Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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194 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE • Die behavioristischen Modellen entlehnte Mangelhypothese besagt, daß man denjenigen Dingen den subjektiv größten Wert zumißt, die relativ knapp sind (in den wohlhabenden westlichen Gesellschaften und dort insbesondere unter den +Bessergestellten* sind das naheliegenderweise immer weniger materielle Sicherheit und Wohlstand als eben Lebens- qualität und Selbstverwirklichung). 268 • Die Sozialistionshypothese wiederum besagt, daß Normen und Werte erst in einem (lang- wierigen) Sozialisationsprozeß verinnerlicht werden müssen (so daß sich bezogen auf die ökonomische Entwicklung eine Zeitverschiebung beim Wertewandel ergibt und die post- materialistischen Werte nur +langsam* vordringen). (Vgl. ebd.; S. 92) Politisch äußert sich der stattfindende Wertewandel nach Inglehart vor allem in einer Ver- schiebung von der schicht- zur wertorientierten politischen Polarisierung (vgl. ebd.; S. 324ff.). 269 In diesem Zusammenhang geht er auch auf die neuen sozialen Bewegungen ein (vgl. ebd.; 270 Kap. 11), die hier weiter unten als Beispiel für die zunehmende Bedeutung der Subpolitik in der individualisierten Gesellschaft und den damit im Zusammenhang stehenden Umbruch 271 der +politischen Kultur* noch eingehender behandelt werden (siehe S. 199ff.). Zuvor sollte jedoch die schon oben aufgeworfene Frage geklärt werden, ob nicht der von Inglehart postulierte Wertewandel, ebenso wie Individualisierung, potentiell durch negative ökonomische Entwick- lungen gefährdetet ist. Genau hier setzt Helmut Klages an. Auch er sieht zwar zwischen dem Beginn der 60er Jahre und Mitte der 70er Jahre einen +Wertewandlungsschub* gegeben. 272 Andererseits gibt es für Klages (entgegen den Daten Ingleharts) aufgrund verschiedener empi- rischer Untersuchungen, die Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre angestellt wurden, deutliche Anzeichen für einen Abschluß dieses Wertewandlungsschubs (vgl. Werteorientierungen im Wandel; S. 123f. u. S. 129ff.). Wie Inglehart, so nennt auch Klages zwei mögliche Kausal- Hypothesen zur Erklärung für diese (umgekehrten) Befunde: • Die Sättigungshypothese: Nach diesem (analog zu Ingleharts erster Hypothese ebenfalls behavioristischen) Erklärungsmodell ist das Bedürfnis nach Selbstentfaltung (durch die Schaffung von Selbstentfaltungsräumen) in der Gesellschaft mittlerweile gesättigt, so daß postmaterialistischen Werten keine so große Bedeutung mehr beigemessen wird. • Die Abbremsungshypothese: Diese unterstellt, daß die (strukturellen) Bedingungen für einen weiteren Wandel der Werteorientierung weggefallen sind. (Vgl. ebd.; S. 125)
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 195 Die Sättigungshypothese wird von Klages im folgenden jedoch verworfen, da nach allen verfüg- baren (und auch Ingleharts) Daten die große Mehrheit in der Bevölkerung noch immer Selbst- entfaltungswerte nur in sehr geringem Ausmaß teilt, also kaum ein Sättigungseffekt wirksam sein kann (vgl. ebd.; S. 126). Die Abbremsungshypothese erscheint dagegen durchaus plausibel, da sich seit Mitte der 70er Jahre mit dem Aufkommen der Massenarbeitslosigkeit und einem Einbruch im Wirtschaftswachstum tatsächlich die strukturellen Bedingungen für den Wertewandel +verschlechtert* haben (vgl. ebd.; S. 127ff.). Auch der Wandel hin zu (+individualisierten*) postmaterialistischen Werten scheint also an günstige ökonomische Rahmenbedingungen gebunden und erweist sich als grundsätzlich rever- sibler kultureller Transformationsprozeß, so daß, unter ungünstigen Voraussetzungen, selbst eine Rückkehr zur Tradition möglich erscheint – dies ist jedenfalls eines der von Klages auf- gemachten Zukunftsszenarios (vgl. ebd.; S. 153ff.). Andererseits ist es, sollte Ingleharts Sozialisationshypothese zutreffen, meiner Meinung nach eher wahrscheinlich, daß die einmal sozial ausgebreiteten postmaterialistischen Werte lange Zeit selbst bei gegenläufigen ökonomi- schen Entwicklungen bestehen bleiben, so daß die soziale Kultur (oder doch zumindest relevante Subkulturen) nicht nur in einen formalen, sondern auch in einen inhaltlichen Widerspruch zu den ökonomischen +Realitäten* gerät, was die Grundlage für – möglicherweise durchaus +produktive* – soziale Konflikte schaffen kann (die die herrschende ökonomische Praxis in Frage stellen und damit möglicherweise Potentiale zur ihrer Veränderung freisetzen). Die anderen von Klages genannten Szenarios sind, so betrachtet, weniger +problematisch*: Bei wiederum günstigeren ökonomischen Voraussetzungen sieht er die Möglichkeit zu einem +Durchbruch nach vorne* für die neuen Selbstentfaltungswerte gegeben (vgl. ebd.; S. 156ff.). Das Pendel könnte aber nicht nur vor- oder zurückschwingen: Unter Umständen könnte 273 es auch zu einer Wertesynthese kommen (vgl. ebd.; S. 164ff.), wenngleich aktuell nur ein Nebeneinander von traditionellen Pflicht- und Akzeptanzwerten und den postmaterialistischen Selbstentfaltungswerten festzustellen ist, was auch als mittelfristiges Zukunftsszenario am reali- stischsten erscheint (vgl. ebd.; S. 147ff.). Deshalb bietet es sich meiner Meinung nach an, bezüglich der Werteorientierung nach verschiedenen Milieus zu differenzieren – trotz der Schwierigkeit einer klaren Milieu-Abgrenzung in der individualisierten Gesellschaft. Für die Bundesrepublik haben Mitarbeiter des Heidelberger SINUS-Instituts eine Milieu- Typisierung erarbeitet, auf die sehr häufig Bezug genommen wird und die als grobes Schema
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 195<br />
Die Sättigungshypothese wird von Klages im folgenden jedoch verworfen, da nach allen verfüg-<br />
baren (und auch Ingleharts) Daten die große Mehrheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung noch immer Selbst-<br />
entfaltungswerte nur <strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>gem Ausmaß teilt, also kaum e<strong>in</strong> Sättigungseffekt wirksam<br />
se<strong>in</strong> kann (vgl. ebd.; S. 126). Die Abbremsungshypothese ersche<strong>in</strong>t dagegen durchaus plausibel,<br />
da sich seit Mitte <strong>der</strong> 70er Jahre mit dem Aufkommen <strong>der</strong> Massenarbeitslosigkeit und e<strong>in</strong>em<br />
E<strong>in</strong>bruch im Wirtschaftswachstum tatsächlich die strukturellen Bed<strong>in</strong>gungen für den Wertewandel<br />
+verschlechtert* haben (vgl. ebd.; S. 127ff.).<br />
Auch <strong>der</strong> Wandel h<strong>in</strong> zu (+<strong>in</strong>dividualisierten*) postmaterialistischen Werten sche<strong>in</strong>t also an<br />
günstige ökonomische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen gebunden und erweist sich als grundsätzlich rever-<br />
sibler kultureller Transformationsprozeß, so daß, unter ungünstigen Voraussetzungen, selbst<br />
e<strong>in</strong>e Rückkehr zur Tradition möglich ersche<strong>in</strong>t – dies ist jedenfalls e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> von Klages auf-<br />
gemachten Zukunftsszenarios (vgl. ebd.; S. 153ff.). An<strong>der</strong>erseits ist es, sollte Ingleharts<br />
Sozialisationshypothese zutreffen, me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach eher wahrsche<strong>in</strong>lich, daß die e<strong>in</strong>mal<br />
sozial ausgebreiteten postmaterialistischen Werte lange Zeit selbst bei gegenläufigen ökonomi-<br />
schen Entwicklungen bestehen bleiben, so daß die soziale Kultur (o<strong>der</strong> doch zum<strong>in</strong>dest relevante<br />
Subkulturen) nicht nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en formalen, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>haltlichen Wi<strong>der</strong>spruch<br />
zu den ökonomischen +Realitäten* gerät, was die Grundlage für – möglicherweise durchaus<br />
+produktive* – soziale Konflikte schaffen kann (die die herrschende ökonomische Praxis <strong>in</strong><br />
Frage stellen und damit möglicherweise Potentiale zur ihrer Verän<strong>der</strong>ung freisetzen).<br />
Die an<strong>der</strong>en von Klages genannten Szenarios s<strong>in</strong>d, so betrachtet, weniger +problematisch*:<br />
Bei wie<strong>der</strong>um günstigeren ökonomischen Voraussetzungen sieht er die Möglichkeit zu e<strong>in</strong>em<br />
+Durchbruch nach vorne* für die neuen Selbstentfaltungswerte gegeben (vgl. ebd.; S. 156ff.).<br />
Das Pendel könnte aber nicht nur vor- o<strong>der</strong> zurückschw<strong>in</strong>gen: Unter Umständen könnte<br />
273<br />
es auch zu e<strong>in</strong>er Wertesynthese kommen (vgl. ebd.; S. 164ff.), wenngleich aktuell nur e<strong>in</strong><br />
Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von traditionellen Pflicht- und Akzeptanzwerten und den postmaterialistischen<br />
Selbstentfaltungswerten festzustellen ist, was auch als mittelfristiges Zukunftsszenario am reali-<br />
stischsten ersche<strong>in</strong>t (vgl. ebd.; S. 147ff.). Deshalb bietet es sich me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach an,<br />
bezüglich <strong>der</strong> Werteorientierung nach verschiedenen Milieus zu differenzieren – trotz <strong>der</strong><br />
Schwierigkeit e<strong>in</strong>er klaren Milieu-Abgrenzung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividualisierten Gesellschaft.<br />
Für die Bundesrepublik haben Mitarbeiter des Heidelberger SINUS-Instituts e<strong>in</strong>e Milieu-<br />
Typisierung erarbeitet, auf die sehr häufig Bezug genommen wird und die als grobes Schema