Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal
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178 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE einer durch den Zwang zur Selektion bewirkten Individualisierung der Informationsmuster und Medienkonsumstile, die wiederum eine Diffusion und Fragmentisierung der Öffentlichkeit bewirkt. Denn selbst das ungleich höhere allgemeine Informationsaufnahmeniveau reicht nicht aus, die gestiegene Informationsdichte und -breite zu bewältigen – weshalb für Neil Postman nunmehr 233 nicht nur gilt, daß wir uns zu Tode amüsieren. Vielmehr gelangt er angesichts der erdrücken- den Informationsfülle, die uns die Medien +zumuten*, zum Schluß: +Wir informieren uns zu Tode* (1992). Etwas weniger übertreibend spricht auch Jäckel in seinem oben zitierten Artikel – unter Verweis auf amerikanische und japanische Daten sowie eine Untersuchung Werner Kroeber-Riels – von einem +deutlichen Auseinanderklaffen von Informationsangebot und Informationsnutzung* (ebd.; S. 13). Letzterer kam für Deutschland zu dem Ergebnis, daß der Informationsüberschuß, d.h. die von den Rezipienten ignorierte Information, je nach Medium zwischen 91,7% (Zeitungen) und 99,4% (Rundfunk) liegt (vgl. Informationsüberlastung durch Massenmedien und Werbung in Deutschland; S. 259). Im Fall des Internets, das leider nicht berücksichtigt wurde, ist das Mißverhältnis zwischen angebotener und genutzter Information sicher sogar noch weitaus drastischer. Je mehr Information aber angeboten wird, desto +härter*, so läßt sich nun vermuten, müssen die Selektionskriterien sein, nach denen die Informationsangebote ausgewählt werden. Wie schon oben angedeutet, entstehen so zwangsläufig fragmentisierte Teilöffentlichkeiten, die immer weiter zerfallen. Ein wichtiger Zwischenschritt bei dieser Entwicklung war die Entstehung von verschiedensten Spartenkanälen im Fernsehen. Mit der Aufsplittung des Programms erfolgte eine (noch nicht abgeschlossene) Aufsplitterung der Öffentlichkeit – trotz der von Marcinkowski herausgestellten relativen Konformität der (Unterhaltungs-)Programme sowie der in Deutschland noch immer weitgehend intakten Institution +Tagesschau*. Neue technische Entwicklungen wie +Video on Demand* oder +interaktives Fernsehen* werden schließlich zwangsläufig zur Sprengung der +schematischen* Programmstruktur des konventionellen Fernsehens führen, und schon heute kann man sich mittels entsprechender Internet-Dienste eine (elektronische) +Zeitung* ganz nach individuellen Vorlieben zusammenstellen (lassen). Nicholas Negroponte spricht angesichts derartiger Entwicklungen und der drohenden Normalität eines +Einpersonen- publikums* von einer Individualisierung der Medien im +Postinformationszeitalter* (vgl. Total digital; S. 201ff.).
KAP. 2: ZUR DIALEKTIK VON SOZIO-ÖKONOMISCHEM WANDEL UND POLITISCHER STATIK 179 Öffentlichkeit als Kollektivzusammenhang wird infolge ihrer Atomisierung, ihrer Auflösung in vereinzelte Sphären immer diffuser, verliert an Trennschärfe, da immer unklarer wird, wen die durch die Medien veröffentlichten Botschaften tatsächlich noch erreichen. Es handelt sich um eine durch Informationsüberflutung ausgelöste, sich nach innen drehende mediale Individualisierungsspirale, die Öffentlichkeit auf einen verwischten, imaginären Punkt im Nichts der virtuellen Welten zusammenschrumpfen läßt. So läuft mit der digitalen Revolution auch der +altlinke* Kampf um die Herstellung einer Gegenöffentlichkeit potentiell ins Leere – jedenfalls 234 wenn man sich dem kritischen Resümee aus einem Papier der +Agentur Bilwet* anschließt. Denn die neuen Medien +schaffen nicht länger Massen und Öffentlichkeiten* (The Digital Society and Its Enemies; S. 366). Der von John Fiske vorgedachte und nachgezeichnete +Technikkampf* von Minderheiten 235 mittels der Nutzung der politisch mobilisierenden Ressourcen von Audio- und Videotechniken zur Durchsetzung ihrer ansonsten aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängten Interessen (vgl. Media Matters; Kap. 5) steht deshalb vor dem Problem, daß er ein in Ablösung befindliches Modell medialer Massenöffentlichkeit voraussetzt. Auch wenn der von Fiske u.a. angeführte 236 Fall des Rodney King zeigt, daß Video(low)tech sich tatsächlich zur Mobilisierung einer Gegenöffentlichkeit nutzen läßt (vgl. ebd.; S. 126ff.), ändert dies nichts an dem Umstand, daß der von ihm propagierte +technostruggle* in der sich abzeichnenden neuen Medienlandschaft wohl zumindest andere Formen annehmen muß. Die Gleichzeitigkeit des Erlebens, die das Fernsehen einst so bequem für die Zuschauer auf dem heimischen Sofa wie für die politischen Akteure erzeugte, wird jedenfalls durch die fortschreitenden Fragmentisierungsprozesse bald ein Ende haben und auch andere Mobilisierungs- mechanismen für die Formierung von Gegenöffentlichkeiten erfordern als aufrüttelnde Fernseh- bzw. Videobilder. Wir befinden uns, um mit de Kerckhove zu sprechen (siehe auch nochmals S. 171), +Jenseits des globalen Dorfes*. Was uns in diesem Jenseits, das vielleicht das Ende des panoptischen Systems markiert (vgl. Baudrillard: Agonie des Realen; S. 47ff.), erwartet, kann euphorisch bis kritisch interpretiert werden (siehe unten). De Kerckhove selbst ist unsicher, was aus den sich abzeichnenden Entwicklungen, der sich ergebenden Verbindung von privatem und öffentlichem Bewußtsein in einer reziproken Netz-Struktur, politisch zu folgern ist. Nur eines steht für ihn fest: Die immer rascher sich ausbreitenden Netze sind Vorboten einer gründlich veränderten politischen Landschaft, und +gerade als wir dachten, wir hätten sie
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178 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />
e<strong>in</strong>er durch den Zwang zur Selektion bewirkten Individualisierung <strong>der</strong> Informationsmuster<br />
und Medienkonsumstile, die wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e Diffusion und Fragmentisierung <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
bewirkt.<br />
Denn selbst das ungleich höhere allgeme<strong>in</strong>e Informationsaufnahmeniveau reicht nicht aus,<br />
die gestiegene Informationsdichte und -breite zu bewältigen – weshalb für Neil <strong>Post</strong>man nunmehr<br />
233<br />
nicht nur gilt, daß wir uns zu Tode amüsieren. Vielmehr gelangt er angesichts <strong>der</strong> erdrücken-<br />
den Informationsfülle, die uns die Medien +zumuten*, zum Schluß: +Wir <strong>in</strong>formieren uns<br />
zu Tode* (1992). Etwas weniger übertreibend spricht auch Jäckel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em oben zitierten<br />
Artikel – unter Verweis auf amerikanische und japanische Daten sowie e<strong>in</strong>e Untersuchung<br />
Werner Kroeber-Riels – von e<strong>in</strong>em +deutlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>klaffen von Informationsangebot<br />
und Informationsnutzung* (ebd.; S. 13). Letzterer kam für Deutschland zu dem Ergebnis,<br />
daß <strong>der</strong> Informationsüberschuß, d.h. die von den Rezipienten ignorierte Information, je nach<br />
Medium zwischen 91,7% (Zeitungen) und 99,4% (Rundfunk) liegt (vgl. Informationsüberlastung<br />
durch Massenmedien und Werbung <strong>in</strong> Deutschland; S. 259). Im Fall des Internets, das lei<strong>der</strong><br />
nicht berücksichtigt wurde, ist das Mißverhältnis zwischen angebotener und genutzter Information<br />
sicher sogar noch weitaus drastischer.<br />
Je mehr Information aber angeboten wird, desto +härter*, so läßt sich nun vermuten, müssen<br />
die Selektionskriterien se<strong>in</strong>, nach denen die Informationsangebote ausgewählt werden. Wie<br />
schon oben angedeutet, entstehen so zwangsläufig fragmentisierte Teilöffentlichkeiten, die<br />
immer weiter zerfallen. E<strong>in</strong> wichtiger Zwischenschritt bei dieser Entwicklung war die Entstehung<br />
von verschiedensten Spartenkanälen im Fernsehen. Mit <strong>der</strong> Aufsplittung des Programms erfolgte<br />
e<strong>in</strong>e (noch nicht abgeschlossene) Aufsplitterung <strong>der</strong> Öffentlichkeit – trotz <strong>der</strong> von Marc<strong>in</strong>kowski<br />
herausgestellten relativen Konformität <strong>der</strong> (Unterhaltungs-)Programme sowie <strong>der</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />
noch immer weitgehend <strong>in</strong>takten Institution +Tagesschau*. Neue technische Entwicklungen<br />
wie +Video on Demand* o<strong>der</strong> +<strong>in</strong>teraktives Fernsehen* werden schließlich zwangsläufig zur<br />
Sprengung <strong>der</strong> +schematischen* Programmstruktur des konventionellen Fernsehens führen,<br />
und schon heute kann man sich mittels entsprechen<strong>der</strong> Internet-Dienste e<strong>in</strong>e (elektronische)<br />
+Zeitung* ganz nach <strong>in</strong>dividuellen Vorlieben zusammenstellen (lassen). Nicholas Negroponte<br />
spricht angesichts <strong>der</strong>artiger Entwicklungen und <strong>der</strong> drohenden Normalität e<strong>in</strong>es +E<strong>in</strong>personen-<br />
publikums* von e<strong>in</strong>er Individualisierung <strong>der</strong> Medien im +<strong>Post</strong><strong>in</strong>formationszeitalter* (vgl. Total<br />
digital; S. 201ff.).