Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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290 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Das BSE-Problem wurde, wie schon oben anklang, durch eine ganze Reihe von rechtlichen Eingriffen politisch bearbeitet. Dabei verließ man sich zur Informationsbeschaffung, zur Durch- führung der beschlossenen Maßnahmen und zu deren Überwachung auf bestehende Institutionen wie das +Department for Animal Health* des MAFF und andere Regierungsorgane. Alleine beratenden Charakter hatten dagegen das Southwood-Komitee sowie das SEAC (siehe S. 274ff.). Im Kontext des politischen Managements der BSE-Krise spielten diese +unabhängigen* wissenschaftlichen, ad hoc geschaffenen Gremien also nur eine eher passive, keine aktiv inter- venierende Rolle und waren primär im Kontext der wissenschaftlichen Deflexion der durch BSE ausgelösten Verbraucherängste relevant (siehe Abschnitt 4.3). Was den Modus der rechtlichen Interventionen durch die Politik im Kontext von BSE betrifft, so handelt(e) es sich fast ausschließlich um exekutive Verordnungen und nicht um (legislativer Beschlußfassung unterliegende) Gesetze – die institutionell-rechtliche Handhabung der BSE-Krise lief sozusagen am Parlament (und damit am +Souverän* bzw. dessen gewählter Vertretung) vorbei. Das ist zwar nicht weiter verwunderlich, denn erstens mußte in einigen Fällen aufgrund aktueller Entwicklungen relativ schnell reagiert werden (was ein formales Gesetzgebungsverfahren rein zeitlich ausschloß), und zweitens existierten gesetzliche Grundlagen wie der +Animal Health Act* von 1981, der dem MAFF sehr weitreichende Befugnisse einräumt, auf welche die exekutiven Verordnungen gestützt waren (vgl. hierzu auch Fulbrook: Legal Implications; S. 9f.). Es zeigt sich allerdings hierin deutlich, welche zentrale, um nicht zu sagen +über- gewichtige* Bedeutung der Exekutive in der politischen Praxis (vor allem in akuten Situationen) zufällt, die nicht nur in Wirklichkeit hinter den meisten vom Parlament beschlossenen Gesetzen steckt, sondern auch mit der ihr +übertragenen* Aufgabe der Gesetzesdurchführung eine große Gestaltungsmacht besitzt (siehe hierzu auch S. 235). Da BSE (durch die Tiermehl-, Rinder- und Fleischexporte) aber kein ausschließlich britisches Problem war (und ist), wurde die britische Regierung bei dem von ihr eingeschlagenen Weg des Krisenmanagements durch externe Interventionen und Regelungsversuche +gestört*: Nicht nur andere Staaten sahen sich durch die drohende Ausbreitung von BSE auf ihr Territorium sowie eine mögliche Gefährdung ihrer heimischen Verbraucher zum Handeln gezwungen, sondern auch die EG- bzw. EU-Organe nahmen sich nach anfänglichem Zögern der Sache an. Es lassen sich demzufolge im Zusammenhang der politisch-rechtlichen Regulation der BSE-Krise nationale (und hier innerbritische und außerbritische) von transnationalen Verordnungen

KAP. 4: DER FALL +BSE* 291 unterscheiden. Beispiele für die erste Kategorie sind das Tiermehlverfütterungsverbot vom Juli 1988 oder die (nur kurze Zeit wirksamen) Einfuhrverbote für britisches Rindfleisch durch die Bundesrepublik, Italien und Frankreich vom November 1989. Letzere wurden, wie erwähnt, auf Druck der britischen Regierung aufgehoben, da im europäischen Integrationsraum nur solche Regelungen Gültigkeit haben, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen. Die europäischen Verträge sehen nun allerdings Freizügigkeit im Warenverkehr vor (was erst recht seit den Beschlüssen von Maastricht gilt), und diese Freizügigkeit kann nur unter sehr restriktiven Bedingungen eingeschränkt werden – z.B. wenn durch den freien Warenhandel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der Gesundheit von Menschen oder Tieren in einem Mitgliedsstaat besteht (vgl. Upson: The Beef Crisis – Free Trade Issues in European Law). Die britische Regierung konnte sich, wie gesagt, mit ihrer Auffassung durchsetzten, daß die Importverbote durch Deutschland, Italien und Frankreich unangemessen waren und keine tatsächliche Gefahr durch das britische Rindfleisch ausging, so daß diese im Juni 1990 für ungültig erklärt wurden. Mit einer sehr eingeschränkten europaweiten Regelung wurde jedoch kurz darauf ein +Kompromiß* gefunden: Im Juli 1990 einigte man sich darauf, daß nur entbeintes sowie von sichtbarem Lymph- und Nervengewebe befreites britisches Rindfleisch uneingeschränkt im gemeinsamen Markt verkauft werden durfte, sofern es aus BSE-Betrieben stammte (für den Handel mit Fleisch aus +BSE-freien* Betrieben gab es keine Einschränkungen). Diese erste transnationale BSE-Verordnung diente also offensichtlich nicht dem Verbraucherschutz, sondern hatte rein deflexiv-praxologischen Charakter: Ihre inhaltlichen Bestimmungen waren so +schwach*, daß nur eine symbolische Ausstrahlung von ihr ausging. Dagegen stellte das Tiermehlverfütterungsverbot eine tatsächliche abwehrende politisch-rechtliche Deflexion des BSE-Risikos dar (allerdings nur, sofern man sich der dominierenden These einer Übertragung von Scrapie auf die Rinder durch verseuchtes Tiermehl anschließt). Es bietet sich damit eine weitere Unterscheidungsdimension an: nämlich ob die getroffenen Regelungen nur der einfachen (praxologischen) Deflexion (d.h. einer rein symbolischen Ablenkung der Gefahren) oder einer tatsächlichen Abwehr des Risikos (mit deflexiven Maßnahmen gemäß 63 dem Modell eines Effizienz-orientierten technokratischen Krisenmanagements) dienten. Auch bezüglich der Inhalte der getroffenen Verordnungen läßt sich differenzieren: Die auf nationaler und transnationaler Ebene eingeführten Meldepflichten beispielsweise (siehe S. 274f.) dienten

KAP. 4: DER FALL +BSE* 291<br />

unterscheiden. Beispiele für die erste Kategorie s<strong>in</strong>d das Tiermehlverfütterungsverbot vom<br />

Juli 1988 o<strong>der</strong> die (nur kurze Zeit wirksamen) E<strong>in</strong>fuhrverbote für britisches R<strong>in</strong>dfleisch durch<br />

die Bundesrepublik, Italien und Frankreich vom November 1989. Letzere wurden, wie erwähnt,<br />

auf Druck <strong>der</strong> britischen Regierung aufgehoben, da im europäischen Integrationsraum nur<br />

solche Regelungen Gültigkeit haben, die mit dem Geme<strong>in</strong>schaftsrecht <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang stehen.<br />

Die europäischen Verträge sehen nun allerd<strong>in</strong>gs Freizügigkeit im Warenverkehr vor (was erst<br />

recht seit den Beschlüssen von Maastricht gilt), und diese Freizügigkeit kann nur unter sehr<br />

restriktiven Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>geschränkt werden – z.B. wenn durch den freien Warenhandel<br />

e<strong>in</strong>e Gefährdung <strong>der</strong> öffentlichen Sicherheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesundheit von Menschen o<strong>der</strong> Tieren<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mitgliedsstaat besteht (vgl. Upson: The Beef Crisis – Free Trade Issues <strong>in</strong> European<br />

Law).<br />

Die britische Regierung konnte sich, wie gesagt, mit ihrer Auffassung durchsetzten, daß die<br />

Importverbote durch Deutschland, Italien und Frankreich unangemessen waren und ke<strong>in</strong>e<br />

tatsächliche Gefahr durch das britische R<strong>in</strong>dfleisch ausg<strong>in</strong>g, so daß diese im Juni 1990 für<br />

ungültig erklärt wurden. Mit e<strong>in</strong>er sehr e<strong>in</strong>geschränkten europaweiten Regelung wurde jedoch<br />

kurz darauf e<strong>in</strong> +Kompromiß* gefunden: Im Juli 1990 e<strong>in</strong>igte man sich darauf, daß nur entbe<strong>in</strong>tes<br />

sowie von sichtbarem Lymph- und Nervengewebe befreites britisches R<strong>in</strong>dfleisch une<strong>in</strong>geschränkt<br />

im geme<strong>in</strong>samen Markt verkauft werden durfte, sofern es aus BSE-Betrieben stammte (für<br />

den Handel mit Fleisch aus +BSE-freien* Betrieben gab es ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkungen). Diese<br />

erste transnationale BSE-Verordnung diente also offensichtlich nicht dem Verbraucherschutz,<br />

son<strong>der</strong>n hatte re<strong>in</strong> deflexiv-praxologischen Charakter: Ihre <strong>in</strong>haltlichen Bestimmungen waren<br />

so +schwach*, daß nur e<strong>in</strong>e symbolische Ausstrahlung von ihr ausg<strong>in</strong>g. Dagegen stellte das<br />

Tiermehlverfütterungsverbot e<strong>in</strong>e tatsächliche abwehrende politisch-rechtliche Deflexion des<br />

BSE-Risikos dar (allerd<strong>in</strong>gs nur, sofern man sich <strong>der</strong> dom<strong>in</strong>ierenden These e<strong>in</strong>er Übertragung<br />

von Scrapie auf die R<strong>in</strong><strong>der</strong> durch verseuchtes Tiermehl anschließt).<br />

Es bietet sich damit e<strong>in</strong>e weitere Unterscheidungsdimension an: nämlich ob die getroffenen<br />

Regelungen nur <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fachen (praxologischen) Deflexion (d.h. e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong> symbolischen Ablenkung<br />

<strong>der</strong> Gefahren) o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er tatsächlichen Abwehr des Risikos (mit deflexiven Maßnahmen gemäß<br />

63<br />

dem Modell e<strong>in</strong>es Effizienz-orientierten technokratischen Krisenmanagements) dienten. Auch<br />

bezüglich <strong>der</strong> Inhalte <strong>der</strong> getroffenen Verordnungen läßt sich differenzieren: Die auf nationaler<br />

und transnationaler Ebene e<strong>in</strong>geführten Meldepflichten beispielsweise (siehe S. 274f.) dienten

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