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Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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ENTRÉE DISCURSIVE: POSTMODERNE – ENDE ODER VOLLENDUNG DER MODERNE? XXXV<br />

die von ihm selbst geschaffene Kultur thematisiert, <strong>in</strong> wesentlichen Elementen auf Freud aufbaut:<br />

Es handelt sich um Norbert Elias’ groß angelegte soziogenetische und psychogenetische Unter-<br />

suchung +Über den Prozeß <strong>der</strong> Zivilisation* (1939). 45<br />

An vielen e<strong>in</strong>drücklichen Beispielen (vor allem <strong>in</strong> Band 1) schil<strong>der</strong>t Elias, wie es im Verlauf<br />

<strong>der</strong> (europäischen) Geschichte zu e<strong>in</strong>er immer weitreichen<strong>der</strong>en Zivilisierung <strong>der</strong> menschlichen<br />

Affekte kam (vgl. Band 2; 369ff.), wie die Scham- und Pe<strong>in</strong>lichkeitsgrenzen angehoben wurden<br />

(vgl. ebd.; S. 397ff.) und sich <strong>der</strong> +Fremdzwang* zum zivilisierten Umgang mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> immer<br />

mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en +Selbstzwang* verwandelte (vgl. ebd.; S. 312ff.), also ganz im S<strong>in</strong>ne Freuds<br />

e<strong>in</strong>e Internalisierung kultureller Ansprüche stattfand. Ausgelöst wurde diese Dynamik durch<br />

e<strong>in</strong>en ab dem späten Mittelalter e<strong>in</strong>setzenden Wandlungsprozeß: Bevölkerungswachstum,<br />

Aufschwung des Fernhandels und Geldwirtschaft (vgl. ebd.; Erster Teil) führten zu e<strong>in</strong>er Diffe-<br />

renzierung und Komplexitätssteigerung des gesellschaftlichen Lebens: Die +Interdependenzketten*<br />

wurden länger, und damit war auch e<strong>in</strong> höheres Maß an vorausschauen<strong>der</strong> Planung notwendig,<br />

was Elias als Zwang zur +Langsicht* bezeichnet (vgl. ebd.; S. 336ff.).<br />

Noch bedeuten<strong>der</strong> waren jedoch die damit e<strong>in</strong>hergehende Monopolisierung <strong>der</strong> staatlichen<br />

Gewalt und die Zentralisierung <strong>der</strong> Herrschaft: Die ritterlich-höfische Ordnung g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

höfisch-absolutistische Ordnung über, und die rauhen Sitten <strong>der</strong> Burgherren, die früher alle<strong>in</strong>e<br />

an ihre ritterliche Ehre (courtoisie) gebunden waren, mußten sich am zentralen Königshof<br />

den verfe<strong>in</strong>erten Standards <strong>der</strong> +civilité* anpassen. Diese immer elaborierter werdenden höfischen<br />

Verhaltensregeln, die als Mittel zur Dist<strong>in</strong>ktion gegenüber dem +geme<strong>in</strong>en* Volk dienten,<br />

wurden mit <strong>der</strong> Emanzipation des Bürgertums von diesem zum großen Teil übernommen<br />

– <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Zivilisation verlief also von oben nach unten. 46<br />

Aber die Zivilisierung des Menschen hat (wie bei Freud) auch bei Elias ihren Preis: Sie besteht<br />

im problematischen Zwang zur Unterdrückung <strong>der</strong> Affekte, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Spannung erzeugt, die<br />

sich nicht nur <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuellen Neurosen, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> gesellschaftlichen Kämpfen entladen<br />

kann (vgl. ebd.; S. 447ff.). Doch Elias ist weit weniger pessimistisch als Freud und stellt e<strong>in</strong>e<br />

Utopie ans Ende se<strong>in</strong>er Ausführungen: nämlich, daß es e<strong>in</strong>es Tages möglich se<strong>in</strong> wird, +daß<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Mensch jenes optimale Gleichgewicht se<strong>in</strong>er Seele f<strong>in</strong>det, das wir so oft mit<br />

großen Worten, wie ›Glück‹ und ›Freiheit‹ beschwören: […] den E<strong>in</strong>klang zwischen […] den<br />

gesamten Anfor<strong>der</strong>ungen se<strong>in</strong>er sozialen Existenz auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Seite und se<strong>in</strong>en persönlichen<br />

Neigungen und Bedürfnissen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en* (ebd.; S. 454).

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