Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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XXX POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Über sociale Differenzierung; S. 65): In der modernen (westlichen) Gesellschaft kommt dem Individuum große, wenn nicht zentrale Bedeutung zu. Die Freisetzung aus den traditionalen Bindungen und den strukturellen Zwängen der ständischen Gesellschaft hat autonome Freiräume geschaffen, die aber auch einen bedrohlichen Aspekt der Verunsicherung beinhalten können. Zusätzlich kommt es anstelle der alten zur Ausbildung neuer institutioneller sowie sozialer Zwänge, und durch das größere Maß der Vernetzung entstehen vielfältige Abhängigkeiten, die eine immer globalere Natur annehmen (vgl. auch van der Loo/van Reijen: Modernisierung; S. 194f.). • Der dritte wesentliche Teilprozeß der Modernisierung nach van der Loo/van Reijen ist die Rationalisierung. Viele sehen in ihr den eigentlichen Ursprung für die entfaltete Entwicklungs- dynamik der Moderne. Und gerade gesellschaftliche Arbeitsteilung, welche die Grundlage sozialer Differenzierung bildet, kann zu einem großen Teil auf +Rationalisierungsbestrebungen* zurückgeführt werden, denn durch Spezialisierung erhöht sich (in der Regel) die Produktivität der einzelnen. Dieser Zusammenhang ist auch die Grundprämisse des sog. Taylorismus: Frederick W. Taylor (1856–1915), auf den der Taylorismus zurückgeht, plädierte für ein +scientific manage- ment* in der Wirtschaft und war bestrebt, durch eine rationale Organisation der Arbeitsvorgänge ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis in der industriellen Produktion zu erreichen. Der 39 Rhythmus der Maschinen diktierte den Rhythmus der Arbeit. Auch wenn das tayloristische Denken inzwischen zurückgedrängt ist oder doch zumindest ergänzt wird durch Konzepte wie Gruppenarbeit, so dienen diese letzendlich dem selben Zweck: Produktionsprozesse zu optimieren. Taylor war aber kein Soziologe und er hat auch keine wissenschaftliche Theorie der Rationali- sierung entwickelt, sondern sich auf den praktischen Aspekt konzentriert. Was für Taylor gerade nicht gilt, trifft um so mehr auf Max Weber zu. Wenn in der Soziologie der Begriff +Rationali- sierung* fällt, so bleibt deshalb der Verweis auf Weber (1864–1920) meist nicht aus. Dieser zeigte vor allem die Zusammenhänge zwischen der Rationalisierung der Lebensführung und der Entwicklung des okzidentalen Kapitalismus auf. Dabei betonte er die förderliche Rolle, die der Protestantismus in diesem Zusammenhang spielte, und stellte die enge Verwandtschaft zwischen der protestantischen Ethik und dem +Geist des Kapitalismus* heraus. Denn beide wenden sich gegen Vergeudung und Genuß. Und eine optimale Ausnutzung der zur Verfügung
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stehenden Zeit, Sparsamkeit sowie die Erfüllung <strong>der</strong> Berufspflichten s<strong>in</strong>d für den Kapitalisten<br />
wie den (calv<strong>in</strong>istischen) Protestanten (den Weber als prototypisch behandelt) zentrale Tugenden.<br />
So kann Weber resümieren:<br />
+Die <strong>in</strong>nerweltliche protestantische Askese […] wirkte […] mit voller Wucht gegen den unbefangenen<br />
Genuß des Besitzes, sie schnürte die Konsumption, speziell die Luxuskonsumption, e<strong>in</strong>. Dagegen entlastete<br />
sie im psychologischen Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen <strong>der</strong> traditionalistischen Ethik,<br />
sie sprengte die Fesseln des Gew<strong>in</strong>nstrebens, <strong>in</strong>dem sie es nicht nur legalisierte, son<strong>der</strong>n […] direkt<br />
als gottgewollt ansah.* (Die protestantische Ethik und <strong>der</strong> Geist des Kapitalismus; S. 179)<br />
Luther sah nämlich gemäß Weber die Pflichterfüllung im Rahmen des weltlichen Berufs als<br />
e<strong>in</strong>zigen Weg an, Gott wohlzugefallen. Die Prädest<strong>in</strong>ationslehre Calv<strong>in</strong>s besagte zwar im<br />
Pr<strong>in</strong>zip das genaue Gegenteil:<br />
+Gott hat zur Offenbarung se<strong>in</strong>er Herrlichkeit durch se<strong>in</strong>en Beschluß e<strong>in</strong>ige Menschen […] bestimmt<br />
[…] zu ewigem Leben und an<strong>der</strong>e verordnet […] zu ewigem Tode.* (Zitiert nach ebd.; S. 119)<br />
Durch se<strong>in</strong>e Handlungen hat <strong>der</strong> Mensch deshalb ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß auf se<strong>in</strong> Schicksal. Aber<br />
auch Calv<strong>in</strong> verlangte von se<strong>in</strong>en Anhängern strenge Pflichterfüllung und Mäßigung <strong>der</strong> Lebens-<br />
weise. Zudem wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit die ursprüngliche, psychisch stark belastende calv<strong>in</strong>istische<br />
Lehre modifiziert: Gnadengewißheit konnte nun erlangt werden, <strong>in</strong>dem man von Gott Zeichen<br />
<strong>der</strong> Auserwähltheit wie ökonomischen Wohlstand erhielt. Die Gläubigen strebten also nach<br />
materiellen Gütern, um sich <strong>der</strong> eigenen Erwähltheit zu vergewissern, durften diese aber gemäß<br />
<strong>der</strong> puritanischen Ideologie nicht genießen und verwirklichten somit die oben im Zitat ange-<br />
sprochene <strong>in</strong>nerweltliche Askese. Zusammengenommen zeigen sich starke Parallelen zum<br />
+Geist des Kapitalismus*, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e streng rationale Lebensführung diktiert. Dies veranschaulicht<br />
Weber anhand e<strong>in</strong>iger Äußerungen Benjam<strong>in</strong> Frankl<strong>in</strong>s und filtert die für ihn zentralen Momente<br />
heraus:<br />
• Die Akkumulation von Kapital betrieben als Selbstzweck<br />
• Die Identifizierung des Guten mit dem Nützlichen (Utilitarismus)<br />
• Die Verpflichtung zu Sparsamkeit und Kapital-Re<strong>in</strong>vestition<br />
Diese Merkmale s<strong>in</strong>d jedoch gemäß Weber nur für den mo<strong>der</strong>nen europäischen und nicht<br />
für den traditionalen Kapitalismus typisch, da ersterer (im Gegensatz zu letzerem) schließlich