Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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184 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE des graphisch orientierten +World-Wide-Web* (1990) und seinen Multimedia-Möglichkeiten wurde nämlich das vormals eher +elitäre*, weil kryptische und rein textbasierte Internet erstmals nicht nur attraktiv für die Masse der Computernutzer, sondern auch geeignet zur Präsentation von Produkten, für Werbung und für Handel (vgl. z.B. Sterne: World Wide Web Marketing). Wer die Schlüsselsoftware zur Erschließung der sich langsam öffnenden Online-Märkte offeriert, 244 kann sich deshalb in Zukunft (wahrscheinlich) auf großartige Geschäfte freuen. Nur so ist z.B. der (auch gerichtlich ausgetragene) +Browser-Krieg* zwischen der jungen, innovativen Firma +Netscape* und dem die neue Entwicklung beinahe verschlafen habenden Software- Hegemon +Microsoft* zu verstehen (vgl. hierzu z.B. Kizer: The Browser War). Ob mit dieser drohenden Kommerzialisierung des Netzes auch sein (sub)politisches Potential schwindet, oder ob sich neben der kommerziellen Netzwelt eine Nische für +freie* politische Öffentlichkeiten erhält, bleibt abzuwarten. Der Wandel im Mediensystem wird jedoch, so oder so, Auswirkungen auf den Charakter des Öffentlichkeitssystems zeigen, dem sich die institutionalisierte Politik weit mehr als bisher zu stellen haben wird – nicht nur, wie aktuell, mit dem simplen Versuch der Ausweitung der staatlichen Kontrolle auf die Netzinhalte (vgl. zu letzterem Aspekt z.B. Bredekamp: Leviathan und Internet). 245 2.5 WERTEWANDEL, INDIVIDUALISIERUNG UND POLITISCHE KULTUR(UM)BRÜCHE (KULTUR UND SOZIALSTRUKTUR) Das Öffentlichkeitssystem, dessen Wandlungen bezogen auf das Politiksystem im vorangegan- genen Abschnitt verfolgt wurden, kann einerseits zum politischen Mesosystem gerechnet werden, da das für die Herstellung von Öffentlichkeit in Massendemokratien erforderliche Mediensystem nicht nur informell, sondern in der Regel auch institutionell mit dem Politiksystem verflochten ist (z.B. durch staatliche Aufsichtsbehörden). In der Bundesrepublik gibt es mit dem +öffentlich- rechtlichen* Rundfunk sogar eine weit darüber hinausgehende institutionelle Überlappung, die den politischen Akteuren den Zugang zur öffentlichen Bühne garantiert. Versteht man unter Öffentlichkeit dagegen primär das beobachtende Publikum, so muß man das Öffent- lichkeitssystem dem Exosystem der Politik zuordnen – denn es gibt zwischen Beobachtern und Akteuren in der politischen Öffentlichkeit keine permanente institutionelle Brücke, sondern nur eine praxologische Verklammerung in Form der periodischen Wahlrituale.
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 185 Trotzdem ist Öffentlichkeit, wie hoffentlich deutlich wurde, natürlich eine Art Referenzsystem für die Politik: Der Bezug zur Öffentlichkeit legitimiert und formt Politik, und im Medium der Öffentlichkeit wird diese nicht nur gespiegelt, sondern es aktualisiert sich der Bestand sozialer Normen, an dem Politik bzw. politisches Handeln gemessen wird. In dieser Hinsicht ist Öffentlichkeit aber auch ein Medium des kulturellen Makrosystems. Denn unter Kultur im engeren Sinn möchte ich, analog zu Parsons, das (übergeordnete) Wertesystem verstehen, das für die Strukturerhaltung der Gesellschaft sorgt (siehe auch S. XXI). Werte formen also soziale Strukturen, an ihnen und um sie bildet sich das +Gesicht* einer Gesellschaft aus. Manchmal verbirgt jedoch dieses Gesicht seine +Lebensgeschichte*, die zugrundeliegenden Prägeformen sind verdeckt. Die formale Soziologie Simmels hat deshalb versucht, das Soziale nur über seine formalen, nicht über seine inhaltlichen Aspekte zu erfas- 246 sen. Alleine durch diese spezifische wissenschaftliche Abstraktion ist für Simmel Soziologie von anderen soziale Prozesse betrachtenden Disziplinen wie Ökonomie oder Politik abgrenzbar (vgl. Soziologie; S. 6). Aber das ist ein (wenn auch bewußt) reduktionistischer Ansatz, der die Formen der Vergesellschaftung nicht auf ihre Formgebung, die manifesten wie latenten Machtstrukturen und normativen Grundmuster, zurückführen kann. Form verweist immer auf einen Inhalt, auch wenn sie ihn verdeckt oder verschleiert. Andererseits ist – worauf Simmel abhob (vgl. ebd.; S. 5) – der Inhalt der sozialen Formen nicht greifbar, wenn er sich nicht vergegenständlicht und Form annimmt. Zudem werden soziale Inhalte häufig gerade über die Kontinuität der Form(en) tradiert (z.B. der politische Wert der +Demokratie* über den fixierten Text der Verfassung, die in Stein gegossene Institution des Parlaments und die oben angesprochenen Wahlrituale etc.). Zur Kultur (im weiteren Sinn) gehören deshalb (in einer nicht-reduktionistischen Perspektive) neben dem Wertesystem (als seiner inhaltlichen Dimension) auch dessen Manifestationen in materiellen, diskursiven, strukturellen und symbolischen Formen (sowie deren ästhetische Dimension). Dies deutet allerdings ein mögliches Problem an, das auftaucht, wenn die Formen inhaltslos werden bzw. ihre Einbettung in das zugrundeliegende Wertesysteme verlieren. Ein solcher Einbettungsverlust ist häufig für die Postmoderne als kulturelles Phänomen behauptet worden. Betrachtet man die kulturellen Formen, so ergibt sich nämlich gemäß der gängigen Interpretation eine Zersplitterung und Auffächerung (Pluralisierung) bei der gleichzeitigen Betonung und Verselbständigung des Formaspekts (Ästhetisierung).
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KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 185<br />
Trotzdem ist Öffentlichkeit, wie hoffentlich deutlich wurde, natürlich e<strong>in</strong>e Art Referenzsystem<br />
für die <strong>Politik</strong>: Der Bezug zur Öffentlichkeit legitimiert und formt <strong>Politik</strong>, und im Medium<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit wird diese nicht nur gespiegelt, son<strong>der</strong>n es aktualisiert sich <strong>der</strong> Bestand<br />
sozialer Normen, an dem <strong>Politik</strong> bzw. politisches Handeln gemessen wird. In dieser H<strong>in</strong>sicht<br />
ist Öffentlichkeit aber auch e<strong>in</strong> Medium des kulturellen Makrosystems. Denn unter Kultur<br />
im engeren S<strong>in</strong>n möchte ich, analog zu Parsons, das (übergeordnete) Wertesystem verstehen,<br />
das für die Strukturerhaltung <strong>der</strong> Gesellschaft sorgt (siehe auch S. XXI).<br />
Werte formen also soziale Strukturen, an ihnen und um sie bildet sich das +Gesicht* e<strong>in</strong>er<br />
Gesellschaft aus. Manchmal verbirgt jedoch dieses Gesicht se<strong>in</strong>e +Lebensgeschichte*, die<br />
zugrundeliegenden Prägeformen s<strong>in</strong>d verdeckt. Die formale Soziologie Simmels hat deshalb<br />
versucht, das Soziale nur über se<strong>in</strong>e formalen, nicht über se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltlichen Aspekte zu erfas-<br />
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sen. Alle<strong>in</strong>e durch diese spezifische wissenschaftliche Abstraktion ist für Simmel Soziologie<br />
von an<strong>der</strong>en soziale Prozesse betrachtenden Diszipl<strong>in</strong>en wie Ökonomie o<strong>der</strong> <strong>Politik</strong> abgrenzbar<br />
(vgl. Soziologie; S. 6). Aber das ist e<strong>in</strong> (wenn auch bewußt) reduktionistischer Ansatz, <strong>der</strong><br />
die Formen <strong>der</strong> Vergesellschaftung nicht auf ihre Formgebung, die manifesten wie latenten<br />
Machtstrukturen und normativen Grundmuster, zurückführen kann. Form verweist immer<br />
auf e<strong>in</strong>en Inhalt, auch wenn sie ihn verdeckt o<strong>der</strong> verschleiert.<br />
An<strong>der</strong>erseits ist – worauf Simmel abhob (vgl. ebd.; S. 5) – <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> sozialen Formen<br />
nicht greifbar, wenn er sich nicht vergegenständlicht und Form annimmt. Zudem werden<br />
soziale Inhalte häufig gerade über die Kont<strong>in</strong>uität <strong>der</strong> Form(en) tradiert (z.B. <strong>der</strong> politische<br />
Wert <strong>der</strong> +Demokratie* über den fixierten Text <strong>der</strong> Verfassung, die <strong>in</strong> Ste<strong>in</strong> gegossene Institution<br />
des Parlaments und die oben angesprochenen Wahlrituale etc.). Zur Kultur (im weiteren S<strong>in</strong>n)<br />
gehören deshalb (<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nicht-reduktionistischen Perspektive) neben dem Wertesystem (als<br />
se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlichen Dimension) auch dessen Manifestationen <strong>in</strong> materiellen, diskursiven,<br />
strukturellen und symbolischen Formen (sowie <strong>der</strong>en ästhetische Dimension).<br />
Dies deutet allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> mögliches Problem an, das auftaucht, wenn die Formen <strong>in</strong>haltslos<br />
werden bzw. ihre E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> das zugrundeliegende Wertesysteme verlieren. E<strong>in</strong> solcher<br />
E<strong>in</strong>bettungsverlust ist häufig für die <strong>Post</strong>mo<strong>der</strong>ne als kulturelles Phänomen behauptet worden.<br />
Betrachtet man die kulturellen Formen, so ergibt sich nämlich gemäß <strong>der</strong> gängigen Interpretation<br />
e<strong>in</strong>e Zersplitterung und Auffächerung (Pluralisierung) bei <strong>der</strong> gleichzeitigen Betonung und<br />
Verselbständigung des Formaspekts (Ästhetisierung).