (vgl. Köster-Lösche: R<strong>in</strong><strong>der</strong>-<br />
wahns<strong>in</strong>n; S. 109f.).<br />
All die oben genannten Deflexionsmaßnahmen unter Ausnutzung wissenschaftlich-technischer<br />
Ressourcen (sowie die im folgenden Abschnitt thematisierten öffentlichen Inszenierungen