Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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198 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Übersicht 4: Kurzcharakterisierung der Typen gesellschaftspolitischer Grundeinstellungen (Politikstile) nach Vester et al. (1993): Sozialintegrative: Moralische Gerechtigkeitsvorstellungen. Plädieren für eine stärkere politische Beteiligung der Bürger. Radikaldemokraten:Reformorientierte,gesellschaftskritischeEinstellung.HumanistischeEmanzipationsansprüche. Skeptisch-Distanzierte: Desillusioniert. Einstellung zur Politik reicht von zynischer Distanz bis zu starkem Engagement. Gemäßigt-Konservative: Identifikation mit der Leistungsgesellschaft. Aufgaben der Politik: Gewährleistung von Stabilität, Sicherheit und sozialer Harmonie. Traditionell-Konservative: Grundsätzliches Vertrauen in das bestehende politische System und sozialdarwinistische Vorstellungen. Enttäuscht-Apathische: Soziale und politische Hierarchien werden als gegeben und unabänderlich hingenommen. Keinerlei politisches Engagement. Enttäuscht-Aggressive: Befürworten die Leistungsgesellschaft, empfinden sich aber als +Verlierer* und pflegen ausgeprägte Ressentiments. Michael Vester und seine Mitautor(inn)en haben nun, auf der Grundlage der Auswertung umfangreicher Fragebögen, sieben Typen gesellschaftspolitischer Grundeinstellungen erarbeitet und diese auf die SINUS-Milieus bezogen. Doch +dabei erwies es sich*, wie die Autoren feststellen, +daß die politischen Einstellungstypen nicht unbedingt mit den Lebensstiltypen von SINUS übereinstimmen […] Je nach ihren biographischen Konflikt- und Vergemeinschaftungs- erfahrungen können die Akteure eines bestimmten ›Lebensstilmilieus‹ zu verschiedenen Lernprozessen und Identitäten gelangen, um sich dann darüber verschiedenen ›Politikstilmilieus‹ [siehe Übersicht 4 und Abb. 7] zuzuordnen.* (Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel; S. 328) Es zeigten sich aber trotz fehlender Deckungsgleichheit auch nach Vester et al. eine Reihe von Überschneidungen bzw. eine überproportionale Repräsentanz bestimmter SINUS-Milieus bei bestimmten Politikstil-Clustern: So ist beispielsweise bei den +Sozialintegrativen* wie bei den +Skeptisch-Distanzierten* das hedonistische Milieu überrepräsentiert. Bei den +Radikaldemo- kraten* wiederum findet man das neue Arbeitermilieu und das Alternativmilieu, aber auch das technokratisch-liberale Milieu überdurchschnittlich vertreten. Die +Gemäßigt-Konservativen* haben dagegen einen erhöhten Anteil von Personen aus dem aufstiegsorientierten (Mittelschicht)- Milieu aufzuweisen, während +Traditionell-Konservative* sich zu fast 60% aus dem konservativ- gehobenen Milieu und dem kleinbürgerlichen Milieu rekrutieren (die insgesamt nur ca. 30% ausmachen). Bei den +Enttäuschten* schließlich (den +apathischen* wie den +aggressiven*)
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 199 Abbildung 7: Prozentanteile der +Politikstile* nach Vester et al. (1993) Gemäßigt-Konservative Skeptisch-Distanzierte Traditionell-Konservative 17,6% 17,7% 13,8% 13,4% 10,8% Radikaldemokraten 12,8% 13,8% Enttäuscht-Apathische Sozialintegrative Enttäuscht-Aggressive sind ebenfalls das kleinbürgerliche, aber auch das traditionelle und traditionslose Arbeitermilieu überrepräsentiert. (Vgl. ebd.; Abb. 40, S. 353) Wie man sieht, besteht also doch ein gewisser, wenn auch kein ausgeprägter Zusammenhang zwischen der (SINUS-)Milieu-Zugehörigkeit und der gesellschaftspolitischen Grundeinstellung. Die aufschlußreichste Erkenntnis, die die Untersuchung von Vester und seinen KollegInnen vermittelt, dürfte jedoch sein, daß nach den von ihnen ermittelten Zahlen (siehe nochmals Abb. 7) mehr als ein Viertel aller Personen aufgrund von wie auch immer gearteten +Ent- täuschungen* dem bestehenden Politiksystem den Rücken zugekehrt hat, mit dem sich nur noch ein knappes Drittel (die Gemäßigt- und die Traditionell-Konservativen) mehr oder weniger identifiziert. Beim verbleibenden Rest ist eine bewußt kritische Distanz bis kritisches Engagement auszumachen, und nur bei dieser letzten Gruppe der kritisch Engagierten liegt das Rekrutierungs- potential für die neuen sozialen Bewegungen, um die es im folgenden als Beispiel für die durch Individualisierungsprozesse ausgelöste subpolitische Dynamik gehen wird. Die neuen sozialen Bewegungen – d.h. Phänomene wie die amerikanische Bürgerrechtsbe- 277 wegung, die Ökologie-, die Anti-Atomkraft-, die Friedens- oder die Homosexuellenbewegung – stellen als subpolitische Formationen, die wiederum als handlungslogische Hybride zwischen Kleingruppen und formalen Organisationen charakterisiert werden können (vgl. Rucht: Moderni- sierung und neue soziale Bewegungen; S. 81), sowohl eine Herausforderung für die klassische Linke wie für die traditionelle Rechte und die institutionalisierte Politik dar. Denn sie sind
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 199<br />
Abbildung 7: Prozentanteile <strong>der</strong> +<strong>Politik</strong>stile* nach Vester et al. (1993)<br />
Gemäßigt-Konservative<br />
Skeptisch-Distanzierte<br />
Traditionell-Konservative<br />
17,6%<br />
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13,8%<br />
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Radikaldemokraten<br />
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Enttäuscht-Apathische<br />
Sozial<strong>in</strong>tegrative<br />
Enttäuscht-Aggressive<br />
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überrepräsentiert. (Vgl. ebd.; Abb. 40, S. 353)<br />
Wie man sieht, besteht also doch e<strong>in</strong> gewisser, wenn auch ke<strong>in</strong> ausgeprägter Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> (SINUS-)Milieu-Zugehörigkeit und <strong>der</strong> gesellschaftspolitischen Grunde<strong>in</strong>stellung.<br />
Die aufschlußreichste Erkenntnis, die die Untersuchung von Vester und se<strong>in</strong>en KollegInnen<br />
vermittelt, dürfte jedoch se<strong>in</strong>, daß nach den von ihnen ermittelten Zahlen (siehe nochmals<br />
Abb. 7) mehr als e<strong>in</strong> Viertel aller Personen aufgrund von wie auch immer gearteten +Ent-<br />
täuschungen* dem bestehenden <strong>Politik</strong>system den Rücken zugekehrt hat, mit dem sich nur<br />
noch e<strong>in</strong> knappes Drittel (die Gemäßigt- und die Traditionell-Konservativen) mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
identifiziert. Beim verbleibenden Rest ist e<strong>in</strong>e bewußt kritische Distanz bis kritisches Engagement<br />
auszumachen, und nur bei dieser letzten Gruppe <strong>der</strong> kritisch Engagierten liegt das Rekrutierungs-<br />
potential für die neuen sozialen Bewegungen, um die es im folgenden als Beispiel für die<br />
durch Individualisierungsprozesse ausgelöste subpolitische Dynamik gehen wird.<br />
Die neuen sozialen Bewegungen – d.h. Phänomene wie die amerikanische Bürgerrechtsbe-<br />
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wegung, die Ökologie-, die Anti-Atomkraft-, die Friedens- o<strong>der</strong> die Homosexuellenbewegung<br />
– stellen als subpolitische Formationen, die wie<strong>der</strong>um als handlungslogische Hybride zwischen<br />
Kle<strong>in</strong>gruppen und formalen Organisationen charakterisiert werden können (vgl. Rucht: Mo<strong>der</strong>ni-<br />
sierung und neue soziale Bewegungen; S. 81), sowohl e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für die klassische<br />
L<strong>in</strong>ke wie für die traditionelle Rechte und die <strong>in</strong>stitutionalisierte <strong>Politik</strong> dar. Denn sie s<strong>in</strong>d