Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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288 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE ist (vgl. Krönig: Ohne Sinn und Verstand). Viele Stimmen, vor allem aus anderen EU-Staaten, plädierten sogar für eine Vernichtung des gesamten Bestands, und auch Großbritanniens ehemaliger Gesundheitsminister Dorrell sprach sich dafür aus, falls die CJK-Fälle ansteigen sollten (vgl. Hacker: Stichwort BSE; S. 87). Doch die Vernichtungsaktion (egal wie weit sie letztendlich ausgreifen wird) ist, wie gesagt, eher eine politische Willensdemonstration, als 58 daß sie zur BSE-Bekämpfung effektiv wäre. Denn wenn eine Gefährdung der Verbraucher durch Rindfleisch gegeben ist, dann durch das bereits in den 80er Jahren verzehrte, als die Seuche unter den Rindern noch weit verbreitet war und das Fleisch relativ frei in den Handel gelangte. Die nachträgliche Massenschlachtung, die zudem große organisatorische Probleme aufwirft (denn es sind nicht genügend +Vernichtungskapazitäten* vorhanden), ist also eine weitgehend überflüssige Aktion, die nur als politischer Symbolakt eine gewisse Logik offenbart: Die Politik will sich mit dem Blut der Rinder reinwaschen, wobei sich dieses +rituelle Opfer* allerdings sich in ein technokratisches Gewand verhüllt. Um sich auf diese fragwürdige Weise politisch zu entlasten, scheut man auch nicht die immensen Kosten von fast 8 Milliarden DM, welche die EU zu 70% tragen wird (vgl. ebd.; S. 89). 59 Doch was sagt uns dieses Beispiel konkret über das durch Globalisierungsprozesse ausgelöste ökonomische Dilemma des nationalen Wohlfahrtsstaats? Denn schließlich sollen hier die in Kapitel 3 theoretisch dargelegten Dilemmata anhand des Falls +BSE* plastisch veranschaulicht werden. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß es natürlich weniger die in Abschnitt 3.1 herausgearbeitete, durch die Konkurrenz der Staaten um das globale Kapital bewirkte Unter- minierung des Sozialstaates ist, die im Kontext von BSE zutage tritt. Die nationale Wohlfahrt erscheint durch BSE auf eine andere, jedoch kaum weniger fatale Weise bedroht: Wenn sich BSE durch Fleischverzehr auf den Menschen übertragen lassen sollte, so wäre dies nicht 60 nur in Großbritannien eine Gefahr für die +Volksgesundheit*, sondern auch überall dort, wohin britisches Rindfleisch in größeren Mengen exportiert wurde – also vor allem Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten (siehe Anmerkung 53). Der freie (regionale) Markt hätte diesen Staaten damit sehr hohe Kosten aufgebürdet. Sie müßten sich nicht nur als EU-Mitglieder 61 an den Massenschlachtungen in Großbritannien finanziell beteiligen, sondern hätten die (sozialen wie ökonomischen) Folgen der zu erwartenden stark vermehrten CJK-Erkrankungen zu tragen. Eine schon jetzt reale Auswirkung der britischen BSE-Krise ist aber das Absinken
KAP. 4: DER FALL +BSE* 289 des Rindfleischkonsums auch in vielen Nachbarstaaten und damit eine Schädigung der dortigen Fleischindustrie. Das Beispiel BSE zeigt also deutlich, wie in einer regional und erst recht in einer global vernetzten Ökonomie lokal getroffene politische Entscheidungen (wie beispiels- weise die Herabsetzung der Verarbeitungsstandards bei der Tierkörperverwertung in Groß- britannien) große Effekte auch auf das internationale politische Umfeld haben können – welches auf diese Entscheidungen keinen Einfluß hat. Solche auf nationaler und lokaler Ebene getroffenen politischen Entscheidungen werden allerdings unter den Bedingungen ökonomischer Globalisierung häufig gerade mit Blick auf den globalen Markt getroffen. Denn in der Verfolgung der von ihr bevorzugten nationalen Strategie ist die nationalstaatliche Politik schließlich primär darauf bedacht, dem Kapital möglichst günstige Rahmenbedingungen zu verschaffen, um es an das eigene Territorium zu binden. Die potentiell enormen +gesellschaftlichen Kosten* werden – wie sich im Fall von BSE klar zeigte – bei dieser Rechnung selten einkalkuliert. Es droht auf diese Weise durch Prozesse ökonomischer Globali- sierung und die von der Politik verfolgte nationale Strategie nicht nur eine Polarisierung der Gesellschaft und die Unterminierung des Wohlfahrtsstaates, sondern auch die verstärkte 62 Umwälzung der Produktionsrisiken auf die globale Gemeinschaft. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wären, wie im Expansionsmodell der Politik gefordert, Anstrengungen zu einer verstärkten internationalen Verregelung (siehe zurück zu S. 216f.) – wobei der folgende Abschnitt jedoch nochmals verdeutlichen wird, daß jede Regulation an sich ambivalent und risikobehaftet ist. 4.2 RECHTLICHE ASPEKTE DES BSE-DRAMAS In Abschnitt 3.2 wurde dargelegt, daß +Recht* und der Rückgriff auf Rechtsverfahren eine zweischneidige Ressource für die Politik darstellt. Einerseits erlaubt die Übersetzung von politischen in juristische Diskurse die Deflexion (inner)politischer Konflikte. Andererseits drohen durch Verrechtlichungsprozesse eine institutionelle Erstarrung und Entfremdungserscheinungen. Zudem beinhaltet jede Regulation, wie bereits oben angemerkt wurde, ein Risiko, da rechtliche Intervention schließlich einen Eingriff in (lebenweltliche und systemische) Handlungszusam- menhänge darstellt und somit positive, aber auch negative Folgen haben kann. Letzteres wird anhand der politisch-rechtlichen Regulation der BSE-Krise besonders deutlich:
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ist (vgl. Krönig: Ohne S<strong>in</strong>n und Verstand). Viele Stimmen, vor allem aus an<strong>der</strong>en EU-Staaten,<br />
plädierten sogar für e<strong>in</strong>e Vernichtung des gesamten Bestands, und auch Großbritanniens<br />
ehemaliger Gesundheitsm<strong>in</strong>ister Dorrell sprach sich dafür aus, falls die CJK-Fälle ansteigen<br />
sollten (vgl. Hacker: Stichwort BSE; S. 87). Doch die Vernichtungsaktion (egal wie weit sie<br />
letztendlich ausgreifen wird) ist, wie gesagt, eher e<strong>in</strong>e politische Willensdemonstration, als<br />
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daß sie zur BSE-Bekämpfung effektiv wäre. Denn wenn e<strong>in</strong>e Gefährdung <strong>der</strong> Verbraucher<br />
durch R<strong>in</strong>dfleisch gegeben ist, dann durch das bereits <strong>in</strong> den 80er Jahren verzehrte, als die<br />
Seuche unter den R<strong>in</strong><strong>der</strong>n noch weit verbreitet war und das Fleisch relativ frei <strong>in</strong> den Handel<br />
gelangte. Die nachträgliche Massenschlachtung, die zudem große organisatorische Probleme<br />
aufwirft (denn es s<strong>in</strong>d nicht genügend +Vernichtungskapazitäten* vorhanden), ist also e<strong>in</strong>e<br />
weitgehend überflüssige Aktion, die nur als politischer Symbolakt e<strong>in</strong>e gewisse Logik offenbart:<br />
Die <strong>Politik</strong> will sich mit dem Blut <strong>der</strong> R<strong>in</strong><strong>der</strong> re<strong>in</strong>waschen, wobei sich dieses +rituelle Opfer*<br />
allerd<strong>in</strong>gs sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> technokratisches Gewand verhüllt. Um sich auf diese fragwürdige Weise<br />
politisch zu entlasten, scheut man auch nicht die immensen Kosten von fast 8 Milliarden<br />
DM, welche die EU zu 70% tragen wird (vgl. ebd.; S. 89). 59<br />
Doch was sagt uns dieses Beispiel konkret über das durch Globalisierungsprozesse ausgelöste<br />
ökonomische Dilemma des nationalen Wohlfahrtsstaats? Denn schließlich sollen hier die <strong>in</strong><br />
Kapitel 3 theoretisch dargelegten Dilemmata anhand des Falls +BSE* plastisch veranschaulicht<br />
werden. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß es natürlich weniger die <strong>in</strong> Abschnitt 3.1<br />
herausgearbeitete, durch die Konkurrenz <strong>der</strong> Staaten um das globale Kapital bewirkte Unter-<br />
m<strong>in</strong>ierung des Sozialstaates ist, die im Kontext von BSE zutage tritt. Die nationale Wohlfahrt<br />
ersche<strong>in</strong>t durch BSE auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, jedoch kaum weniger <strong>fatal</strong>e Weise bedroht: Wenn<br />
sich BSE durch Fleischverzehr auf den Menschen übertragen lassen sollte, so wäre dies nicht<br />
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nur <strong>in</strong> Großbritannien e<strong>in</strong>e Gefahr für die +Volksgesundheit*, son<strong>der</strong>n auch überall dort,<br />
woh<strong>in</strong> britisches R<strong>in</strong>dfleisch <strong>in</strong> größeren Mengen exportiert wurde – also vor allem Frankreich,<br />
Italien und die Beneluxstaaten (siehe Anmerkung 53). Der freie (regionale) Markt hätte diesen<br />
Staaten damit sehr hohe Kosten aufgebürdet. Sie müßten sich nicht nur als EU-Mitglie<strong>der</strong><br />
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an den Massenschlachtungen <strong>in</strong> Großbritannien f<strong>in</strong>anziell beteiligen, son<strong>der</strong>n hätten die<br />
(sozialen wie ökonomischen) Folgen <strong>der</strong> zu erwartenden stark vermehrten CJK-Erkrankungen<br />
zu tragen. E<strong>in</strong>e schon jetzt reale Auswirkung <strong>der</strong> britischen BSE-Krise ist aber das Abs<strong>in</strong>ken