Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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266 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE wie (allerdings eher diffuse) anomische, aggressive Reaktionen. Daneben besteht aber meines Erachtens auch die Möglichkeit, daß sich die Individuen verstärkt subpolitisch mobilisieren – gerade als Gegenreaktion auf die ökonomische Einschränkung der lieb gewonnenen Individu- alisierungsfreiräume sowie ausgelöst durch die in Kapitel 2 dargestellten Transformationsprozesse 91 und in die in den vorangegangen Abschnitten herausgearbeitete Ambivalenz der politischen Deflexionsversuche. Allerdings dürfte voraussichtlich nur eine kleine Minderheit auf letztere Weise reagieren, denn bei diesen +Verstärkt-Mobilisierten* muß sich ein hohes Bewußtsein für die Problematik der eigenen Lage und die +Reflexivität* des Modernisierungsprozesses mit einer tief verankerten +neuen Sozialmoral* verbinden, so daß tatsächlich Handlungsimpulse freigesetzt werden. Beides zugleich kann aber alleine aufgrund der Tatsache der immer noch geringen Verbreitung von postmateriellen Werten nur auf sehr wenige zutreffen (siehe nochmals S. 193f.). Die Lücke, die sich im institutionellen System auftut, kann deshalb wahrscheinlich nicht subpolitisch aufgefüllt werden (das wäre nur vorstellbar, wenn die materielle Basis des Individualisierungs- prozesses wieder gestärkt würde, was einerseits zwar eine ökonomische Reintegration der Individuen zur Folge hätte, andererseits aber genau mit dem dadurch beförderten Wertewandel 92 die politische Herausforderung für die etablierte Politik möglicherweise erhöhte). Doch mit Subpolitik und ihrer Ambivalenz werde ich mich eingehender erst an späterer Stelle beschäftigen (siehe Abschnitt 5.2). Im folgenden sollen die in diesem Kapitel eher anhand theoretischer Erörterungen dargelegten Dilemmata der institutionellen Politik durch die Analyse des von mir gewählten Fallbeispiels +BSE* plastisch veranschaulicht werden. Deshalb hier nochmals ein kurzes Resümee: • In Abschnitt 3.1 wurde das ökonomische Dilemma des nationalen Wohlfahrtsstaates be- schrieben, das sich aus Globalisierungs- und Tertiärisierungsprozessen in der Wirtschaft ergibt (die in Abschnitt 2.1 deskriptiv dargestellt wurden). Mit der globalen Freizügigkeit und +Flüssig- keit* kann immer weniger Kapital vom Staat zur Umverteilung abgeschöpft werden, und immer weniger Menschen können durch die zunehmende +tertiäre* Rationalisierung in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Politik reagiert auf diese Bedrohung(en) mit einer +nationalen Strategie*, welche die Probleme insgesamt gesehen jedoch eher erhöht als mindert, da sich die Staaten im Wettstreit untereinander gegenseitig unterbieten und so von der Kapitalseite (global betrachtet)

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 267 immer weniger Transfer an die Gesellschaft(en) geleistet werden muß. Dieses Dilemma könnte vielleicht durch eine Expansion, durch eine Transnationalisierung der Politik beseitigt werden – was letztlich auch dem Interesse des Kapitals dienlich wäre, dessen entfesselte Dynamik potentiell nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische und soziale Krisen heraufbeschwört, vor deren Konsequenzen es nur eine starke Politik +schützen* könnte. Doch aufgrund der bereits eingetretenen Schwächung der Politik durch die globalisierten Marktprozesse und aufgrund ihrer systemintern herausgebildeten Handlungslogik, die auf nationalstaatlichen Strukturen aufbaut, werden die Möglichkeiten zu einer transnationalen Regulation von der institutionellen Politik nicht genügend ausgeschöpft (nur im Kontext der EU sind ausgeprägtere Bemühungen in diese Richtung zu beobachten). • In Abschnitt 3.2, in dem das institutionell-rechtliche Dilemma der Politik im Zentrum stand, wurde darauf verwiesen, daß grundsätzlich jede Regulation ein Risiko beinhaltet (und man somit auch die Risikodimension transnationaler Verregelungsprozesse im Auge behalten muß, was anhand meiner fallbezogenen Ausführungen in Abschnitt 4.2 noch deutlich werden wird). Zudem droht mit den in Abschnitt 2.2 aufgezeigten Verrechtlichungsprozessen eine Überlastung und Erstarrung des institutionellen Systems (das sich gerade durch seine in der Verrechtlichungs- logik verbleibenden Anpassungsbemühungen Möglichkeiten zum Wandel entzieht). Dadurch ausgelöst kommt es zu Entfremdungserscheinungen, die wiederum dazu führen können, daß das Legalitätsprinzip der verrechtlichten Politik in einem Legitimitätsentzug für diese endet. Der Legitimitätsentzug kann auch auf das Rechtssystem übergreifen, das umgekehrt einerseits immer mehr gezwungen wird, sich politische Sichtweisen und Fragestellungen zu eigen zu machen, und andererseits auch mit einer lebensweltlichen +Realität* konfrontiert ist, der es +gerecht* werden muß. Die entpolitisierende deflexive Übersetzung von politischen Diskursen in rechtliche ist deshalb sowohl für die Politik wie für das Rechtssystem ambivalent. • In Abschnitt 3.3 (+Das technologisch-wissenschaftliche Dilemma*) wurde in Umkehrung der Argumentation Heideggers darauf verwiesen, daß Technik als dinghaftes +Gestell* die Handlungs- und Denkräume absperrt, die durch eine verinnerlichte instrumentelle (technologisch- wissenschaftliche) Vernunft ohnehin schon genügend eingeschränkt sind. Allerdings führt die +Reflexivität* von Technik zu Gefährdungen, die – wenn sie wahrgenommen werden – anpassende Reaktionen bewirken. Nur haben diese Reaktionen überwiegend deflexiven Charakter, indem sie in der instrumentellen +Techno-Logik* verbleiben und versuchen, technik-

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 267<br />

immer weniger Transfer an die Gesellschaft(en) geleistet werden muß. Dieses Dilemma könnte<br />

vielleicht durch e<strong>in</strong>e Expansion, durch e<strong>in</strong>e Transnationalisierung <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> beseitigt werden<br />

– was letztlich auch dem Interesse des Kapitals dienlich wäre, dessen entfesselte Dynamik<br />

potentiell nicht nur ökonomische, son<strong>der</strong>n auch ökologische und soziale Krisen heraufbeschwört,<br />

vor <strong>der</strong>en Konsequenzen es nur e<strong>in</strong>e starke <strong>Politik</strong> +schützen* könnte. Doch aufgrund <strong>der</strong><br />

bereits e<strong>in</strong>getretenen Schwächung <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> durch die globalisierten Marktprozesse und<br />

aufgrund ihrer system<strong>in</strong>tern herausgebildeten Handlungslogik, die auf nationalstaatlichen<br />

Strukturen aufbaut, werden die Möglichkeiten zu e<strong>in</strong>er transnationalen Regulation von <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>stitutionellen <strong>Politik</strong> nicht genügend ausgeschöpft (nur im Kontext <strong>der</strong> EU s<strong>in</strong>d ausgeprägtere<br />

Bemühungen <strong>in</strong> diese Richtung zu beobachten).<br />

• In Abschnitt 3.2, <strong>in</strong> dem das <strong>in</strong>stitutionell-rechtliche Dilemma <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> im Zentrum stand,<br />

wurde darauf verwiesen, daß grundsätzlich jede Regulation e<strong>in</strong> Risiko be<strong>in</strong>haltet (und man<br />

somit auch die Risikodimension transnationaler Verregelungsprozesse im Auge behalten muß,<br />

was anhand me<strong>in</strong>er fallbezogenen Ausführungen <strong>in</strong> Abschnitt 4.2 noch deutlich werden wird).<br />

Zudem droht mit den <strong>in</strong> Abschnitt 2.2 aufgezeigten Verrechtlichungsprozessen e<strong>in</strong>e Überlastung<br />

und Erstarrung des <strong>in</strong>stitutionellen Systems (das sich gerade durch se<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verrechtlichungs-<br />

logik verbleibenden Anpassungsbemühungen Möglichkeiten zum Wandel entzieht). Dadurch<br />

ausgelöst kommt es zu Entfremdungsersche<strong>in</strong>ungen, die wie<strong>der</strong>um dazu führen können, daß<br />

das Legalitätspr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> verrechtlichten <strong>Politik</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Legitimitätsentzug für diese endet.<br />

Der Legitimitätsentzug kann auch auf das Rechtssystem übergreifen, das umgekehrt e<strong>in</strong>erseits<br />

immer mehr gezwungen wird, sich politische Sichtweisen und Fragestellungen zu eigen zu<br />

machen, und an<strong>der</strong>erseits auch mit e<strong>in</strong>er lebensweltlichen +Realität* konfrontiert ist, <strong>der</strong> es<br />

+gerecht* werden muß. Die entpolitisierende deflexive Übersetzung von politischen Diskursen<br />

<strong>in</strong> rechtliche ist deshalb sowohl für die <strong>Politik</strong> wie für das Rechtssystem ambivalent.<br />

• In Abschnitt 3.3 (+Das technologisch-wissenschaftliche Dilemma*) wurde <strong>in</strong> Umkehrung<br />

<strong>der</strong> Argumentation Heideggers darauf verwiesen, daß Technik als d<strong>in</strong>ghaftes +Gestell* die<br />

Handlungs- und Denkräume absperrt, die durch e<strong>in</strong>e ver<strong>in</strong>nerlichte <strong>in</strong>strumentelle (technologisch-<br />

wissenschaftliche) Vernunft ohneh<strong>in</strong> schon genügend e<strong>in</strong>geschränkt s<strong>in</strong>d. Allerd<strong>in</strong>gs führt die<br />

+Reflexivität* von Technik zu Gefährdungen, die – wenn sie wahrgenommen werden –<br />

anpassende Reaktionen bewirken. Nur haben diese Reaktionen überwiegend deflexiven<br />

Charakter, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentellen +Techno-Logik* verbleiben und versuchen, technik-

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