Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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240 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE an, die Technik einerseits als ein Mittel für Zwecke (+instrumentale Bestimmung*) und anderer- seits als ein Tun des Menschen (+anthropologische Bestimmung*) begreifen. Als solches ist aber Technik immer ein Hervorbringen, und im Hervorbringen auch ein Entbergen – auf einer sehr konkreten Ebene zum Beispiel von im Schoß der Erde verborgenen Bodenschätzen wie Kohle. Für Heidegger geschieht durch dieses ganz allgemein von der Technik bewirkte Sicht- barmachen des Verborgenen jedoch zugleich ein +tiefer* wirkendes Entbergen, ein Entbergen der +Wahrheit* des Seins, also von Wirklichkeit. Mit der Anwendung der Technik stellt sich dem Menschen diese durch die Technik entborgene Wahrheit in den Weg und fordert ihn damit gleichsam heraus. Genau diese Herausforderung, der man sich nicht entziehen kann, macht nun den ihr wesenhaften Gestell-Charakter der Technik aus. In der für ihn typischen, so gar nicht technischen (also entbergenden), sondern den Sinn eher verschleiernden Diktion formuliert Heidegger: +Wir nennen jetzt jenen herausfordernden Anspruch, der den Menschen dahin versammelt, das Sichent- bergende als Bestand zu bestellen – das Ge-stell […]* (Ebd.; S. 19) Und an anderer +Stelle* heißt es: +Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist.* (Ebd.; S. 20) Zweifellos entfaltet Heidegger, insoweit seine Botschaft entschlüsselbar ist, hier eine interessante (technik-)philosophische Denkfigur. Ich möchte mir jedoch seine Metapher genau im von ihm nicht gemeinten, +banalen* Sinn zu eigen machen, um so einen wichtigen Aspekt des technologisch-wissenschaftlichen Dilemmas zu verdeutlichen, das im Zentrum dieses Abschnitts stehen wird. Betrachten wir dazu, ganz in marxistischer Tradition, die Technik als ein tat- sächliches Gestell, als +ein Gestänge und Geschiebe und Gerüst* (ebd.), d.h. schlicht: die materielle Manifestation menschlichen Wissens. Denn viel eher in dieser Materialität, denn indem ihr hervorbringendes Wesen +Wahrheit* zu entbergen vermöchte, stellt sie meiner Meinung nach eine Herausforderung für das Sein des Menschen dar. Ihre Dinglichkeit, das Sperrige des Gegenstandes, zwingt – wie auch in Anlehnung an Latour formuliert werden kann (siehe S. 132) – zur Auseinandersetzung mit ihm.

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 241 Überall sind in unserer technisierten und +zivilisierten* Welt menschliche Artefakte anzutreffen, sie +bevölkern* selbst die kümmerlichen Reste der +natürlichen* Landschaften, sind sozusagen in diese hineingestellt, und formieren darüber hinaus ihrerseits technische Landschaften, die ganz aus solchen Artefakten zusammengefügt sind (siehe auch nochmals Übersicht 3, Abschnitt 2.3). Ernst Bloch bemerkt dazu sehr aufschlußreich (vor allem, was den Schlußteil seiner Sentenz anbelangt): +Das Leben ist […] mit einem Gürtel künstlicher, vorher nicht dagewesener Geschöpfe umgeben. Mit ihnen wird das menschliche Haus ungeheuer erweitert, es wird immer bequemer und [gleichzeitig] abenteuerlicher.* (Das Prinzip Hoffnung; Band 2, S. 731) Technik steht also in einer Weise in der Welt, daß man sich auf das +Abenteuer Technik* zwangsläufig einlassen muß, daß man sich ihr weder entziehen, noch sie übersehen kann. Autos, Hochhäuser, Schornsteine, Kräne, Strommasten: Sie verstellen im wahrsten Sinn des Wortes den freien Blick. Der Horizont ist, insbesondere in der technischen Landschaft der Stadt, eingeschränkt. Der Wanderer in den Straßenschluchten Manhattans sieht den Himmel nur stückchenweise – und schirmt sich so möglicherweise auch von der Transzendenz ab: jener kritischen Transzendenz, die das Bestehende hinterfragt. Alleine also, indem Technik existiert, schränkt sie den Raum der Reflexion ein, reduziert sie die vielfältigen Möglichkeiten von Vernunft auf die in der Technik manifestierte instrumentelle Vernunft. Dieses Argument findet sich auch bei André Gorz, der mit seiner Kritik ökonomischer Zweckrationalität wiederum an Gedanken der Kritischen Theorie (siehe S. 122ff.) anschließt: +Das Übergewicht der instrumentellen Vernunft ist im Funktionalismus unserer täglichen Gebrauchsgegen- stände […] eingeschrieben […] Alles läuft darauf hinaus und alles regt dazu an, die Lebens-Umwelt instrumentell zu behandeln, die Natur zu vergewaltigen und unseren Körpern wie denen der anderen Gewalt anzutun.* (Kritik der ökonomischen Vernunft; S. 130) Das Allgegenwärtige (und bereits darin Gewalttätige, weil Ausschließende) der Technik besetzt also, genau durch ihre ausschließende Allgegenwart, den Horizont des Denkens, und die instrumentell-technische, letztlich für Gorz in eine ganze +Gewalt-Kultur* mündende Gewalt verinnerlicht sich uns vollständig in der täglichen Anwendung von Technik, d.h. diese wirkt im hier definierten Sinn praxologisch (siehe S. 104 sowie Abschnitt 5.3.2): Indem sie bereit

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 241<br />

Überall s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer technisierten und +zivilisierten* Welt menschliche Artefakte anzutreffen,<br />

sie +bevölkern* selbst die kümmerlichen Reste <strong>der</strong> +natürlichen* Landschaften, s<strong>in</strong>d sozusagen<br />

<strong>in</strong> diese h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gestellt, und formieren darüber h<strong>in</strong>aus ihrerseits technische Landschaften, die<br />

ganz aus solchen Artefakten zusammengefügt s<strong>in</strong>d (siehe auch nochmals Übersicht 3, Abschnitt<br />

2.3). Ernst Bloch bemerkt dazu sehr aufschlußreich (vor allem, was den Schlußteil se<strong>in</strong>er<br />

Sentenz anbelangt):<br />

+Das Leben ist […] mit e<strong>in</strong>em Gürtel künstlicher, vorher nicht dagewesener Geschöpfe umgeben. Mit<br />

ihnen wird das menschliche Haus ungeheuer erweitert, es wird immer bequemer und [gleichzeitig]<br />

abenteuerlicher.* (Das Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung; Band 2, S. 731)<br />

Technik steht also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt, daß man sich auf das +Abenteuer Technik*<br />

zwangsläufig e<strong>in</strong>lassen muß, daß man sich ihr we<strong>der</strong> entziehen, noch sie übersehen kann.<br />

Autos, Hochhäuser, Schornste<strong>in</strong>e, Kräne, Strommasten: Sie verstellen im wahrsten S<strong>in</strong>n des<br />

Wortes den freien Blick. Der Horizont ist, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> technischen Landschaft <strong>der</strong><br />

Stadt, e<strong>in</strong>geschränkt. Der Wan<strong>der</strong>er <strong>in</strong> den Straßenschluchten Manhattans sieht den Himmel<br />

nur stückchenweise – und schirmt sich so möglicherweise auch von <strong>der</strong> Transzendenz ab:<br />

jener kritischen Transzendenz, die das Bestehende h<strong>in</strong>terfragt. Alle<strong>in</strong>e also, <strong>in</strong>dem Technik<br />

existiert, schränkt sie den Raum <strong>der</strong> Reflexion e<strong>in</strong>, reduziert sie die vielfältigen Möglichkeiten<br />

von Vernunft auf die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Technik manifestierte <strong>in</strong>strumentelle Vernunft. Dieses Argument<br />

f<strong>in</strong>det sich auch bei André Gorz, <strong>der</strong> mit se<strong>in</strong>er Kritik ökonomischer Zweckrationalität wie<strong>der</strong>um<br />

an Gedanken <strong>der</strong> Kritischen Theorie (siehe S. 122ff.) anschließt:<br />

+Das Übergewicht <strong>der</strong> <strong>in</strong>strumentellen Vernunft ist im Funktionalismus unserer täglichen Gebrauchsgegen-<br />

stände […] e<strong>in</strong>geschrieben […] Alles läuft darauf h<strong>in</strong>aus und alles regt dazu an, die Lebens-Umwelt<br />

<strong>in</strong>strumentell zu behandeln, die Natur zu vergewaltigen und unseren Körpern wie denen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Gewalt anzutun.* (Kritik <strong>der</strong> ökonomischen Vernunft; S. 130)<br />

Das Allgegenwärtige (und bereits dar<strong>in</strong> Gewalttätige, weil Ausschließende) <strong>der</strong> Technik besetzt<br />

also, genau durch ihre ausschließende Allgegenwart, den Horizont des Denkens, und die<br />

<strong>in</strong>strumentell-technische, letztlich für Gorz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ganze +Gewalt-Kultur* mündende Gewalt<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht sich uns vollständig <strong>in</strong> <strong>der</strong> täglichen Anwendung von Technik, d.h. diese wirkt<br />

im hier def<strong>in</strong>ierten S<strong>in</strong>n praxologisch (siehe S. 104 sowie Abschnitt 5.3.2): Indem sie bereit

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