Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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186 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Eine Reihe von Bemerkungen zur postmodernen Pluralisierung sind schon in der Einleitung gemacht worden: So wurde etwa Achille Bonito Oliva mit der Forderung diskontinuierlicher Verschiedenheit für die Kunstwerke einer postmodernen Trans-Avantgarde zitiert (siehe S. XLIV). Charles Jencks plädierte ganz ähnlich in der Architektur für eine (radikal eklektische) Erweiterung der Formen-Sprache (siehe S. XLV), und auch Heinrich Klotz befürwortete eine Bedeutungs- und Stilvielfalt (siehe S. XLVI). Besonders aber Feyerabends Prinzip des +anything goes* (siehe ebd.) ist zum Schlagwort für einen +diffusen Postmodernismus* (Welch) geworden, und so haben (kritische) Beobachter denn auch eine gewisse Beliebigkeit der (post)modernen Kultur konstatiert. Die rationalistische Metaphysik der Moderne wird abgelöst durch ein +Post- modern Gaming* (Küchler 1994). Alles löst sich auf in einer bunten Melange, es kommt zu einer +Pastichisierung* (Jameson) – oder wie Marshall Berman es in Anlehnung an ein Marx-Zitat formuliert hat: +All That Is Solid Melts Into Air* (1982). Auf der anderen Seite kann die postmoderne Vielfalt auch als bloßes Oberflächenphänomen einer entgrenzten Warenkultur gedeutet werden (und hat damit eine durchaus +materielle* Grundlage). In der Tat weist der Postmodernismus als anti-avantgardistische künstlerische Bewegung Bezüge zur Massenkultur auf, die aber schon ihrerseits ästhetisch überformt ist. Denn die +ästhetische Produktion ist [aufgrund des ökonomischen Drucks, immer neue Schübe immer neuer Waren zu produzieren] integraler Bestandteil der Warenproduktion geworden* (Jameson: Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus; S. 48). Der Tauschwert des ästhetischen Scheins dominiert über den Gebrauchswert (vgl. Haug: Kritik der Warenästhetik). So kommt es in unserer +Zuvielisation* (Guggenberger) zu einer immer weiter gehenden +Ästhetisierung 247 des Alltagslebens* (Featherstone). Das Ästhetische (als Ausdruck des Nichtidentischen) erscheint deshalb in seiner postmodernen Ausprägung nicht mehr als potentielle Rettung aus den rationali- stischen Aporien der Dialektik der Aufklärung wie etwa beim späten Adorno (vgl. Ästhetische 248 Theorie; S. 14ff.), sondern der Konsumismus der +ästhetischen Gesellschaft* (Giehle) und der verspielte +Populismus* der postmodernen Kunst und Architektur (als das radikal Identische) sind die kulturellen Manifestationen einer entfesselten, (spät)kapitalistischen Dynamik unter den Bedingungen +flexibler Akkumulation* (Harvey). Diese kritische Sicht des +postindustriellen* Konsumismus und des an die Massenkultur ange- lehnten Postmodernismus wird auch von vielen konservativen Denkern geteilt (vgl. z.B. Bell: Die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus und siehe auch S. 262). In die Analyse mischt

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 187 sich hier jedoch zumeist die Klage über einen angeblichen Werteverfall, einen +Verlust der Tugend* (MacIntyre 1981), der sich gerade in der Vielzahl der aktuell aufeinanderprallenden Moralvorstellungen zeigt: +[…] der endlose und gestörte Charakter vieler moderner [aktueller] Moraldebatten [entsteht] durch die Vielzahl heterogener und nicht vergleichbarer Vorstellungen […] In dieser Mischung aus Begriffen findet sich, im Kampf mit modernen [klassisch neuzeitlichen] Begriffen wie Nützlichkeit und Recht, eine ganze Reihe von Tugendbegriffen […] Es fehlt allerdings jeder klare Konsens sowohl über die Stellung der Tugend- begriffe im Verhältnis zu anderen Moralbegriffen als auch darüber, welche Dispositionen in den Katalog von Tugenden […] aufgenommen werden sollen.* (S. 301) Die hier angeprangerte Wertepluralisierung, die der Gesellschaft ihre angeblich notwendige (konsensuelle) moralische Basis entzieht, wird häufig auch in Verbindung mit Individualisierung als sozialem Desintegrationsprozeß bzw. als sozialstrukturellem Destrukturierungs-Phänomen gebracht (vgl. z.B. ebd.; S. 54f.), die damit die postmoderne kulturelle Pluralisierung auf der 249 Ebene der Sozialstruktur spiegelt bzw. deren sozialstrukturelles Fundament darstellt. Doch kann nicht andererseits gerade als Folge von Individualisierungsprozessen von einer neuen Sozialmoral auf der Grundlage postmaterieller Werte und einer zu neuem Leben erwachten (subpolitisch transformierten) politischen Alltagskultur gesprochen werden? Individualisierung wurde bereits in der Einleitung (in Anlehnung an van der Loo/van Reijen) als einer der wesentlichen Teilprozesse der sich in der Postmoderne radikalisierenden Modernisie- rung dargestellt – dort allerdings nicht so sehr als (sozial)struktureller Transformationsprozeß, sondern eher bezogen auf die (ambivalente) Freisetzung des Individuums aus sozialen Zwängen (siehe S. XXVI–XXX). Modernisierung auf struktureller Ebene wurde dagegen als sozialer Differen- zierungsprozeß charakterisiert (siehe S. XXII–XXVI). Andererseits habe ich bereits bemerkt, daß Individualisierung und Differenzierung mehr oder weniger zwei Seiten ein und derselben Medaille darstellen (siehe S. XXVI). Demgemäß erzeugt soziale Differenzierung, die ein gewisses Maß übersteigt, geradezu zwangsläufig Individualisierungserscheinungen. Individualisierung ist deshalb auch der Ausdruck für ein bestimmtes Niveau sozialer Differenzierung. Diese Inter- pretation, die Individualisierung als Differenzierungs-(Sub)phänomen begreift, deckt sich zwar nicht hundertprozentig mit Ulrich Becks Konzept, dessen Schrift +Jenseits von Stand und Klasse* (1983) den zentralen Bezugspunkt der neueren Individualisierungsdebatte – zumindest in der Bundesrepublik – darstellt. Doch immerhin bezieht auch Beck, wie schon der Titel seines

KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 187<br />

sich hier jedoch zumeist die Klage über e<strong>in</strong>en angeblichen Werteverfall, e<strong>in</strong>en +Verlust <strong>der</strong><br />

Tugend* (MacIntyre 1981), <strong>der</strong> sich gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> aktuell aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>prallenden<br />

Moralvorstellungen zeigt:<br />

+[…] <strong>der</strong> endlose und gestörte Charakter vieler mo<strong>der</strong>ner [aktueller] Moraldebatten [entsteht] durch die<br />

Vielzahl heterogener und nicht vergleichbarer Vorstellungen […] In dieser Mischung aus Begriffen f<strong>in</strong>det<br />

sich, im Kampf mit mo<strong>der</strong>nen [klassisch neuzeitlichen] Begriffen wie Nützlichkeit und Recht, e<strong>in</strong>e ganze<br />

Reihe von Tugendbegriffen […] Es fehlt allerd<strong>in</strong>gs je<strong>der</strong> klare Konsens sowohl über die Stellung <strong>der</strong> Tugend-<br />

begriffe im Verhältnis zu an<strong>der</strong>en Moralbegriffen als auch darüber, welche Dispositionen <strong>in</strong> den Katalog<br />

von Tugenden […] aufgenommen werden sollen.* (S. 301)<br />

Die hier angeprangerte Wertepluralisierung, die <strong>der</strong> Gesellschaft ihre angeblich notwendige<br />

(konsensuelle) moralische Basis entzieht, wird häufig auch <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Individualisierung<br />

als sozialem Des<strong>in</strong>tegrationsprozeß bzw. als sozialstrukturellem Destrukturierungs-Phänomen<br />

gebracht (vgl. z.B. ebd.; S. 54f.), die damit die postmo<strong>der</strong>ne kulturelle Pluralisierung auf <strong>der</strong><br />

249<br />

Ebene <strong>der</strong> Sozialstruktur spiegelt bzw. <strong>der</strong>en sozialstrukturelles Fundament darstellt. Doch<br />

kann nicht an<strong>der</strong>erseits gerade als Folge von Individualisierungsprozessen von e<strong>in</strong>er neuen<br />

Sozialmoral auf <strong>der</strong> Grundlage postmaterieller Werte und e<strong>in</strong>er zu neuem Leben erwachten<br />

(subpolitisch transformierten) politischen Alltagskultur gesprochen werden?<br />

Individualisierung wurde bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung (<strong>in</strong> Anlehnung an van <strong>der</strong> Loo/van Reijen)<br />

als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wesentlichen Teilprozesse <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne radikalisierenden Mo<strong>der</strong>nisie-<br />

rung dargestellt – dort allerd<strong>in</strong>gs nicht so sehr als (sozial)struktureller Transformationsprozeß,<br />

son<strong>der</strong>n eher bezogen auf die (ambivalente) Freisetzung des Individuums aus sozialen Zwängen<br />

(siehe S. XXVI–XXX). Mo<strong>der</strong>nisierung auf struktureller Ebene wurde dagegen als sozialer Differen-<br />

zierungsprozeß charakterisiert (siehe S. XXII–XXVI). An<strong>der</strong>erseits habe ich bereits bemerkt,<br />

daß Individualisierung und Differenzierung mehr o<strong>der</strong> weniger zwei Seiten e<strong>in</strong> und <strong>der</strong>selben<br />

Medaille darstellen (siehe S. XXVI). Demgemäß erzeugt soziale Differenzierung, die e<strong>in</strong> gewisses<br />

Maß übersteigt, geradezu zwangsläufig Individualisierungsersche<strong>in</strong>ungen. Individualisierung<br />

ist deshalb auch <strong>der</strong> Ausdruck für e<strong>in</strong> bestimmtes Niveau sozialer Differenzierung. Diese Inter-<br />

pretation, die Individualisierung als Differenzierungs-(Sub)phänomen begreift, deckt sich zwar<br />

nicht hun<strong>der</strong>tprozentig mit Ulrich Becks Konzept, dessen Schrift +Jenseits von Stand und Klasse*<br />

(1983) den zentralen Bezugspunkt <strong>der</strong> neueren Individualisierungsdebatte – zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik – darstellt. Doch immerh<strong>in</strong> bezieht auch Beck, wie schon <strong>der</strong> Titel se<strong>in</strong>es

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