Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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218 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE bunden. Das aber heißt: Politiker lernen zwangsläufig in Kategorien und Unterkategorien des Nationalstaats (wie dem +Bruttoinlandsprodukt* oder dem +Landesverband*) zu denken, wenn sie in diesem System erfolgreich sein wollen. Daß sich eine solche nationalstaatsfixierte Handlungslogik und Reproduktionsstruktur im System der Politik etabliert hat, ist allerdings nicht weiter verwunderlich, denn die +moderne* Politik hat sich (historisch betrachtet) gleichzeitig und im Verbund mit dem +modernen* Industrialismus entwickelt, und dieser beruhte auf dem Nationalstaat als wirtschaftlicher wie politischer Basis-Einheit, die einigermaßen berechen- bare Verhältnisse zu gewährleisten versprach (vgl. v.a. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus; S. 37ff. und siehe auch Abschnitt 1.4). Das alles soll nicht besagen, daß die Politik im Nationalstaat, den John Holloway treffend als +verfestigte Form gesellschaftlicher Verhältnisse* charakterisiert (Globales Kapital und nationaler Staat; S. 15), eine bloße Unterfunktion der Ökonomie wäre (wenngleich natürlich das politische System stark von den ökonomischen Rahmenbedingungen abhängt). Wie schon oben in Anleh- nung an funktionalistische Argumentationsmuster angedeutet wurde, verfügt Politik dadurch, daß sie institutionell und formal vom Wirtschaftssystem abgrenzbar ist, über eine gewisse (Teil-)Autonomie. Sie muß sogar über diese Autonomie verfügen, wenn sie ihre (faktische) Funktion im nationalen Kontext, das +Systemmanagement*, erfolgreich ausfüllen soll. Denn ohne ein (größeres oder kleineres) eigenständiges Moment könnte Politik schließlich nicht regulierend und stabilisierend ins (nationale) Marktgeschehen eingreifen. Darüber hinaus eröffnet die Trennung in die verschiedenen Sphären (wie im zweiten Kapitel vor allem anhand der Bereiche Justiz und Wissenschaft dargestellt wurde) die Möglichkeit einer translatorischen wie fragmentisierenden Deflexion: +Kämpfe werden in politische und ökonomische Formen kanalisiert, von denen keine Raum läßt für Fragen zur Struktur der Gesellschaft als Ganzer* (ebd.; S. 17). 21 Die Politik ist, wie gesagt, aufgrund ihrer +genetisch* bedingten System- und Handlungslogik noch immer fixiert auf dieses deflexive Zusammenspiel der formal getrennten Sphären im 22 alten +Container-Staat* (vgl. Taylor: The State as a Container), der freilich – wenn er je wirklich +dicht* war – längst zu lecken begonnen hat (vgl. ebd; S. 157–161 sowie ders.: Beyond Containers). Vor allem das Kapital hat sich, wie schon oben (und in Abschnitt 2.1) festgestellt, 23 vom (nationalen) Territorium weitgehend emanzipiert. So resümiert denn auch Holloway: +Der Nationalstaat ist nicht mehr das, was er einmal war. Als Moment des globalen Kapital-

KAP. 3: DIE ANTINOMIEN +KLASSISCHER* POLITIK IN DER GLOBALEN RISIKOGESELLSCHAFT 219 verhältnisses hat er nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher.* (Globales Kapital und nationaler Staat; S. 30) Die Mobilität des Kapitals, das sich dem staatlichen Zugriff +elegant* durch globale Transaktionen und Verschiebungen entzieht, stellt vor allem die wohlfahrtsstaatliche Umverteilungspolitik vor große Probleme, da ihr durch die +Flüchtigkeit* des Kapitals zunehmend die Mittel fehlen, um jene Redistribution durchzuführen, die den sozialen Frieden (und damit indirekt auch die Stabilität des politischen und ökonomischen Systems) so lange sicherte. Ich werde unten (siehe S. 224–230) noch näher auf diese Problematik eingehen. Wenn die nationale Politik aber auf diese Bedrohung aufgrund ihrer Systemlogik nicht mit transnatioanler Expansion reagieren kann (oder will), um das flüchtige Kapital wieder +einzufangen*, wie versucht sie dann, dem Dilemma zu entgehen? – Sie verfolgt dazu das, was ich die nationale Strategie nennen möchte, und die im Grunde auf einem liberalistischen Wettbewerbsmodell beruht, betreibt also eine Selbstökonomisierung. Dazu Joachim Hirsch: +Grob gesprochen, konzentriert sich staatliche Politik zunehmend darauf, einem global flexibler agierenden Kapital in Konkurrenz mit anderen Staaten günstige Verwertungsvoraussetzungen zu verschaffen.* (Der nationale Wettbewerbsstaat; S. 103) Die Logik dieser Strategie ist denkbar einfach: Man läßt sich auf jenen zu Beginn dieses Abschnitts mit Marcos und Luttwak an die Wand gemalten (vierten) +Welt(wirtschafts)krieg* ein, hofft im Konkurrenzkampf mit den anderen Nationen zu bestehen und sich so ein möglichst großes Stück vom globalen +Verteilungskuchen* zu sichern. Dazu öffnet man den eigenen Markt, senkt die sozialen Standards, erhebt niedrige Kapitalsteuern (oder verzichtet ganz darauf) und gewährt investitionswilligen Unternehmen Vergünstigungen (wie kostenlose Baugrundstücke) oder Sonderrechte (wie die Nichteinhaltung von Schadstoffbegrenzungen bei der Produktion) 24 etc. Durch diese (segmentäre) +Liberalisierung* und Deregulierung erstrebt man einen Erhalt bzw. die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie eine allgemeine Ankurbelung der Wirtschaft. Und über die Besteuerung des Konsums und der Einkommen der Arbeitnehmer, die weit schwerer flüchten können als das Kapital, sollen dann Gelder in die Staatskassen fließen, die eine wohlfahrtsstaatliche Grundsicherung garantieren, so daß die sozialen Spannungen auf einem +erträglichen* Niveau bleiben – wenn das Globalisierungsargument nicht ohnehin nur (ideologisch) vorgeschoben wird, um den Abbau des Sozialstaats zu betreiben.

218 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

bunden. Das aber heißt: <strong>Politik</strong>er lernen zwangsläufig <strong>in</strong> Kategorien und Unterkategorien<br />

des Nationalstaats (wie dem +Brutto<strong>in</strong>landsprodukt* o<strong>der</strong> dem +Landesverband*) zu denken,<br />

wenn sie <strong>in</strong> diesem System erfolgreich se<strong>in</strong> wollen. Daß sich e<strong>in</strong>e solche nationalstaatsfixierte<br />

Handlungslogik und Reproduktionsstruktur im System <strong>der</strong> <strong>Politik</strong> etabliert hat, ist allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht weiter verwun<strong>der</strong>lich, denn die +mo<strong>der</strong>ne* <strong>Politik</strong> hat sich (historisch betrachtet) gleichzeitig<br />

und im Verbund mit dem +mo<strong>der</strong>nen* Industrialismus entwickelt, und dieser beruhte auf<br />

dem Nationalstaat als wirtschaftlicher wie politischer Basis-E<strong>in</strong>heit, die e<strong>in</strong>igermaßen berechen-<br />

bare Verhältnisse zu gewährleisten versprach (vgl. v.a. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus;<br />

S. 37ff. und siehe auch Abschnitt 1.4).<br />

Das alles soll nicht besagen, daß die <strong>Politik</strong> im Nationalstaat, den John Holloway treffend<br />

als +verfestigte Form gesellschaftlicher Verhältnisse* charakterisiert (Globales Kapital und nationaler<br />

Staat; S. 15), e<strong>in</strong>e bloße Unterfunktion <strong>der</strong> Ökonomie wäre (wenngleich natürlich das politische<br />

System stark von den ökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen abhängt). Wie schon oben <strong>in</strong> Anleh-<br />

nung an funktionalistische Argumentationsmuster angedeutet wurde, verfügt <strong>Politik</strong> dadurch,<br />

daß sie <strong>in</strong>stitutionell und formal vom Wirtschaftssystem abgrenzbar ist, über e<strong>in</strong>e gewisse<br />

(Teil-)Autonomie. Sie muß sogar über diese Autonomie verfügen, wenn sie ihre (faktische)<br />

Funktion im nationalen Kontext, das +Systemmanagement*, erfolgreich ausfüllen soll. Denn<br />

ohne e<strong>in</strong> (größeres o<strong>der</strong> kle<strong>in</strong>eres) eigenständiges Moment könnte <strong>Politik</strong> schließlich nicht<br />

regulierend und stabilisierend <strong>in</strong>s (nationale) Marktgeschehen e<strong>in</strong>greifen. Darüber h<strong>in</strong>aus eröffnet<br />

die Trennung <strong>in</strong> die verschiedenen Sphären (wie im zweiten Kapitel vor allem anhand <strong>der</strong><br />

Bereiche Justiz und Wissenschaft dargestellt wurde) die Möglichkeit e<strong>in</strong>er translatorischen<br />

wie fragmentisierenden Deflexion: +Kämpfe werden <strong>in</strong> politische und ökonomische Formen<br />

kanalisiert, von denen ke<strong>in</strong>e Raum läßt für Fragen zur Struktur <strong>der</strong> Gesellschaft als Ganzer*<br />

(ebd.; S. 17). 21<br />

Die <strong>Politik</strong> ist, wie gesagt, aufgrund ihrer +genetisch* bed<strong>in</strong>gten System- und Handlungslogik<br />

noch immer fixiert auf dieses deflexive Zusammenspiel <strong>der</strong> formal getrennten Sphären im<br />

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alten +Conta<strong>in</strong>er-Staat* (vgl. Taylor: The State as a Conta<strong>in</strong>er), <strong>der</strong> freilich – wenn er je wirklich<br />

+dicht* war – längst zu lecken begonnen hat (vgl. ebd; S. 157–161 sowie <strong>der</strong>s.: Beyond<br />

Conta<strong>in</strong>ers). Vor allem das Kapital hat sich, wie schon oben (und <strong>in</strong> Abschnitt 2.1) festgestellt,<br />

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vom (nationalen) Territorium weitgehend emanzipiert. So resümiert denn auch Holloway:<br />

+Der Nationalstaat ist nicht mehr das, was er e<strong>in</strong>mal war. Als Moment des globalen Kapital-

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