Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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252 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Will man abschließend ein allgemeines Fazit ziehen, so ergibt sich, daß Wissenschaft und Technik durch deren eigene Widersprüchlichkeit (d.h. die technologische Risikoproduktion und die Selbstaufhebungstendenz der wissenschaftlichen Vernunft) für die Politik zu immer unverläßlicheren Deflexionsressourcen werden. Ihre für die Öffentlichkeit durchsichtige politische Instrumentalisierung verstärkt noch diese Erosion des wissenschaftlich-technischen Defle- xionspotentials, obwohl Wissenschaft andererseits für eine Aufdeckung drohender Gefahren und die Entwicklung von Techniken zu ihrer Kontrolle wiederum +gebraucht* wird. Zudem sind Wissenschaft und Technik durch ihre Allgegenwart praxologisch festgeschrieben, lassen sich also trotz ihrer Ambivalenz keineswegs einfach reflexiv transzendieren, sondern werden durch eine begrenzte Reflexion sogar vielmehr eher stabilisiert. Sie zwingen damit gewissermaßen in eine widersprüchliche Situation hinein, und es entfaltet sich eine möglicherweise fatale Dialektik von Reflexion und Deflexion (siehe dazu auch Abschnitt 5.4). 3.4 DAS DILEMMA VON PRÄSENTATION UND REPRÄSENTATION In Abschnitt 2.4 wurde aufgezeigt, daß das Gelingen von +rechtlicher* und +wissenschaftlicher* Deflexion (mittels der Übersetzung von politischen Diskursen in rechtliche und wissenschaftliche) erheblich von einem Faktor abhängig ist: der öffentlichen Meinung. Diese stellt sich im öffent- lichen Diskurs her, wobei die Massenmedien in der industriellen Massengesellschaften die (notwendigen) Medien dieses Diskurses sind. Politik ist deshalb auf Massen(medien)öffentlichkeit angewiesen, um sich darzustellen. Murray Edelman stellt demgemäß in seiner (bereits dort 62 erwähnten) Schrift +Politik als Ritual* (1964/1971) heraus, daß politische Akte neben ihrer instrumentellen, immer auch eine expressive, symbolische Seite haben, und betont dabei: +Vielleicht kann Politik sogar nur deshalb für einige Leute nüchtern und erfolgbringend sein, weil sie für andere (oder für uns alle?) etwas Zwanghaftes, Mythisches, Emotionales hat. Diese symbolische Seite der Politik verdient unser Interesse; denn wir können uns nur selber erkennen, wenn wir wissen, was wir tun und welche Umwelt uns umgibt und beeinflußt.* (Politik als Ritual; S. 1) Der Ritus und der Mythos sind die beiden wichtigsten, sich gegenseitig ergänzenden und verstärkenden symbolischen Formen. Sie durchdringen unsere nur vordergründig so +versachlicht* erscheinenden politischen Einrichtungen. Durch die politischen Rituale (bzw. Praxologien)

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 253 wird der Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft und der Konformismus gefördert, und die politischen Mythen (oder Ideologien) überdecken und legitimieren die bestehenden sozialen Ungleichheiten (vgl. ebd.; S. 13ff.). Überhaupt wirken Symbole vielfach als Rationalitätsersatz in der Politik (vgl. ebd.; S. 27ff.), denn wie Edelman im Vorwort zur Neuauflage seines Buches von 1990 bemerkt: +Mit der Behauptung, daß politisches Handeln rationale Entscheidungen widerspiegle, maskiert die politische Alltagssprache die Banalität und den ritualhaften Charakter, die den Großteil politischer Äußerungen und Handlungen kennzeichnet* (ebd.; S. XI). Was aber macht Symbole in dieser Hinsicht so wirksam? – Edelman verweist darauf, daß es mit ihrem Gebrauch möglich wird, Inhalte so zu reduzieren, daß sie sich in bestehende Bedeu- tungszusammenhänge einordnen lassen (vgl. ebd.; S. 95). Auf diese Weise können Inhalte und Handlungen im symbolisch-ästhetischen Rekurs auf die +Tradition* legitimiert werden. Die Verpflichtung zu rationaler Begründung entfällt. 63 Thomas Meyer nimmt in seinem (ebenfalls bereits in Abschnitt 2.4 zitierten) Buch +Die Insze- nierung des Scheins* (1992) auf Edelman Bezug. Dort bemerkt er: +Der Schein ist für die Anschauung, was die Ideologie für den Diskurs ist.* (S. 39) Man könnte also, wie ich hiermit vorschlagen möchte, von einer +Optologie* sprechen, die ihre Wirksamkeit der visuellen Fixierung des Menschen verdankt: +Bilder lügen nicht, meint unser Gedächtnis […] Darum ist die Insze- nierung des Scheins der Konstruktion von Ideologien turmhoch überlegen.* (Ebd.; S. 49) Neben dem visuellen, dem +Augenschein* existiert gemäß Meyer allerdings auch +Sprachschein* und +Handlungsschein* (vgl. ebd. S. 39ff.) – gemeint sind politische Wortblasen (ich möchte hier den Begriff +Logologie* vorschlagen) und die schon oben angesprochenen politischen Rituale (Praxologien). 64 Diese +Politik des Scheins* muß in der komplexen, +funktional differenzierten* Gesellschaft notwendig immer bedeutender werden, da die wachsende Komplexität das tatsächliche und umfassende Verstehen der politischen und sozialen Zusammenhänge zunehmend unmöglich macht – das, so Meyer, ist zumindest die Argumentation +funktionalistischer* Autoren (vgl. ebd.; S. 58ff. und siehe auch Abschnitt 2.4). Selbst eher +kritische* Wissenschaftler lassen sich auf ähnliche Argumentationen ein (vgl. z.B. Peters: Der Sinn von Öffentlichkeit und siehe 65 hier S. 172). Meyer will sich jedoch nicht einem +funktionalistischen Fatalismus* ergeben und nennt die so erfolgte Ausblendung von ablehnenden Reflexen des Publikums auf diese als zwangsläufigen Automatismus dargestellte Entwicklung zynisch (vgl. Inszenierung des Scheins;

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 253<br />

wird <strong>der</strong> Zusammenhalt <strong>der</strong> politischen Geme<strong>in</strong>schaft und <strong>der</strong> Konformismus geför<strong>der</strong>t, und<br />

die politischen Mythen (o<strong>der</strong> Ideologien) überdecken und legitimieren die bestehenden sozialen<br />

Ungleichheiten (vgl. ebd.; S. 13ff.). Überhaupt wirken Symbole vielfach als Rationalitätsersatz<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> (vgl. ebd.; S. 27ff.), denn wie Edelman im Vorwort zur Neuauflage se<strong>in</strong>es Buches<br />

von 1990 bemerkt: +Mit <strong>der</strong> Behauptung, daß politisches Handeln rationale Entscheidungen<br />

wi<strong>der</strong>spiegle, maskiert die politische Alltagssprache die Banalität und den ritualhaften Charakter,<br />

die den Großteil politischer Äußerungen und Handlungen kennzeichnet* (ebd.; S. XI). Was<br />

aber macht Symbole <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht so wirksam? – Edelman verweist darauf, daß es mit<br />

ihrem Gebrauch möglich wird, Inhalte so zu reduzieren, daß sie sich <strong>in</strong> bestehende Bedeu-<br />

tungszusammenhänge e<strong>in</strong>ordnen lassen (vgl. ebd.; S. 95). Auf diese Weise können Inhalte<br />

und Handlungen im symbolisch-ästhetischen Rekurs auf die +Tradition* legitimiert werden.<br />

Die Verpflichtung zu rationaler Begründung entfällt. 63<br />

Thomas Meyer nimmt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em (ebenfalls bereits <strong>in</strong> Abschnitt 2.4 zitierten) Buch +Die Insze-<br />

nierung des Sche<strong>in</strong>s* (1992) auf Edelman Bezug. Dort bemerkt er: +Der Sche<strong>in</strong> ist für die<br />

Anschauung, was die Ideologie für den Diskurs ist.* (S. 39) Man könnte also, wie ich hiermit<br />

vorschlagen möchte, von e<strong>in</strong>er +Optologie* sprechen, die ihre Wirksamkeit <strong>der</strong> visuellen Fixierung<br />

des Menschen verdankt: +Bil<strong>der</strong> lügen nicht, me<strong>in</strong>t unser Gedächtnis […] Darum ist die Insze-<br />

nierung des Sche<strong>in</strong>s <strong>der</strong> Konstruktion von Ideologien turmhoch überlegen.* (Ebd.; S. 49) Neben<br />

dem visuellen, dem +Augensche<strong>in</strong>* existiert gemäß Meyer allerd<strong>in</strong>gs auch +Sprachsche<strong>in</strong>*<br />

und +Handlungssche<strong>in</strong>* (vgl. ebd. S. 39ff.) – geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d politische Wortblasen (ich möchte<br />

hier den Begriff +Logologie* vorschlagen) und die schon oben angesprochenen politischen<br />

Rituale (Praxologien). 64<br />

Diese +<strong>Politik</strong> des Sche<strong>in</strong>s* muß <strong>in</strong> <strong>der</strong> komplexen, +funktional differenzierten* Gesellschaft<br />

notwendig immer bedeuten<strong>der</strong> werden, da die wachsende Komplexität das tatsächliche und<br />

umfassende Verstehen <strong>der</strong> politischen und sozialen Zusammenhänge zunehmend unmöglich<br />

macht – das, so Meyer, ist zum<strong>in</strong>dest die Argumentation +funktionalistischer* Autoren (vgl.<br />

ebd.; S. 58ff. und siehe auch Abschnitt 2.4). Selbst eher +kritische* Wissenschaftler lassen<br />

sich auf ähnliche Argumentationen e<strong>in</strong> (vgl. z.B. Peters: Der S<strong>in</strong>n von Öffentlichkeit und siehe<br />

65<br />

hier S. 172). Meyer will sich jedoch nicht e<strong>in</strong>em +funktionalistischen Fatalismus* ergeben<br />

und nennt die so erfolgte Ausblendung von ablehnenden Reflexen des Publikums auf diese<br />

als zwangsläufigen Automatismus dargestellte Entwicklung zynisch (vgl. Inszenierung des Sche<strong>in</strong>s;

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