Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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264 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE vor. Dieser Rahmen wird durch fünf Dimensionen abgesteckt: +Ethnoscapes* (also die bewegte und global vernetzte +Landschaft* der Personen), +Technoscapes* (d.h. die immer schneller sich ausbreitende technologische Struktur), +Financescapes* (d.h. die deterritorialisierten Flüsse des globalen Kapitals), +Mediascapes* (d.h. audio-visuelle Medien und ihre Bild-Inhalte) sowie +Ideoscapes* (d.h. die globale Landschaft der Ideen und Ideologien). Alle diese Dimensionen des globalen Feldes haben sich – obwohl sie natürlich zueinander in Beziehung stehen – zu einem hohen Grad verselbständigt. (Vgl. ebd.; S. 296–303) Aber was bedeutet das für die politische Sphäre? – Auch Appadurai sieht hier Spannungen entstehen. Werte wie +Selbstverwirklichung* und +Demokratie* haben sich (obwohl sie natürlich jeweils an die lokalen Verhältnisse +angepaßt* werden) global verbreitet und treffen auf konkur- 83 rierende lokale Vorstellungswelten. Dies manifestiert sich einerseits in Separatismus, politischen Unruhen und Flüchtlingsbewegungen etc. Andererseits tun sich durch die Unverbundenheit der globalen Flüsse Lücken auf, die für progressive transnationale Allianzen genutzt werden können und die die individuellen Horizonte erweitern (vgl. ebd.; S. 308). Beides kulminiert in einer neuen kulturell-politischen Herausforderung für den Nationalstaat (vgl. auch ebd.; 84 S. 303ff.). Appadurai zeigt also indirekt auf, wie stattfindende Individualisierungsprozesse und das oben herausgestellte Integrationsdefizit der funktional dividierten Nationalstaatsgesell- 85 schaft durch eine globalisierte funktionale Differenzierung zusätzlich verstärkt werden. Es entstehen so zwar neue (nationale wie transnationale) Räume für subpolitische Aktivitäten, doch für die institutionelle Politik zeigt sich immer mehr ein Dilemma: Die auseinanderdrif- tenden, autonomisierten Funktionsbereiche wie die individualisierte politische +Masse* können immer schwieriger im begrenzten, zu eng gewordenen staatlichen +Container* (politisch) zusam- mengehalten, koordiniert und kontrolliert werden. Worin besteht also, um es nach diesem theoretischen Exkurs nochmals auf den Punkt zu bringen, der Kern des politischen Dilemmas der Individualisierung in der +funktional diffe- 86 renzierten Gesellschaft*? – Je komplexer der soziale Zusammenhang wird, je differenzierter sich Gesellschaft darstellt und je größer die individuellen Möglichkeitsräume (sowohl durch soziale Differenzierung selbst wie durch eine Erhöhung des allgemeinen +Wohlstandssockels*) werden, desto mehr hat sich Politik mit der Problematik der Differenz auseinanderzusetzen. Es wird nämlich unter den Bedingen einer kontingenten Sozialordnung (wie ich die +multi- 87 optionale* individualisierte Gesellschaft der Gegenwart umschreiben möchte) fast unmöglich,
KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 265 die Reaktionen des politischen Publikums zu berechnen und politische Einheit durch den 88 Bezug auf gemeinsame +Codes* herzustellen. Genauso wie die sozialen Bereiche ausein- anderfallen – was der Politik die (translatorische) Deflexion von reflexiven Impulsen auf der eine Seite natürlich erleichtert –, fragmentisieren und fraktalisieren sich die Bereiche intern – was (rituell-integrative) Deflexion allerdings verkompliziert: Soziale Differenzierung und die Diffusion der Kultursphäre machen die Lebenswelten undurchsichtig, und in dieser Undurch- sichtigkeit entziehen sie sich immer mehr der Kolonialisierung durch das (politische) System, aber auch die praxologische Einbindung durch legitimitäts- und einheitsstiftende politische Verfahren wie Wahlen wird durch Fragmentisierungsprozesse erschwert (die sogar auf die subjektiven Identitäten übergreifen). 89 Einen (temporären) Ausweg aus diesem Dilemma stellt(e) das Mittel der ästhetisch-symbolischen Integration dar. Wenn man davon ausgeht, daß der formal-ästhetische Aspekt in der (post-)mo- dernen Kultur eine Aufwertung erfahren hat, dann ist es naheliegend, zum Zweck der Herstellung von sozialer und politischer Einheit auf die Bilderwelt der Medienlandschaft (Mediascapes) zu bauen, anstatt auf politische Ideenwelten (Ideoscapes) mit nachlassender gesellschaftlicher 90 +Durchdringung* zu rekurrieren. Doch diese potentiell in Entpolitisierung endende Ästhetisierung und Kulturalisierung der Politik, die umgekehrt allerdings die Kultursphäre (und ihre Inhalte) immer mehr zu einer politischen Kampfszene macht (vgl. auch Münch: Dialektik der Kommuni- kationsgesellschaft; S. 265f. u. S. 302f.), ergibt nur so lange Sinn, wie ein Reservoir an gemein- samen Bilderwelten existiert und politische Inszenierungen auf ein Massenpublikum hoffen können. Die fortschreitende ästhetische Differenzierung (auf der Grundlage der schon oben herausgestellten Pluralisierung der Lebensstile und -welten) und die parallele Aufsplitterung der Medienlandschaft selbst versperrt immer mehr auch diese Möglichkeit für die Politik (worauf bereits im vorangegangenen Abschnitt hingewiesen wurde). Wenn nun auch noch (durch die in Abschnitt 3.1. dargelegten Widersprüche des nationalen Wohlfahrtsstaates) die ökonomische Basis für den ausgelösten Individualisierungsprozeß weg- bricht, +postmaterialistische* Werteorientierungen aber gleichzeitig schon so weit ausgebreitet sind, daß sie nicht einfach dadurch in sich zusammenfallen, so besteht eine doppelte Gefahr für die (institutionalisierte) Politik: Einerseits drohen durch die ausgelöste +Frustration* (wie schon oben unter Verweis auf Abschnitt 2.5 und die dort referierten empirischen Befunde angesprochen) eine auf breiter Ebene stattfindende apathische Abwendung vom +System*
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vor. Dieser Rahmen wird durch fünf Dimensionen abgesteckt: +Ethnoscapes* (also die bewegte<br />
und global vernetzte +Landschaft* <strong>der</strong> Personen), +Technoscapes* (d.h. die immer schneller<br />
sich ausbreitende technologische Struktur), +F<strong>in</strong>ancescapes* (d.h. die deterritorialisierten Flüsse<br />
des globalen Kapitals), +Mediascapes* (d.h. audio-visuelle Medien und ihre Bild-Inhalte) sowie<br />
+Ideoscapes* (d.h. die globale Landschaft <strong>der</strong> Ideen und Ideologien). Alle diese Dimensionen<br />
des globalen Feldes haben sich – obwohl sie natürlich zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung stehen –<br />
zu e<strong>in</strong>em hohen Grad verselbständigt. (Vgl. ebd.; S. 296–303)<br />
Aber was bedeutet das für die politische Sphäre? – Auch Appadurai sieht hier Spannungen<br />
entstehen. Werte wie +Selbstverwirklichung* und +Demokratie* haben sich (obwohl sie natürlich<br />
jeweils an die lokalen Verhältnisse +angepaßt* werden) global verbreitet und treffen auf konkur-<br />
83<br />
rierende lokale Vorstellungswelten. Dies manifestiert sich e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> Separatismus, politischen<br />
Unruhen und Flüchtl<strong>in</strong>gsbewegungen etc. An<strong>der</strong>erseits tun sich durch die Unverbundenheit<br />
<strong>der</strong> globalen Flüsse Lücken auf, die für progressive transnationale Allianzen genutzt werden<br />
können und die die <strong>in</strong>dividuellen Horizonte erweitern (vgl. ebd.; S. 308). Beides kulm<strong>in</strong>iert<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen kulturell-politischen Herausfor<strong>der</strong>ung für den Nationalstaat (vgl. auch ebd.;<br />
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S. 303ff.). Appadurai zeigt also <strong>in</strong>direkt auf, wie stattf<strong>in</strong>dende Individualisierungsprozesse<br />
und das oben herausgestellte Integrationsdefizit <strong>der</strong> funktional dividierten Nationalstaatsgesell-<br />
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schaft durch e<strong>in</strong>e globalisierte funktionale Differenzierung zusätzlich verstärkt werden. Es<br />
entstehen so zwar neue (nationale wie transnationale) Räume für subpolitische Aktivitäten,<br />
doch für die <strong>in</strong>stitutionelle <strong>Politik</strong> zeigt sich immer mehr e<strong>in</strong> Dilemma: Die ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>drif-<br />
tenden, autonomisierten Funktionsbereiche wie die <strong>in</strong>dividualisierte politische +Masse* können<br />
immer schwieriger im begrenzten, zu eng gewordenen staatlichen +Conta<strong>in</strong>er* (politisch) zusam-<br />
mengehalten, koord<strong>in</strong>iert und kontrolliert werden.<br />
Wor<strong>in</strong> besteht also, um es nach diesem theoretischen Exkurs nochmals auf den Punkt zu<br />
br<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong> Kern des politischen Dilemmas <strong>der</strong> Individualisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> +funktional diffe-<br />
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renzierten Gesellschaft*? – Je komplexer <strong>der</strong> soziale Zusammenhang wird, je differenzierter<br />
sich Gesellschaft darstellt und je größer die <strong>in</strong>dividuellen Möglichkeitsräume (sowohl durch<br />
soziale Differenzierung selbst wie durch e<strong>in</strong>e Erhöhung des allgeme<strong>in</strong>en +Wohlstandssockels*)<br />
werden, desto mehr hat sich <strong>Politik</strong> mit <strong>der</strong> Problematik <strong>der</strong> Differenz ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen.<br />
Es wird nämlich unter den Bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er kont<strong>in</strong>genten Sozialordnung (wie ich die +multi-<br />
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optionale* <strong>in</strong>dividualisierte Gesellschaft <strong>der</strong> Gegenwart umschreiben möchte) fast unmöglich,